Kolumne Dozentenleben Zauber statt Nostalgie

Das Leben derzeit stellt uns auch im neuen Jahr vor Herausforderungen. Auch Studierende spüren sie. Die Möglichkeiten zum persönlichen Neuanfang sind vielfältig.

Edda Pulst ist Professorin an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen

Edda Pulst ist Professorin an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen

Foto: Laura Breuer

Wo ist er bloß, der Zauber des Neuanfangs?

In dieser Studentenfrage schwingen Sorgen mit: Sind von den Lockdown-Schwüren – Verzicht, Demut, Miteinander – nur abgeschobene Corona-Hunde und Achtsamkeits-Egoismen übrig geblieben? Dazu ein Nachholbedürfnis an Wellness, Urlaub und Events? Plus Flüge ins Home-Office nach Mallorca und zu den Weltweit-Wunschzielen, bevor es ganz absurd wird?

In der Tat, die größten Autoproduzenten steigern 2022 ihren Umsatz und Gewinn bei tonnenschweren SUVs. Energie-Konsum als Statussymbol – Privatjet und Pool inklusive. Je reicher, desto höher die CO2-Emissionen. Aktuell verfeuern wir nicht weniger, sondern mehr Fossiles und halten Kurs auf ein 2,6-Grad-Plus.

Die Studenten verzweifeln an der Ignoranz bei Waldbränden, Eisschmelze und Artensterben. Umweltzerstörung gilt als zentrales Problem, doch niemand will verzichten. Sollen doch die Chinesen als größte Umweltsünder mit Klimaschutz beginnen, während wir uns mit Wohlstandsverlust beschäftigen und Rückkehr zur sogenannten Normalität wünschen. Dabei können wir die „Früher war alles besser“-Nostalgie getrost vergessen. Kein Zurück zum Davor. Im Auto schauen wir auch überwiegend nach vorne und nicht beharrlich in den Rückspiegel.

Stellen wir unsere innere Ordnung mit Verzicht her und befreien den Kopf von Müll. Fasten wir. Nicht im Kombipaket mit dem Yoga-Retreat in Asien. Sondern beim Fahren, beim Fliegen, beim Fleischverzehr.

Vorschlag: Verzicht als Statussymbol. Verzichten wir zum Neuen Jahr auf Verbrauch und Vorsätze. Auf sechs Stunden Smartphone am Tag. Auf die Illusion, dass äußere Bestätigung ein Lebensanker ist – die Sucht nach Anerkennung untermauert nur das Kreiseln um uns selbst.

Konzentrieren wir uns auf nur ein Projekt und schieben den Rest in eine Verzicht-Zone. Das nimmt die Angst, überall toll sein zu müssen und an vielen Stellen gleichzeitig zu versagen. Suchen wir nicht in Work-Life-Balances nach Sinn, sondern tun etwas Sinnvolles. Erleben wir die Vielfalt der Natur, bevor unsere Art vom Planeten verschwindet.

Einen Versuch ist es wert. Ich liebe Verzicht: Mein altes Bio-Bike, das selbst gesägte Schutzblech, Radeln an deutschen Flüssen. Übernachtungen in Zelt, Jugendherberge oder Camper der Freundin am Fortunabüdchen. Es ist wunderbar, nach der Arbeit in Arabien nur mit Schlafsack, Wasser und Proviant in die Wüste zu gehen. Alleinsein für inneres Aufblühen, um dem Leben mit Freude zu begegnen. Verzicht statt selbst gebauter Hamsterräder – das ist mein Vorschlag. Zauber des Neuanfangs.

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