Interview mit Expertin für Lernarchitekturen Blick in die Universität der Zukunft

Die Expertin für Lernarchitekturen erklärt, welche Zukunft der klassische Hörsaal hat und wie Studenten künftig lernen werden.

 Angenehmes Licht, bequeme Sitzgelegenheiten – so könnten die Lernräume der Zukunft aussehen.

Angenehmes Licht, bequeme Sitzgelegenheiten – so könnten die Lernräume der Zukunft aussehen.

Foto: CHE/Zentrum für Hochschulentwicklung CHE

Veranstaltungen mit 400 Leuten in einem Hörsaal, oder Seminare in Klassenzimmer-Atmosphäre – so sieht an den meisten Hochschulen noch immer der Lernalltag vieler Studierender aus. Moderne Lehre, weg vom lehrerzentrierten hin zum projektorientierten Lernen, funktioniert in solchen Räumen eher nicht. Anne Prill, Expertin für Lernarchitekturen im Hochschulforum Digitalisierung beim CHE – Centrum für Hochschulentwicklung, hat sich deutschlandweit verschiedene moderne Lernräume an Hochschulen angesehen und darüber geforscht und publiziert.

Frau Prill, wie sah es aus in den modernisierten Lehrräumen, die Sie sich angeschaut haben?

Prill Die Hochschule der Medien in Stuttgart hat eine flexible und multifunktionale Lernwelt geschaffen, in dem alle Möbel – also Tische, Hocker, Stühle – Rollen haben und sich verschiedenartig zusammenstellen lassen. Man kann Einzelarbeitsplätze ebenso schaffen wie einen abgeschlossenen Lernraum für Gruppen. Auch Bildschirme sind beweglich – die Studierenden sollen sich die Räume so herrichten, wie sie es brauchen. Die Technische Hochschule Mittelhessen hat ihre Bibliothek zu einem serviceorientierten Lernort gemacht, in dem auch Kurse zum wissenschaftlichen Arbeiten stattfinden und in dem es Platz für Gruppen- und Einzelarbeiten gibt. Die Code University of Applied Sciences in Berlin versteht sich als Community Campus. Er ist in einen großen Bürokomplex, der „Factory“, mit einer Vielzahl von Unternehmen und Start-Ups eingebettet die wiederum in gemeinschaftlichen Projekten mit den Studierenden kooperieren. Die SRH Hochschule Heidelberg hat ihren gesamten Campus umgekrempelt und alle Lernräume, auf Basis ihrer hochschulweiten Lehrstrategie, neu und flexibel eingerichtet.

Wie haben Sie die Atmosphäre in den neuartigen Lernräumen wahrgenommen, die Sie besucht haben?

Prill Überall herrschte ein gutes Licht – und Farben wurden intensiver eingesetzt. Das ist schon ein Unterschied zu einem herkömmlichen Hörsaal, wenn man auf bunten Stoffmöbeln Platz nimmt, die leicht und bequem sind. Die modernen Räume vermitteln: „Sei willkommen, bleib solange hier, wie du möchtest“. Große Flächen, Offenheit – das vermittelt einen interdisziplinären Charakter. An der Code University gab es selbst für die Lehrenden keine Einzelbüros, sondern einen großen Raum – wie ein Lehrerzimmer.

Vor allem Raum-in-Raum-Konzepte scheinen angesagt zu sein.

Prill Absolut, das zieht sich durch alle Beispiele, die ich mir angeschaut habe. Das bedeutet, dass man eben durch bewegliche Möbel kleine Raumeinheiten in einem großen Raum schaffen kann – auch mit der nötigen Privatsphäre. Und so kann man verschiedene didaktische Ansätze verwirklichen: Also Plenum, Stuhlkreis oder Gruppentische. Und das macht auch den Hauptunterschied zu klassischen universitären Räumen aus, wie wir sie kennen. Denn Hörsäle und Seminarräume sind im Grunde immer noch gleich eingerichtet und häufig auf Frontalunterricht ausgelegt – das entspricht aber nicht mehr der modernen Lehre.

Was bedeutet das konkret?

Prill Hochschulen müssen Lernraumentwicklung als strategische Aufgabe verstehen und auch umbauen. Wer weg möchte vom Frontalunterricht, der muss auch entsprechende Räume haben. An den Hochschulen finde ich vor allem traditionelle Lernräume. Wenn ich aber projektorientiertes Lernen umsetzen möchte, wenn ich meine Studierenden zu Problemlösern ausbilden will, dann muss ich Ihnen Räume geben, die auch zu Austausch und Gruppenarbeit einladen. Die Kommunikation möglich machen. Das ist der Knackpunkt an der Gestaltung der meisten Campusse. Die SRH Hochschule Heidelberg hat tatsächlich den ganzen Campus umgestaltet, Raum für Raum, weil die Räume nicht mehr zum neuen Lernkonzept passten. Die Hochschulen müssen sich mit der Frage beschäftigen, welche Art der Lehre sie anbieten wollen – und wie die Räume dazu aussehen können. Umgekehrt gilt natürlich auch: Moderne Lehre macht man ja beileibe nicht nur, weil man plötzlich ein paar neue Möbel hat.

Welche Tipps haben Sie für Hochschulen, die an eine Umgestaltung denken?

Prill Lernraumentwicklung an Hochschulen ist ein komplexer Prozess, der am besten in Form von Pilotphasen umgesetzt werden sollte. Das heißt, Neuerungen werden zunächst erprobt und mit den Nutzern reflektiert und weiterentwickelt. Man sollte sich zunächst alle Räume ansehen, also eine Art Raum-Mapping machen und darauf aufbauend ein Konzept erarbeiten – immer vor dem Hintergrund des pädagogischen Konzepts der Hochschule. Wichtig ist, dass man Studierende und Lehrende während des ganzen Prozesses mit an Bord holt, sie unterstützt und Feedback einholt. Ein schönes Beispiel ist auch, dass man eine Art Anleitung für jeden Raum geben könnte, in der verschiedene mögliche Raumszenarien gezeigt werden und diese direkt im Raum aufhängt. Es geht ja nicht darum, jeden Hörsaal abzuschaffen. Aber wenn sich meine Studierenden zu Menschen entwickeln sollen, die kritisch denken, kommunikativ und kreativ sind, dann kann ich nicht dauerhaft nur Lernräume anbieten, die auf Frontalunterricht ausgelegt sind.

Sind moderne Räume auch ein Wettbewerbsvorteil?

Prill Sicherlich. Wer moderne Lehre in modernen Räumen anbietet, wird bei potenziellen Studierenden sicher einen guten Eindruck hinterlassen. Aus meiner Sicht hat zeitgemäße Lernraumgestaltung auch etwas mit Wertschätzung gegenüber den Studierenden zu tun. Zumal viele Schulen schon sehr viel weiter sind als manche Hochschule. Das heißt: Die Abiturienten kommen aus einem kommunikativen Lernraum – und sitzen plötzlich in einer Reihe frontal vor einem monologisierenden Dozenten. Da werden sie sich schon die Frage stellen, ob sie diese Art des Lernens akzeptieren wollen.

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