Neues Genossenschaftsmodell Ein Dorf versorgt sich selbst

Kalkar-Grieth · Kleinen Ortschaften auf dem Land fehlen häufig nicht nur Ärzte und Schulen, sondern auch Einkaufsmöglichkeiten. Ein Genossenschaftsmodell soll nun die Einwohner Grieths bei Kalkar besser versorgen. "Aktionäre" brauchen 250 Euro.

 "Handelädchen Grieth": Hier gibt es Milchprodukte, Backwaren, Aufschnitt.

"Handelädchen Grieth": Hier gibt es Milchprodukte, Backwaren, Aufschnitt.

Foto: Gottfried Evers

Es ist fast 800 Jahre her, dass Grieth die Stadtrechte verliehen wurden. "Fischer- und Schifferstädtchen" nennt sich die Kalkarer Ortschaft seitdem. Aber städtisch ist dort wenig. Grieth hat einen urigen mittelalterlichen Kern, ein Schloss, das heute ein Hotel ist, ein Heimatmuseum und den Rhein, der am unteren Niederrhein so breit ist wie sonst kaum irgendwo.

Die rund 820 Einwohner sind auf ihr "Städtchen", das von vielen Ausflüglern besucht wird, besonders stolz. Aber in einem Punkt hadern sie mit ihrem Heimatort: Es gibt keinen Arzt, keine Schule, keine Geschäfte. Letzteres hat sich jedoch vor einigen Wochen geändert. Dem Engagement einer Reihe von Dorfbewohnern ist es zu verdanken, dass neuerdings das "Hanselädchen Grieth" existiert.

Direkt am Marktplatz können die Griether nun ihre Einkäufe erledigen. Und - das wissen viele mindestens ebenso zu schätzen - es gehört ein Café zum Laden. Das haben nicht nur die Senioren des Ortes für sich entdeckt, hier treffen sich auch junge Leute. Wenn möglich, lassen sie sich bei Latte Macchiato draußen nieder, wenn es kühler ist, lockt die Eckbank drinnen. Die Einrichtung wurde von den Initiatoren weitgehend selbst gestaltet. Vorher bauten sie ebenfalls in Eigenarbeit das Gebäude für ihre Zwecke um.

Der Laden brummt

Birgit Mosler und Christian Reintjes sind die treibenden Kräfte des Unternehmens. Nicht alle "alten Griether" waren anfangs von dem Projekt überzeugt. Zumal sie dafür erstmal in die eigene Tasche greifen sollten. Nicht allzu tief - "die Anteilsscheine kosten 250 Euro pro Stück", erklärt Mosler, die übrigens eine (vor Jahrzehnten) Zugezogene ist. Sollte das Hanselädchen Gewinne abwerfen, wird an die Genossenschaftsmitglieder eine Dividende ausgezahlt.

Dass es nicht klappt, können sich die Akteure derzeit kaum vorstellen, denn der Laden brummt. Von früh bis spät kommt gut gelaunte Kundschaft rein, freut sich ab morgens 6.30 Uhr auf frische Brötchen vom Bäcker aus dem Nachbardorf, deckt sich mit allem ein, was man so braucht, lässt sich von der Nachbarin zu einem Kaffee überreden. Bis 19 Uhr ist geöffnet, auch samstags. Sonntags dient der Laden nur als Café.

"Wir setzen auf zwei Kundenkreise: einmal auf die Griether selbst, aber auch auf die Touristen, die zumindest im Sommerhalbjahr gerne nach Grieth kommen", berichtet Reintjes. Radfahrer können sich nun im Hanselädchen mit Getränken, Teilchen oder Wurstbrötchen stärken. Oft nehmen sie auch regionale Leckereien mit - Rübenkraut aus Goch, Honig vom Kalkarer Monreberg, Eier vom Emmericher Eyland.

Milchprodukte, Backwaren, Aufschnitt

Mit einem Schmunzeln dürfte mancher Städter dieses "Tante-Emma-Lädchen" bedenken und nicht realisieren, dass das Geschäft alles andere ist als eine aus der Zeit gefallene Hinterlassenschaft. Vielmehr ist das Konzept den heutigen Bedürfnissen angepasst, das Sortiment wird regelmäßig kritisch hinterfragt. Schließlich verstehen die "Macher" etwas von Betriebswirtschaft und Marketing.

"Wir sind überrascht, dass gerade frische Sachen, sogar Bio-Produkte, sehr gut gehen", erzählt Reintjes. Die Kunden kämen nicht nur für die vergessene Tüte Mehl oder das Geschirrspülmittel rein, sondern für alles, was sie im Alltag benötigen. Milchprodukte, Backwaren, Aufschnitt, Käse frisch vom Laib geschnitten - so etwas ist gefragt.

"Ich kaufe hier alles"

"Dieser Laden ist ein Segen für Grieth", begeistert sich Adelheid Pleines. "Ich kaufe hier alles, denn ich kann nicht Auto fahren, und in den Ferien pendelt nicht einmal ein Bus. Bisher musste ich immer jemanden bitten, mich mit in die Stadt zu nehmen." Christel Weyenberg ist froh darüber, dass sich jetzt die Mieter ihres Ferienhauses versorgen können. Deutlich seltener als früher will nun Ingeborg Reumer auswärts einkaufen.

"Die Kinder gönnen sich jetzt wieder vom Taschengeld etwas Süßes und ziehen damit durchs Dorf. Mir geht das Herz auf, wenn ich das sehe", erklärt Birgit Mosler. Während im Sommer das Eis hoch im Kurs stand, ist jetzt im Herbst eher der leckere Kuchen gefragt. "Zweimal in der Woche bringt der Großhändler, was wir brauchen. Die Preiskalkulation machen wir selbst. Nur wenige Artikel sind teurer als in den großen Supermärkten", sagt Mosler. Was "reinkommen" muss, ist Geld für die geringe Miete, die der Eigentümer des alten Häuschens verlangt, das Gehalt für die in Teilzeit beschäftigte Betriebsführerin und die acht Mini-Jobber.

Anita Buddiger hat heute Besuch von ihrer Tochter mit Mann und Kind. Die jungen Leute wohnen in Mönchengladbach und haben sich mit ihrer Mutter im neuen Kommunikationszentrum verabredet. "Früher mussten wir Brötchen aus Gladbach mitbringen, wenn wir mit ihr frühstücken wollten. Jetzt sitzen wir hier schön im Café", sagt der Schwiegersohn erfreut.

(RP)
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