"Ich war kein Sympathisant der RAF"

Seit fast fünf Jahrzehnten ist der Schriftsteller Friedrich Christian Delius Beobachter und Mitwirkender des bundesrepublikanischen Literaturlebens – von seiner ersten Teilnahme beim Treffen der Gruppe 47 bis hin zum Büchner-Preis, mit dem er im vergangenen Jahr geehrt wurde. Jetzt sind seine biografischen Skizzen unter dem Titel "Als die Bücher noch geholfen haben" erschienen, die der 69-jährige Autor am Dienstag, 27. März, im Düsseldorfer Heine Haus vorstellen wird.

Der Titel Ihrer Skizzen klingt arg pessimistisch.

Delius Ach was, der Titel ist weder nostalgisch noch pessimistisch. Es ist ein eingebauter Widerhaken. Natürlich können Bücher heute noch helfen, wenn man bereit ist, sie aufzuschlagen und sich ihnen zu öffnen. Ich erzähle vornehmlich von der Zeit, als mir die Bücher geholfen haben. Und wie ein stotternder und stummer Junge seine Identität in den Büchern fand.

Bereits kurz nach der Schulzeit sehen Sie für sich nur den Weg "hin zu den Büchern", wie es heißt.

Delius Als 20-Jähriger habe ich als Berufswunsch angegeben: Lektor, Redakteur. Das war mein Ideal, ich wollte ins literarische Leben. Diese Unbeirrtheit erstaunt mich heute selber, aber es war einfach so.

War dieses Bekenntnis auch eine Reaktion auf ihren Sprachverlust in der Jugend?

Delius Das Stottern und die damit verbundene Schüchternheit – vom achten Lebensjahr bis weit in die Studentenzeit – habe ich nur langsam überwunden. Aber wer schweigt und stottert, mag im Idealfall zu einem besonders glühenden Liebhaber der Sprache werden.

Zur frühen Berufswahl kam bei Ihnen noch die sehr frühe Einladung zu einem Treffen der Gruppe 47. War dieser schnelle Aufstieg in die Literaturbundesliga auch gefährlich?

Delius Mir war immer klar, dass man auch sehr schnell aus dieser Bundesliga wieder absteigen kann.

Wie war es bei der ersten Lesung vor der Gruppe, als sie auf dem gefürchteten sogenannten elektrischen Stuhl neben Hans Werner Richter saßen?

Delius Ich hatte eine Handvoll Gedichte dabei, die mein Verleger Wagenbach zuvor gesehen hatte und aus denen er ein Buch machen wollte. Ich konnte mir also relativ sicher sein; die Gefahr, dass mir eine schlimme Abfertigung widerfahren würde, war gering.

Hatten Sie denn bei Ihrer ersten Lesung einen Bonus wegen Ihres Alters?

Delius Nein, so etwas gab es da nicht. Ich war auch nicht der Allerjüngste. Einen Bonus gab es für niemanden – nicht einmal für berühmte Leute wie Hans Magnus Enzensberger oder Walter Jens.

Sie beschreiben auch Handkes Auftritt bei der Gruppe 47 in Princeton 1966, bei dem er den versammelten Autoren "Beschreibungsimpotenz" vorwarf. Hatte er damit das Ende eingeleitet?

Delius Er hat das ja nicht nur der Gruppe 47 vorgeworfen, sondern der "ganzen deutschen Literatur". Das war eine Irritation, aber es war nicht das Ende. Die Gruppe hat sich ja nur ein Jahr später wieder getroffen. Den genau vorbereiteten Angriff Handkes hatte man da schon verdaut. 1967 begannen die politischen Brüche zwischen eher sozialdemokratischen und den eher sozialistisch denkenden Autoren.

Einen breiten Raum nimmt die Schilderung Ihrer Zeit im Wagenbach-Verlag ein und die umstrittene Veröffentlichung der RAF-Schriften über den bewaffneten Kampf. Wie schmal war damals für Sie der Grat, selbst zum Sympathisanten zu werden?

Delius Für mich war das der falsche Weg. Ich konnte mit dieser Seite, dieser Sekte nie sympathisieren. Das entsprach nicht meinem Temperament und meinem Denken. Ich war nie ein Parteigänger, sondern ein Anhänger der Differenzierungskunst, also der Literatur.

(RP)
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