Umweg an die Uni Studieren ohne Abitur – so geht’s

Die Zahl der Studierenden ohne Abitur hat sich in zehn Jahren mehr als verdoppelt. Denn nach Ausbildung und erster Berufserfahrung ist es möglich, auch ohne Abi ein Studium aufzunehmen. Experten verraten worauf Interessierte achten müssen.

 Wer ohne Abitur ein Studium aufnehmen möchte, muss ein paar Dinge beachten.

Wer ohne Abitur ein Studium aufnehmen möchte, muss ein paar Dinge beachten.

Foto: dpa/Felix Kästle

Als Friseurmeisterin doch noch Maschinenbau studieren, Oder als Finanzfachwirt in die Sozialarbeit gehe. Klingt abwegig? Ist es aber nicht. Immer mehr Menschen in Deutschland entscheiden sich nach einiger Zeit im Beruf für ein Studium – und mit bestimmten beruflichen Qualifikationen können sie dies auch ohne Abitur beginnen. Seit 2011 hat sich die Zahl der Studierenden ohne Abitur in Deutschland von 32.200 auf 70.338 mehr als verdoppelt. Dies bedeutet im Zehn-Jahres-Verlauf einen neuen Höchststand und entspricht einem Anteil von aktuell 2,4 Prozent an der gesamten Studierendenschaft in Deutschland.

Welche Bedingungen man erfüllen muss, um ohne Abitur zu studieren, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. „Bei uns in Nordrhein-Westfalen ist es nach mindestens zwei Jahren Ausbildung und mindestens drei Jahren Berufserfahrung möglich, ein Studium auch ohne Abitur zu beginnen“, sagt Vanessa Helfmeier, Studienberaterin an der Ruhr-Universität Bochum. Auch für die sogenannten Aufstiegsfortgebildeten, also Meisterinnen und Meister, Technikerinnen und Techniker oder Fachwirte, sei der Weg frei. Wichtig: Mit diesen Qualifikationen ist der Weg in jedes beliebige Fach möglich, es muss inhaltlich nicht zu dem passen, was der Anwärter oder die Anwärterin beruflich zuvor gemacht haben. „Allerdings kann es zu Zugangsprüfungen kommen, das entscheidet die jeweilige Fakultät“, erklärt Helfmeier. Für Aufstiegsfortgebildete falle diese Zugangsprüfung allerdings weg. Und so kann dann tatsächlich ein Tischlermeister noch Medizin ­studieren.

Ob junge Menschen, die direkt nach Ablauf der drei Jahre Berufserfahrung in ein Studium einsteigen wollen, oder 50- und 60-Jährige, die sich nochmal völlig umorientieren wollen: Die Bandbreite der Lebensläufe der Studierenden ohne Abitur ist groß. „Eine wichtige Motivation ist sicherlich, dass man mit einem Studium eine andere Karriere einschlagen, andere Positionen erreichen kann“, sagt die Expertin der Ruhr-Universität.

„Schätzungsweise vier von fünf Personen in Deutschland könnten aufgrund ihrer schulischen oder beruflichen Qualifikation ein Studium aufnehmen – und immer mehr nutzen auch diese Option“, ergänzt Frank Ziegele, Geschäftsführer des CHE Centrum für Hochschulentwicklung, das regelmäßig die Entwicklung beim Studium ohne allgemeine Hochschulreife und Fachhochschulreife analysiert. „Dass immer mehr Menschen für ihre Bildungsbiografie das Beste aus beruflicher und akademischer Bildung mitnehmen wollen, zeigt, wie wichtig ein gutes System nachschulischer Bildung ist, das beide Welten verbindet.“

Nach wie vor bestehen laut CHE zwischen den 16 Bundesländern teilweise große Unterschiede beim Studium ohne Abitur. Die Spitzengruppe wird angeführt von Thüringen mit einem Erstsemesteranteil von 13,5 Prozent. Dahinter folgen Hamburg (5,1 Prozent) und Bremen (4,9 Prozent). Hauptverantwortlich für den ungewöhnlich hohen Wert in Thüringen ist die IU Internationale Hochschule. Rund ein Viertel aller Studienanfänger ohne Abitur im Deutschland sind momentan an der IU mit Hauptsitz in Erfurt eingeschrieben. Neben der IU gehören die staatliche Fernuniversität in Hagen und die private Diploma Hochschule zu den drei am stärksten nachgefragten Hochschulen bei Erstsemestern, die über den beruflichen Weg ins Studium gelangen.

„Im Zehn-Jahres-Vergleich zeigt sich, wie immens der Boom bei den privaten Hochschulen ist. Schrieben sich 2011 gerade einmal rund 18 Prozent aller Erstsemester ohne Abitur oder Fachhochschulreife dort ein, sind es jetzt fast 50 Prozent“, erläutert Sigrun Nickel, Leiterin Hochschulforschung beim CHE. „Eine wesentliche Ursache für diesen Trend ist, dass private Hochschulen ein sehr flexibles Studienangebot mit hohen Anteilen von E-Learning bereitstellen, welches in Teilzeit absolviert werden kann. Dies kommt berufserfahrenen Studierenden oftmals entgegen, die mit einem Durchschnittsalter von 33 Jahren rund siebeneinhalb Jahre älter sind als ihre Kommilitonen mit Abitur und häufig schon Familie haben.“

Auch Vanessa Helfmeier von der Ruhr-Universität Bochum weiß um die Schwierigkeiten, die Studierende haben, wenn sie nach der Berufstätigkeit mit einem Vollzeitstudium an einer Präsenzuniversität starten. „Man muss bereit sein, den kompletten Lebensstil zu wandeln. Man hat viel weniger Zeit um zu arbeiten, viel weniger Zeit für die Familie. Da braucht es ein gutes Selbst- und Zeitmanagement“, sagt sie. Zudem liege die Schulzeit eben bei vielen schon eine Weile zurück – den Weg ins Lernen zu finden sei eine weitere Herausforderung. „Wer mit Mittlerer Reife ein Ingenieurstudium aufnimmt muss auch damit rechnen, gerade in Mathematik viel nachholen zu müssen“, so die Studienberaterin.

Eine weitere Hürde: Die finanzielle Situation ändert sich, man kann weniger oder gar nicht mehr arbeiten. „Bafög zu beantragen kann auch für beruflich qualifizierte Studierende eine Option sein, dass sollte man in jedem Fall prüfen“, sagt Helfmeier. Auch die Bewerbung um das Aufstiegsstipendium des Bundesbildungsministeriums ist möglich.

Und noch eine wichtige Information für alle, die mit dem Gedanken spielen, nach beruflicher Qualifikation und ohne Abitur ein Studium aufzunehmen: Es gelten sehr frühe Bewerbungsfristen. Um die formalen Voraussetzungen zu klären und gegebenenfalls Zugangsprüfungen zu absolvieren, müssen sich Studierende ohne Abitur grundsätzlich bereits bis 1. Oktober für das kommende Sommersemester bewerben. Eine Bewerbung ist schon möglich, wenn erst zweieinhalb Jahre der erforderlichen dreijährigen Berufserfahrung absolviert sind. Heißt also: Wer sich jetzt kümmert, kann zum Sommersemester 2024 mit dem Studium beginnen. Wer erst im Wintersemester 2024 beginnen möchte, muss sich dafür bis 1. April nächsten Jahres bewerben.

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