Integration beim Neusser Schützenfest Die Welt versammelt unterm Schützenhut

Neuss · Neuss wird für vier Tage zum Königreich. Immer mehr Zugezogene und Migranten marschieren mit.

 Saki Liampotis, Axel Matheja, Bert Römgens, Miriam Müller und Niels Elsäßer (v. l.) von der Zugmeinschaft „Divergenten“ vor ihrer Fackel, die Samstag mitgeführt wird.

Saki Liampotis, Axel Matheja, Bert Römgens, Miriam Müller und Niels Elsäßer (v. l.) von der Zugmeinschaft „Divergenten“ vor ihrer Fackel, die Samstag mitgeführt wird.

Foto: Andreas Woitschützke

Alle reden vom Neusser Schützenfest. Wirklich alle? Mehr als jeder sechste Neusser hat einen ausländischen Pass; knapp 9000 Menschen ziehen Jahr für Jahr neu in die Stadt. Hat sie alle der Schützenfest-Bazillus angesprungen oder sind nur die „Eingeborenen“ infiziert? „Ich weiß es nicht“, sagt Schützenpräsident Martin Flecken, „über die Staatszugehörigkeit der Mitglieder führen wir keine Statistik.“ Er sehe nur Schützen.

Wenn ab Samstag oder bei der Königsparade am Sonntagmittag ein Rekordregiment durch die Neusser Straßen zieht, dann reiht sich unter die 7719 Marschierer erstmals ein Zug ein, der Aktive aus neun Nationen unter einen Schützenhut bringt – aus Sri Lanka und Russland, aus Deutschland und Kamerun, aus Polen und Israel, aus Griechenland und Ägypten und aus der Türkei. „Auch wenn wir ein bunter Haufen sind – wir alle sind zunächst Neusser“, sagt Bert Römgens, der die Idee zur Gründung der „Nüsser Divergenten“ hatte. Römgens, der für die Jüdische Gemeinde arbeitet, und seine Mitstreiter wollen eine Gemeinschaft leben, „die losgelöst von Herkunft, Religion und Lebenskonzeption im Sinne einer neuen Stadtgesellschaft vielfältig“ ist. Dem stimmt der Präsident zu. „Mögen es früher Düsseldorf- und Köln-Geborene gewesen sein, die integriert wurden“, sagt Flecken, „so waren es später Niederländer und Franzosen, heute sind es Menschen aus aller Welt und jeder Weltanschauung. Und das ist gut so.“

Ihre Nüsser Art tragen die „Divergenten“ auf die Straße. „Vielfalt bereichert“ heißt die Fackel, die sie am Samstag beim ersten Umzug (Beginn 20.45 Uhr) mitführen. Das Transparent ist das Ergebnis eines Integrationsprojektes: Kinder aus einem Viertel mit dem zweithöchsten Ausländeranteil (41 Prozent) in Neuss haben sie (mit-)gebaut. Damian, Davina, Emelie, Jonathan und Verenice haben in der Fackelbauhalle unter den Schützen neue Freunde gefunden – in einem Viertel, in dem jeder vierte Einwohner über 18 Jahre laut einer Studie überschuldet ist und das die meisten Neusser nur ansteuern, um es auf ihrem Weg nach Düsseldorf zu passieren.

Die Grenadiere hingegen stoppten dort. Und klopften beim Jugendtreff der Katholischen Jugendagentur Düsseldorf an, um einen Partner für das Integrationsprojekt zu gewinnen. Niels Elsäßer vom Jugendtreff nahm den integrativen Fackelbau ins Programm und reihte sich sogar als Schütze bei den „Divergenten“ ein.

Stolze Kinder, stolze „Divergenten“: Sie werden beim Fackelzug verdienten Beifall von mehr als 130.000 Zuschauer erhalten. Ideengeber für das Projekt sind Rainer Halm und Holger Körner. Der Grenadier-Vorsitzende und sein Korpskamerad wollen die Brücke zu allen Einwohnern schlagen. Es gehe darum, dass Schützen versuchen, alteingesessene Neusser und Neu-Neusser zu vernetzen. „Unser Korps verbindet Tradition mit gesellschaftlichem Engagement“, sagt Körner, „darum übernehmen wir Grenadiere auch Verantwortung im Bereich Integration.“ Mit ihrem Konzept stießen Halm und Körner bei den Verantwortlichen der Fritz-Henkel-Stiftung auf offene Ohren, die das ehrenamtliche Engagement von Henkel-Mitarbeitern fördert. Der Kontakt stellte Körner her, der für den Weltkonzern im Düsseldorfer Süden arbeitet.

Reden nun alle übers Neusser Schützenfest? Wohl kaum. Aber ein paar mehr werden es schon sein. Das haben die Brückenbauer in Uniform geschafft, weil Schützen von (be-)schützen kommt. In Neuss und anderswo.

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