Ursula Heinen Esser im Interview „Ich kaufe kein Fleisch bei Discountern“

NRW-Umweltministerin Ursula Heinen Esser (CDU) fordert im Interview mit unserer Redaktion, dass Lebensmittel nicht zu billig verkauft werden.

 Umweltministerin Ursula Heinen-Esser. Foto: Anne Orthen

Umweltministerin Ursula Heinen-Esser. Foto: Anne Orthen

Foto: Anne Orthen (ort)

Ursula Heinen-Esser ist gerade aus dem Urlaub zurück. Sie sitzt im Auto auf dem Weg von Warendorf nach Düsseldorf. Ein Hybrid-Fahrzeug, das nur 40 Kilometer rein elektrisch fahren kann. „Da muss sich auf Seiten der Hersteller noch etwas tun“, meint die NRW-Umweltministerin.

Wo sind Sie gerade?

Ich bin gerade auf dem Weg vom Nordrhein-Westfälischen Landgestüt in Warendorf zurück nach Düsseldorf.

In welchem Auto sitzen Sie?

Mein Dienstwagen ist ein Hybrid-Fahrzeug eines deutschen Herstellers – eigentlich ein schönes Auto, aber mit dem kann ich leider nur 40 Kilometer elektrisch fahren kann, wenn ich nicht schneller als 40 km/h fahre. Da muss sich auch auf Seiten der Hersteller noch etwas tun. Die Automobilindustrie war jahrzehntelang an der Spitze der Entwicklung. Beim Übergang in die Elektromobilität scheint sie sich schwer zu tun.

Haben Sie an Silvester auch ein paar Feinstaub-Böller gezündet?

Nein, ich war auf Mallorca - da sind Feuerwerke unüblich. Da isst man zwölf Trauben um Mitternacht.

Sollte man Silvester-Feuerwerke verbieten?

Diese Forderung finde ich übertrieben. Ich bin selbst zwar kein Freund von Feuerwerken. Aber es gibt eine Tradition, das neue Jahr mit einem Feuerwerk zu begrüßen. Dies sollte man nicht verbieten, zum Schutz von Umwelt und Sicherheit aber überlegen, ob, wo und was man zündet.

Wird es 2019 Fahrverbote für Diesel in NRW geben?

Wenn es uns gelingt, die Luftqualität in belasteten Straßen weiter zu verbessern, wird es keine Verbote geben. Die Gerichte haben Fahrverbote für Köln, Bonn, Essen und Gelsenkirchen verfügt, in Aachen als wahrscheinlich bezeichnet. Wir als Land sind in jedem dieser Fälle in Berufung gegangen - in Absprache mit den Kommunen. Es ist zu erwarten, dass die laufenden Berufungsverfahren in 2019 abgeschlossen werden.

Gehen Sie nun von Fahrverboten aus oder nicht?

Ich arbeite intensiv daran, sie zu verhindern. Ich bin zuversichtlich, dass dies gelingt, wenn alle an einem Strang ziehen. Wenn nicht, kann ich es natürlich nicht versprechen, da wir uns in gerichtlichen Auseinandersetzungen befinden. Am Ende entscheiden die Gerichte.

Wo sind Fahrverbote am wahrscheinlichsten?

Ich sehe eine Chance, die Grenzwerte zu erreichen. Die Bezirksregierungen arbeiten mit den Kommunen unter Hochdruck an der Fortschreibung ambitionierter Luftreinhaltepläne, die zur Verbesserung beitragen. Vielerorts gehen die Stickstoffdioxidwerte zurück. Dieser Trend muss Fahrt aufnehmen. Dies erfordert eine intensive Arbeit in den Kommunen. Wir benötigen Maßnahmen wie mehr Park&Ride-Parkplätze an den Stadträndern, veränderte Ampelschaltungen, eine Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs und die Umrüstung der Busflotten auf elektrische Antriebe.

Was trägt die Landesregierung bei?

Wir helfen bei den Luftreinhalteplänen, indem wir die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen berechnen und bewerten. Wir unterstützen Städte und Gemeinden bei der Umsetzung neuer Verkehrskonzepte, fördern den Ausbau des ÖPNV, von Radwegen und alternativen Antrieben. Auf der rechtlichen Seite wollen wir belegen, dass Fahrverbote unverhältnismäßig sind, weil sie zu viele Menschen zu stark belasten. Was ist mit dem Anwohner, der mit seinem Pkw nicht mehr vor das eigene Haus fahren kann?

Ministerpräsident Armin Laschet hat gesagt, Fahrverbote seien „rechtswidrig“. Teilen Sie diese Position?

Ministerpräsident Laschet hat gesagt, dass flächendeckende Diesel-Fahrverbote unverhältnismäßig und so nicht mit dem deutschen Recht vereinbar sind. Diese Einschätzung fußt auf dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Die Richter haben in ihrem Grundsatzurteil die Wahrung der Verhältnismäßigkeit betont und uns damit wichtige Hinweise für die Fortschreibung der Luftreinhaltepläne gegeben.

Warum hat die Politik jahrelang den Kauf von Diesel-Fahrzeugen empfohlen und gefördert?

Weil Diesel ein Baustein zur Senkung der CO2-Belastung sind. Dieses klimaschädliche Gas muss vermieden werden, und Diesel stoßen da bei gleicher Motorleistung weniger aus als Benziner. Wir haben das einmal für Köln abgeschätzt. Der CO2-Ausstoß würde um circa 5-10 Prozent steigen, wenn die jetzige Pkw-Flotte auf Benzinfahrzeuge umgestellt würde. Deshalb halte ich die Fokussierung auf den Diesel auch für falsch. Man muss die Summe aller Schadstoffe von sämtlichen Verkehrsträgern betrachten.

Wie sieht das Auto der Zukunft aus?

In den Großstädten wird es ein Elektrofahrzeug sein, auf dem Land Pkw mit Verbrennungsmotor, auch Wasserstoff und Brennstoffzellen werden an Bedeutung gewinnen. Wahrscheinlich gehört die mittelfristige Zukunft den Hybrid-Motoren. Insgesamt benötigen wir nachhaltige Mobilitätskonzepte mit einem Mix der verschiedenen Antriebstechnologien und einem leistungsfähigen ÖPNV.

Wem haben die Diesel-Fahrer den Schlamassel zu verdanken?

Einer allgemeinen Untätigkeit über mehr als zehn Jahre. Dass ab dem Jahr 2010 der Grenzwert einzuhalten sein würde, war lange vorher bekannt. Einige wenige Städte habe eine Fristverlängerung erhalten, die 2014 ausgelaufen ist. Seit 2015 klagt die Deutsche Umwelthilfe. Wer ist jetzt Schuld? Mit Sicherheit auch die Automobilindustrie. Sie hat teils manipuliert, ganz sicher aber die Sachlage ignoriert. Deswegen ärgere ich mich auch so über die mangelnde Bereitschaft der Hersteller, sich in der Nachrüstung ausreichend zu engagieren. Ich verstehe diese Politik nicht. Die Hersteller befinden sich in einer immensen Vertrauenskrise und unternehmen wenig, um das zu ändern.

Wer hat politisch versagt: Das Land oder der Bund?

Schon vor einigen Jahren hätte die Politik Druck auf die Hersteller ausüben müssen. Seit 2010 hätte sie die Möglichkeit dazu gehabt. Beim Diesel hat die Politik fünf Jahre Verhandlungszeit verloren. Nehmen wir aktuell das Beispiel Hardware-Nachrüstungen. Bundesverkehrsminister Scheuer brauchte einige Zeit, um die technischen Rahmenbedingungen für die Nachrüstung der Fahrzeuge vorzulegen. Ende Dezember 2018 hat er sie endlich vorgelegt. Und prompt veröffentlicht VW eine Pressemitteilung, in der das Unternehmen von Hardware-Nachrüstungen bei Diesel-Pkw abrät.

Kann die Politik nicht mehr Druck auf die Hersteller ausüben?

Bei den offenkundig manipulierten PKW selbstverständlich. Die anderen Fahrzeuge sind jedoch rechtmäßig in Verkehr gebracht worden. Bezogen auf das Gros der Diesel-Fahrzeuge, die zu viele Schadstoffe emittieren, gibt es keine rechtliche Handhabe. Da bleibt nur der Verhandlungsweg.

Die Marktwerte der Diesel sind eingebrochen. Die Verbraucher haben ja jetzt schon einen Schaden …

… das wird sich hoffentlich entspannen, wenn zumindest teilweise die Hardware-Nachrüstung kommt und es gelingt, Fahrverbote zu verhindern. Das wird sich im Verlauf des Jahres zeigen. Dann würde sich auch der Markt für Diesel-Fahrzeuge wieder stabilisieren.

Wird die Hardware-Nachrüstung in der Fläche noch kommen?

Wenn Sie mich heute fragen, befürchte ich: Nein. Die Hersteller drücken sich immer noch hartnäckig vor der Nachrüstung. Aber nicht jeder kann sich mal eben einen neuen PKW leisten – Zuschüsse hin oder her. Es ist Aufgabe der Automobilbranche, den eigenen Ruf und den Ruf des Diesels wiederherzustellen.

Sie waren bei der UN-Klimakonferenz in Kattowitz. Wer außer Deutschland nimmt solche Konferenzen noch ernst?

Die große Mehrheit der Staaten. Es wurden Beschlüsse gefasst, die einen klaren Rahmen zur Umsetzung des Pariser Klimaübereinkommens vorgeben und den nationalen Klimazielen einen verbindlicheren Charakter verleihen. Wir in NRW haben uns hier klare Ziele gesetzt und gehen mit gutem Beispiel voran. Wir müssen einerseits runter mit den Emissionen, andererseits hoch mit den Anpassungsmaßnahmen.

Welchen Preis müssen die Verbraucher zum Schutz des Weltklimas zahlen?

Der Preis stieg ins unermessliche, wenn wir auf Klimaschutz und Klimaanpassung verzichten würden. Das vergangene Jahr hat deutlich gezeigt: Der Klimawandel trifft uns schon heute und hier vor unserer Haustür. Klimaschutz bedeutet nicht unbedingt Verzicht und Entbehrung. Es hängt vom persönlichen Verhalten und vom technischen Fortschritt ab. In NRW erreichen wir mit besserer Technologie Einsparungen und erschließen neue Märkte. Es wird natürlich Veränderungen geben. Der Verkehr wird vernetzter, integrierter werden. Jeder kann seinen Beitrag leisten, sich bewusst machen, was dem Klima schadet und hilft und z.B. auch mal freiwillig das Auto stehen lassen.

NRW gehört zu den größten CO2-Emittenten. Müssen wir schneller als geplant aus der Braunkohle aussteigen?

Warten wir mal ab, was die Kohlekommission aushandelt. Ich glaube, es wird ein vernünftiges Ergebnis geben.

Haben Sie keine eigene Meinung?

Ich setze auf Erneuerbare Energien. Ich glaube an ihr enormes Potential. Wir haben auch den Ausstieg aus der Kernenergie gut verkraftet. Ich bin für einen zügigen Ausstieg aus der Braunkohle, aber ich lege mich nicht auf ein Datum fest. Das übersteigt auch die Kompetenzen eines einzelnen Bundeslandes, das muss das Miteinander der Länder entscheiden. Wirtschaftsminister Pinkwart hat dies fest im Blick.

Wo kauft die NRW-Landwirtschaftsministerin privat Fleisch ein?

In Kölner Metzgereien. Handwerkliche Betriebe, die ich kenne. und denen ich vertraue.

Wo würden Sie Ihr Fleisch niemals kaufen?

Fleisch und überhaupt Lebensmittel sind als Lockvogelangebote gänzlich ungeeignet. So werden sie insbesondere bei Discountern angepriesen, wo ich persönlich noch kein Fleisch gekauft habe. Mir ist die Mentalität „alles muss billiger sein“ suspekt. Das erzeugt enormen Druck auf die Erzeuger. Dadurch geht die Wertschätzung für Lebensmittel verloren.

Welche Hausaufgaben müssen die Landwirte in NRW erledigen?

Wir diskutieren mit der Landwirtschaft zurzeit eine nachhaltige Nutztierhaltungsstrategie. Sie muss sowohl ökonomisch und sozial als auch tier- und umweltgerecht sein. Forschung, Kontrolle und Transparenz sind hier für mich die wesentlichen Säulen. So benötigen wir ein einheitliches und verständliches Label, das Tierwohl transparent und sichtbar macht. Ein weiteres Instrument, für das ich mich einsetze, ist die Einführung eines Daten-Informationssystems zur Tiergesundheit. Dies dient als Frühwarnsystem. Zur Unterstützung der Kontrollen und Sicherstellung der Tierschutzanforderung streben wir zudem die Einführung von Videoüberwachung in Schlachtbetrieben an.

Der zweite Punkt: Die Landwirtschaft muss sich besser auf den Klimawandel vorbereiten. Die Extreme des vergangenen Jahres haben dies deutlich gemacht. Der Ackerbau muss sich mit neuen Pflanzen beschäftigen, die Dürre aushalten, aber auch Starkregen und andere Extremwetterereignisse. Das Land fördert entsprechende Forschungsvorhaben. Zum Beispiel nutzen Forscher der Universität Bonn ein fahrbares Gewächshaus, um Trockenheit-Szenarien zu simulieren und so Pflanzen zu finden, die Trockenstress besser tolerieren.

Ihre Amtsvorgängerin hatte angeblich Probleme, sich im NRW-Umweltministerium durchzusetzen. Bauen Sie die Behörde um?

Ich fühle mich in meinem Amt und in dem Haus wohl. Wer Umweltpolitik macht, hat einen besonderen politischen Ansatz, gleich welcher politischen Partei er oder sie angehört. Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz – das Haus hat eine große Themen- und Gestaltungsvielfalt.

Richten Sie die Stabsstelle für Umweltkriminalität wieder ein?

Die Arbeit der Stabsstelle wurde Ende 2017 in die Fachabteilungen verlagert. Ich schaue mir die Funktionsfähigkeit der jetzigen Struktur in Ruhe an. Sofern Bedarf besteht, diese weiter zu verändern, werden wir dies tun.

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