Jugendlichen beim Leben zusehen

Sie überlassen Kindern in Ihrem neuen Stück "Before Your Very Eyes" die Bühne, stellen Sie aber zugleich auch aus. Warum?

Stumpf Uns geht es um die Kultivierung von Jugend und Jungsein, um den Mythos, der mit diesen Begriffen in unserer jugendlichkeitsverliebten Gesellschaft verbunden ist. Wir laden die Zuschauer ein, Kindern und Jugendlichen beim Wachsen und Altwerden in einem beschleunigten Prozess zuzusehen.

Steckt dahinter die Idee, dass die meisten Menschen die Welt von Jugendlichen kaum kennen?

Stumpf Jede Generation wächst ja unter anderen Bedingungen und mit anderen Bezügen auf als die vorherige, darum können sich Erwachsene nur bedingt in Jugendliche und die ganze Form ihres Aufwachsenes hineinversetzen. Man hat heute manchmal das Gefühl, dass Jugendliche selbst ihren Eltern fremd sind. Stumpf Ja, auch Eltern, die jeden Tag mit Kindern zusammen leben, stellen sich die Frage, wie viel man wirklich voneinander weiß, wie viel man von dem versteht, womit man sich am tiefsten beschäftigt.

Ist diese Distanz zwischen den Generationen ein neues Phänomen?

Stumpf Nein, das war sicher schon immer so. Allerdings separieren sich die Formen des Zusammenlebens immer mehr. Jugendliche wachsen heute damit auf, virtuell zu kommunizieren, sie sind so vertraut mit den Möglichkeiten von Handys und Computer, dass man diesen Kosmos wirklich als eigene Welt bezeichnen muss. Die ist Außenstehenden, Älteren oft gar nicht mehr zugänglich. Die wissen dann eben nicht, ob Jugendliche am PC gerade ihre Hausaufgaben machen oder in ganz anderen Feldern unterwegs sind.

Der Glaskasten, in dem die Jugendlichen sich auf der Bühne bewegen, ist verspiegelt. Warum nehmen Sie Ihren Darstellern die Chance, ihrerseits das Publikum zu mustern?

Stumpf Die Verspiegelung schützt die Jugendlichen. Sie sind einerseits exponiert, andererseits sind sie abgeschirmt von den Blicken, bewegen sich wirklich in ihrer Welt. Das gibt dem Zuschauer natürlich eine Voyeur-Position, er kann Einblick nehmen, wo er sonst keinen Einblick hat, denn er sieht Jugendlichen in ihrem Zimmer zu, wie sie ihren Dingen nachgehen.

Was zum Beispiel?

Stumpf Die Jugendlichen beschäftigen sich einfach, spielen Karten, schauen fern, hängen in ihrem Zimmer rum. Am Anfang. Dann wird der Abend natürlich geformt.

Diese Formung haben Sie dann übernommen?

Stumpf Ja, wir sind mit einem ganz klaren Konzept in diese Arbeit gegangen. Wir haben die Kinder im Vorfeld zwei Jahre begleitet, haben uns immer wieder mit ihnen getroffen, Videos mit ihnen gedreht und so Material über sie gesammelt.

Was für Videos?

Stumpf Sie sollten vor der Kamera erzählen, was sie sich selbst in der Zukunft gern fragen würden. Sie sollten sich also überlegen, was sie von sich wissen wollen, wenn sie fünf Jahre älter sind, zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jahre. Die Videos sind also einseitige Selbstgespräche, in denen sie sich selbst Fragen stellen oder sich an etwas erinnern, das sie nicht vergessen wollen.

Und wie wird aus diesen Selbstgesprächen Theater?

Stumpf Indem sich die Jugendlichen in ihrem Bühnenzimmer live den Aussagen aus dem Video-Material stellen. Das Stück besteht daraus, dass die Jugendlichen – mit sich selbst konfrontiert – älter werden. Im Schnelldurchlauf. Dabei ist natürlich viel imaginiert, weil sie ja nur zwei Jahre älter geworden sind, auf der Bühne aber richtig alt werden.

Sind dabei Themen zu Tage getreten, die Sie überrascht haben?

Stumpf Ja, es geht in diesem Stück ja um Vergänglichkeit, auch um Tod und Sterben, und ich war sehr überrascht, mit welcher Leichtigkeit die Jugendlichen an diese Stoffe herangehen. Sie begegnen der Schwere des Themas mit Verspieltheit, ja mit Spaß. Da trafen die extremen Kontraste von Leben und Vergänglichkeit aufeinander.

Wie haben Sie die Kinder ausgesucht?

Stumpf Wir wollten auf keinen Fall ein Casting machen. Also haben wir mit interessierten Kindern Workshops gemacht, und dabei gemerkt, wer an der Arbeit etwa vor der Kamera wirklich Spaß hat.

Besteht da nicht die Gefahr, lauter Selbstdarsteller auszuwählen?

Stumpf Ja, vielleicht. Aber darum haben wir ja kein Casting gemacht, sondern gleich inhaltlich mit de Kindern gearbeitet. Und dann ging es uns auch darum, Kinder auszuwählen, die eine spannende Konstellation bilden.

Waren Sie auch mal genervt während der Arbeit mit den Kindern?

Stumpf Nein, überhaupt nicht. Ich war positiv überrascht, mit welcher Disziplin und Aufmerksamkeit sie an die Arbeit gegangen sind. Es sind auch keine Kinder ausgestiegen, da hatten wir eigentlich fest mit gerechnet.

Sie sind also nicht zur Kulturpessimistin geworden?

Stumpf Nein, die Kinder sind intelligent, engagiert, haben unglaublichen Spaß an der Sache entwickelt, eine wahnsinnige Energie. Das war für mich fast berauschend – ein wirkliches Geschenk.

(RP)
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