Zweifel am Studien „Abbrecher sind bei vielen Betrieben sehr begehrt“

Interview · Am Studium zu zweifeln ist heute kein Tabu mehr: Viele Hochschulen zeigen Studienzweiflern alternative Wege auf. Silke Höfle, die an der Hochschule Niederrhein Studienabbrecher berät, macht deutlich: Als Auszubildende sind diese extrem begehrt.

 Hilft Studienzweiflern: Beraterin Silke Höfle.

Hilft Studienzweiflern: Beraterin Silke Höfle.

Foto: Silke Höfle/privat

Frau Höfle, Next Step Niederrhein heißt das Projekt bei Studienzweifeln und Studienabbruchgedanken, das Sie an der Hochschule Niederrhein leiten. Noch vor einigen Jahren hat sich kaum jemand um Studienabbrecher gekümmert, sie gingen im System Hochschule oft einfach verloren. Wie kommt es, dass jetzt gleich mehrere NRW-Hochschulen spezielle Beratungsangebote geschaffen haben?

Höfle Gut die Hälfte der Studierenden hat im Studienverlauf mal Zweifel am Studium. 27 bis 30 Prozent  der Bachelor-Studierenden brechen dann bundesweit auch tatsächlich ohne Abschluss ab. Das ist eine große Zahl. Natürlich möchte man diese Leute nicht verlieren. Oder anders gesagt: Auch wenn sie nicht an der Hochschule bleiben, so möchte man sie doch als Fachkräfte behalten, etwa in einer Ausbildung in Industrie, Handel oder Handwerk. Und man möchte sie in dieser schwierigen Situation, wo sie orientierungslos sind, in einer Krise sind, nicht alleine lassen. Das Land NRW hat die Beratungen für Studienzweifler seit dem Jahr 2017 aktiv gefördert und tut dies auch weiterhin. So sind tolle Strukturen entstanden, wie etwa unser Projekt „Next Step Niederrhein“, das wir gemeinsam mit der Hochschule Rhein-Waal aufgebaut haben.

In welcher Situation sind die Studierenden, die zu Ihnen in die Beratung kommen?

Höfle Sie wissen nicht, wohin. Sie haben in der Schule auf das Abitur hingearbeitet, sind jetzt an der Hochschule und merken: Es läuft nicht wie gedacht, es passt nicht. Oft ist das die erste Krise, in der sie sich überhaupt befinden, und sie empfinden ihre Zweifel als Scheitern. Viele haben auch Angst, die Familie zu enttäuschen.

Was sind die Probleme der Studierenden?

Höfle Manche fühlen sich überfordert, manche möchten lieber praktisch arbeiten. Andere sind nicht angekommen in der Hochschulwelt, fühlen sich am Campus fremd. Es gibt eine Gruppe, die merkt relativ früh, also in den ersten Semestern, dass etwas nicht stimmt. Dass das Fach überhaupt nicht das ist, was sie sich vorgestellt haben, oder dass sie sich in der Stadt nicht wohlfühlen. Sie wissen oft nicht, was sie sonst eigentlich machen sollen, haben vielleicht studiert, was die Eltern gerne wollten, oder haben sich einfach nach dem Abi an die besten Freunde rangehangen, und sich in das gleiche Fach eingeschrieben. Dann gibt es die Gruppe, die schon weiter fortgeschritten ist im Studium. Da gibt es Studierende, die waren vielleicht schon eine Weile nicht mehr in ihren Kursen, waren nur noch auf dem Papier eingeschrieben, haben viele Nebenjobs. 

Wie helfen Sie den Studierenden?

Höfle Wir bieten den Ratsuchenden Hilfe zur Selbsthilfe in Form eines persönlichen Eins-zu-Eins-Coachings. Und das an allen vier Standorten unserer beiden Hochschulen, also Krefeld und Mönchengladbach, Kleve und Kamp- Lintfort. Das kostenlose Coaching ist nicht auf einen oder zwei Termine beschränkt, sondern prozessbegleitend ausgerichtet, wir beraten also immer wieder und so lange, wie es nötig ist. Ganz wichtig: Wir beraten neutral. Das heißt, wir sind zwar eine Einrichtung der Hochschule – aber wir unterstützen auch dabei, Wege abseits der Hochschule zu finden. Wir kümmern uns um unsere Studierenden, auch wenn es mal hakt.

Welche Wege zeigen Sie den Studierenden auf?

Höfle Nicht jeder, der zweifelt, bricht auch ab. In unserem Coaching geht es darum, sich die eigenen Ziele klar zu machen. Also: Wo sind meine Stärken, und wo möchte ich hin? Gegebenenfalls ist dieses Ziel sehr wohl mit dem bisherigen Studium zu erreichen – man muss vielleicht nur Schwerpunkte verschieben. Dann gibt es die Möglichkeit, den Hochschulort zu wechseln. Vielleicht fühle ich mich an der Hochschule nicht wohl? Vermisse Freunde oder Familie? Dann macht es Sinn, dem Studium an einer anderen Hochschule noch eine Chance zu geben. Eine andere Möglichkeit kann sein, das Fach zu wechseln. Etwa, wenn das bisher studierte überhaupt nicht den Vorstellungen entsprochen hat.

Was ist, wenn ich aussteigen möchte aus dem Studium?

Höfle Auch dann entwickeln wir mit den Ratsuchenden einen Plan B. Sie wissen in dieser Situation oft gar nicht, was sie machen sollen, haben keine Idee. Dass sie eine Ausbildung machen könnten, kommt ihnen oft nicht in den Sinn – viele empfinden das als „Rückschritt“, nach dem Motto: Mit Abitur muss ich doch studieren! Dabei muss man ganz klar sagen: Studienabbrechende sind bei vielen Betrieben sehr begehrt! Unternehmen empfinden diese Auszubildenden als reif, engagiert, reflektiert, loyal und zielstrebig. Sie haben sich den Schritt in die Ausbildung sehr gut überlegt. Wir haben inzwischen eine Unternehmensliste mit über 80 regionalen Unternehmen, bei denen Studienaussteiger und Studienaussteigerinnen herzlich willkommen sind. Außerdem verfügen wir über direkte Ansprechpartner bei IHK, Handwerkskammer und der Agentur für Arbeit, an die wir unsere Studienaussteiger dann ohne große Umwege verweisen können. Auch sind viele Betriebe für die Zielgruppe der Ex-Studierenden flexibler geworden, etwa, was den Start in die Ausbildung oder deren Dauer angeht. Wenn man beispielsweise im Februar sein Studium abbricht, muss man nicht unbedingt bis zum August/September warten, bis die Ausbildung startet.

Warum haben Studienaussteiger den Weg in die Ausbildung so wenig auf dem Schirm?

Höfle Die Studierenden sind oft jung, sie sehen nicht, dass der Studienabbruch auf ihrem langen Berufsweg nur eine kleine Episode ist. Deshalb sind sie sehr verunsichert, fühlen sich gescheitert. Genauso wenig sehen sie, dass die Ausbildung eine Grundlage ist, auf der man dann ja weiter aufbauen kann. Die Arbeitswelt ist extrem dynamisch. Und wer weiß, vielleicht finden Studienaussteigende, die eine Ausbildung machen, anschließend doch wieder den Weg an die Hochschule. Etwa, um berufsbegleitend zu studieren.

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