Kolumne Studentenleben Doppelmoral am Laptop

Von Joshua Poschinski

Wenn das Semester wieder losgeht und man mit fünfhundert anderen Studierenden im Hörsaal sitzt, fallen einem so manche Dinge auf. Leute, denen man vielleicht seit drei Semestern nicht mehr über den Weg gelaufen ist und dann beim müden Umhersehen am anderen Ende des Raumes entdeckt. Die Einsicht, dass man vielleicht doch mal wieder etwas Produktives tun sollte.

Oder aber die immer mehr zunehmende Anzahl an Laptops in Vorlesungen, die praktisch sind, aber ihrem eigentlichen Zweck doch öfter entzogen werden. Was unschwer daran zu erkennen ist, wenn die Person vor dir die letzte Staffel von „Stranger Things“ nachzuholen hat.

Über den Sinn der physischen Anwesenheit kann man sich bekanntlich prima streiten, das sollte jeder halten, wie er mag. Wirklich kurios erscheint dann aber der kleine Plastiksticker, der mittig, oberhalb des Bildschirms, auf dem Rand des Geräts klebt. Und eben die Frontkamera abdeckt.

Lässt man den Blick weiter durch die Reihen vor einem gleiten, sieht man sie bei der überwiegenden Zahl der Studierenden in allen Formen und Farben, aber alle an der gleichen Stelle. Wovor bitteschön habt ihr denn Angst, wenn ihr zwischen Folien und Amazon-Wunschliste wechselt? Etwa davor, dass euch jemand beim Surfen zusieht? Während YouTube und Facebook als Tab geöffnet sind und ihr nebenbei die Eckpunkte der Vorlesung googelt?

Diese Doppelmoral im Hörsaal macht einen etwas stutzig und lässt den stillen Beobachter schmunzeln. Aber wovor soll der kleine Sticker euch Laptop-Kamera-Kleber denn schützen? Vor dieser dunklen Kraft namens Hacker? Oder wovor ihr auch immer Angst haben mögt, wer euch beim Betrachten des Bildschirms filmen könnte? Oder habt ihr bei nächtlichem Kerzenschein vergessen, den Aufkleber wieder zu entfernen?

Vielleicht sollte man sich überlegen, ob man dieses gemächlich paranoide Verhalten, das übrigens durchaus berechtigt ist, nicht nur so halb durchzieht und stattdessen dem Big Brother die Daten an allen Stellen verwehrt. Dass das nicht immer so einfach und vor allem möglich ist, sei vermutlich jedem bewusst. Aber macht’s ihnen doch zumindest schwer. Und vor allem: Wenn ihr’s macht, dann macht es konsequent.

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