Kolumne Dozentinnenleben Empathie statt App-athie

Sie können helfen, aber ebenso hinderlich sein, nerven oder verwirren: Apps überfluten unseren Alltag mittlerweile in nahezu jeder Lebens- und Gemütslage. Autorin Edda Pulst hat ihre eigenen Erfahrungen damit gemacht.

Edda Pulst ist Professorin an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen.

Edda Pulst ist Professorin an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen.

Foto: Laura Breuer

Am Bahnhof: Bayern. Minus 15 Grad: Der Zubringer nach München kommt nicht. Die Bahn-App auf dem Handy meldet im Minutentakt die neue Verspätung. Nach 30 Minuten Frieren nehme ich ein Taxi. Der Fahrer ist zuversichtlich, dass seine Bahn-App uns Verbindungen von anderen Bahnhöfen liefert. Indes: Unsere Fahrt führt durch Landschaft mit Funklöchern. 3 Prozent der Fläche Deutschlands betrifft das –auch ein Stück Bayern. Ohne Netz taugen Apps oft nix. Für eine unvorstellbare Summe geht’s im Auto zum ICE nach München.

Am gleichen Abend bekomme ich für die Pflege meiner Mutter eine Demenz-App angeboten, die „nachweislich den kognitiven Abbau bei neurodegenerativen Krankheiten reduziert und bei der Pflege unterstützt.“ Ich lehne ab und träume von zupackenden Menschen mit Empathie.

„App" steht für „Application“, auf Deutsch „Anwendung“. Wir laden sie in der Regel auf unser Handy. Für Android-Geräte gibt es aktuell 3,5 Millionen Apps, für Apple 1,6 Millionen. Die Bahn-App stand 2022 auf Platz 14 der Beliebtheits-Skala. Noch davor rangierten die Corona-Warn-App, WhatsApp, eBay, TikTok, Netflix und McDonald’s. Reisekonzerne bieten „Last-Minute“-Apps an. Der Google-Routenplaner zeigt Kohlendioxid-sparende Wege. Psycho-Apps wollen Symptome beseitigen. Motorrad-Apps informieren über Rennstrecken. Party-Apps versprechen Vorsprung beim Smalltalk. „Authenticator-Apps“ schützen bei Bankgeschäften.

Apps erleichtern das Leben und lassen uns bisweilen glauben, dass sie das Denken und Entscheiden übernehmen: App statt Arbeit. Von der Geschwindigkeit der App schließen wir auf die Vertrauenswürdigkeit des Anbieters. Drei Sekunden als maximale Wartezeit. Der Schriftsteller Peter Glaser nennt das Phänomen „Sofortness“. Freilich wächst das Gras nicht schneller, wenn man daran zieht.

Dabei ersetzen Apps weder Unterrichtsausfall noch Lehrermangel, beheben keine Schäden an Brücken, ändern nichts daran, dass Züge im Schritttempo oder gar nicht fahren – sie installieren auch keine Wärmepumpen. Betriebswirtschaftlich gesehen sind Apps oft Quatsch. Viele Gratis-Angebote funktionieren nur, wenn die Werbung durch ist und persönliche Daten eingegeben wurden. Große Konzerne füttern ihre Apps mit immer mehr künstlicher Intelligenz für immer mehr Einfluss.

Dabei lässt sich doch auch ohne App etwas erleben. Mit Empathie. Am Fahrkartenautomat. Leute-nach-dem-Zug-fragen ist eine tolle Begegnungsmöglichkeit. Abge-appt. Am Bahnhof.

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