Im Düsseldorf der Radschläger

Bild-Reportagen von Dirk Alvermann, entstanden zwischen 1956 und 1965, sind von heute an im Stadtmuseum zu sehen. Der gebürtige Düsseldorfer schenkte dem Museum jetzt mehr als 200 seiner Fotografien und Fotobücher: Ansichten eines politisch Linken.

Der regionale Bezug ist nicht zu übersehen: Beim Rundgang durch die Ausstellung im Stadtmuseum entdeckt man Fotografien, die junge Radschläger (im Jahr 1956) auf der Königsallee abbilden. Oder man staunt über das Jan-Wellem-Denkmal, das von VW-Käfern und anderen Blechkisten zugeparkt ist.

Dirk Alvermann ist zunächst ein Fotograf des Alltäglichen. Das "Glück im Winkel" – daheim in der guten Stube – war damit nicht gemeint. Viel brennender interessierten ihn die Menschen draußen auf der Straße. Im Jahr 1956 – als 19-Jähriger – beginnt er seine dokumentarischen Streifzüge, zuerst in Düsseldorf, später in England, Polen, Spanien und Algerien.

Als politisch Linker sucht er die Nähe zu den Armen. Deren Lebensbedingungen will er mit seiner Leica einfühlend und doch objektiv in schwarz-weißen Bildern aufzeichnen. So begleitet der Foto-Autodidakt nicht nur die Rad schlagenden Straßenkinder in Düsseldorf, sondern bald auch einen Wanderzirkus in Spanien, Fabrikarbeiter in Sheffield oder die Ostermärsche im Ruhrgebiet.

Anrührend ist beispielsweise die Fotografie eines blinden Losverkäufers (1957 in Barcelona), der wie eine Erscheinung aus dem Dunkel auftaucht. Der Mann ist erstaunlich adrett gekleidet, hält ein Kind auf dem Schoß, sein Arbeitsplatz ist die Straße. Ein anderes Bild zeigt Zigeunerkinder in Polen, die barfuß für die Kamera posieren – strahlend vor Lebensfreude.

Alvermann stellt das Menschliche in den Vordergrund. Die Architektur der Städte erkennt man meist lediglich vage im Hintergrund.

Am deutlichsten wird Alvermanns politischer Standpunkt wohl in denjenigen Fotografien, welche die brutale Realität der algerischen Freiheitskämpfe beleuchten. Die beeindruckend authentischen Bilder sollten eigentlich bei Rowohlt in Form eines Fotobands publiziert werden. Weil man die noch brüchige deutsch-französische Aussöhnung jener Jahre nicht belasten wollte, zogen sich die Verleger aber bald aus dem Projekt zurück. 1960 fand Alvermann immerhin einen Verlag in der DDR, der das Fotobuch als Hardcover herausbrachte.

Vermutlich kannte der engagierte Fotograf Susan Sontags These, dass "das Fotografieren seinem Wesen nach ein Akt der Nicht-Einmischung" sei. Ein Dilemma für jeden sozial denkenden Fotografen, der mit seinen Bilddokumenten ja gern mehr erreichen würde als nur sentimentale Einfühlung.

Womöglich aus diesem Grund verzichtete Alvermann seit 1966 auf die journalistische Arbeit mit der Kamera. Bereits im Jahr 1965 war er in die DDR umgezogen, weil er dem politischen Kurs in der Bundesrepublik misstraute. Seit den 1960er Jahren machte er auch als Schriftsteller auf sich aufmerksam.

Der 1937 in Düsseldorf geborene Dirk Alvermann hat dem Stadtmuseum nun über 200 Fotografien und Fotobücher überlassen. Die eindrucksvollsten Werke dieser Schenkung zeigt das Museum noch bis Ende des Jahres in seiner repräsentativen Schau.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort