Kolumne Studentenleben Kulturschock im Seminar

Jedes Land hat seine eigenen Gepflogenheiten in der Lehre und an der Universität. Unser Autor war in Frankreich und hat dort erlebt, dass Diskussion und Interaktion im Hörsaal nicht unbedingt üblich sind.

Leo Solleder studiert im Master Medienkulturanalyse an der Heinrich-Heine-Universität.

Leo Solleder studiert im Master Medienkulturanalyse an der Heinrich-Heine-Universität.

Foto: privat

Stille. Bis auf das hektische Geräusch von Kugelschreibern, die auf Papier kratzen, ist kein Laut zu vernehmen. Ich blicke verunsichert umher, da sich niemand meldet. Dabei hat der Dozent eine Frage gestellt. Über meine anschließende Wortmeldung sind sowohl der Dozent als auch die Kursteilnehmerverwirrt. Er bedankt sich für meinen Beitrag, wechselt aber wieder in seinen Vortragsrhyhtmus. Habe ich etwas falsch gemacht?

Wer in Frankreich einen Teil seines Studiums absolviert hat, dem könnte diese Art von Unterricht bekannt vorkommen. Selbst in kleinen Kursen wird dort noch viel mehr Frontalunterricht praktiziert, eine Diskussionskultur entsteht eher selten. All das wusste ich vor meinem Auslandssemester, ein Dozent in Deutschland sprach sogar vom „französischen Dogma der Unfehlbarkeit des Lehrenden“.

Den größten Unterschied bemerkt man in der Rolle, den die Dozierenden im Seminar ausfüllen. In meinem Studium in Deutschland ist dies oft eine Rolle als Diskussionsleitung und Moderation mit Einwürfen, die zum gewünschten Ergebnis führen. In Frankreich steht die Expertise im Vordergrund. Allerdings nicht in einem autokratischen Stil, sondern eher aufgrund der Annahme, dass der Dozent oder die Dozentin viel mehr Zeit hatte, die erforderlichen Werke im Fachgebiet zu lesen und daher einen Wissensvorsprung besitzen muss. Dies führt allerdings auch dazu, dass es bis auf Verständnisfragen oft wenig Interaktion vonseiten der Studierenden gibt, ganze Unterrichtsstunden werden blind transkribiert.

Natürlich treiben jüngere Lehrkräfte Veränderungen an und brechen diese starren Strukturen seit Jahren mehr und mehr auf. In den Abschlussklausuren, die viel häufiger als Hausarbeiten oder andere Prüfungsformen sind, zählt dennoch das, was Teil der Sitzungen war. Persönlich finde ich diese Art und Weise der Seminarleitung weniger vorteilhaft als in Deutschland. Besonders in den Geisteswissenschaften leben Seminare von der Diskussion und fördern in meinen Augen die eigene Herangehensweise an wissenschaftliche Themen enorm. Allerdings ist dies auch eine Perspektive, die auf meiner Art zu lernen fußt. Denn ich kann mir vorstellen, dass viele mit dieser konventionelleren Unterrichtsweise einen roten Faden finden, der im deutschen System fehlen kann. Sie merken also, dass dieser Kulturschock natürlich auf Gewohnheiten basiert, die man sich angeeignet hat.

Eines ist allerdings sicher: Beim nächsten Mal überlege ich mir genau, ob ich mich in einem Seminar melde oder besser nicht.

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