Depressionen und Ängste „Die Studierenden sind einsam“

Sie haben Zukunftsängste, sind einsam und brauchen Hilfe: Das zeigen aktuelle Umfragen zur Situation der Studierenden in der Pandemie. Die psychosozialen Beratungsstellen der Studierendenwerke werden derzeit förmlich überrannt.

 Manche Studierende haben durch die Pandemie noch nie in einem Hörsaal gesessen.

Manche Studierende haben durch die Pandemie noch nie in einem Hörsaal gesessen.

Foto: picture alliance / Zoonar/benis arapovic/dpa

Aufbruchsstimmung, neue Menschen kennenlernen, Feiern, Spaß haben, sich endlich mit dem beschäftigen, was einen wirklich interessiert: So sieht eigentlich der Start ins Studium aus. Doch seit zwei Jahren liegt das Studentenleben in Deutschland brach, gelernt wird vor allem zu Hause, per Video. „Viele Studierende haben ihre Hochschule noch nicht von Innen gesehen, kennen ihre Kommilitonen nur als Kacheln vom Bildschirm. Vor allem die Einsamkeit ist ein großes Problem für die Studierenden in der Pandemie", sagt Melanie Koch, Psychologin beim Kölner Studierendenwerk. „Denn nicht nur die Hochschulen sind geschlossen, auch die Bibliotheken waren zeitweise dicht, es gab keinerlei kulturelle Veranstaltungen oder Treffen in Lerngruppen." Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen erlebten in den vergangenen Wochen und Monaten einen wahren Ansturm auf die Termine (der psychologischen, Lernberatung  und Sozialberatung). „Nun haben wir Wartezeiten von vier bis sechs Wochen. Das ist auch für uns schwer auszuhalten, wir möchten ja gerne so schnell wie möglich helfen."

 Den Studierenden fehle es an Leichtigkeit, an Unbeschwertheit, an Energie – eigentlich an allem, was das Jung-Sein ausmache, beschreibt Melanie Koch ihre Eindrücke aus der Beratung. „Stattdessen sind sie von Zukunftsängsten und großer Unsicherheit geplagt. Sie sind niedergeschlagen und spüren gleichzeitig einen großen Druck. Man muss sehen: Nicht nur die Präsenzlehre hat nicht stattgefunden, auch Praktika sind ausgefallen oder verschoben worden. Das hat die Verbindung zum Studium, zum Fach, zum Berufswunsch noch weiter verkleinert und Unsicherheiten verstärkt."

 Gleichzeitig sind die Studierenden von finanziellen Problemen gebeutelt: Nebenjobs sind massiv weggefallen, auch das hat wiederum die Einsamkeit verstärkt. „Die wieder stärkere finanzielle Abhängigkeit von den Eltern hat außerdem Autonomie und Unabhängigkeit geschwächt, manche sind auch wieder zurück zu den Eltern gezogen", sagt Melanie Koch. Das zeigt auch eine Umfrage, die der "freie zusammenschluss von student*innenschaften" (fzs) als überparteilicher Dachverband von Studierendenvertretungen in Deutschland durchgeführt hat. Die Umfrage mit dem Titel „Wie geht es euch?" offenbart: Knapp 50 Prozent der Studierende fühlen sich derzeit schlecht, wenn sie an das Studium denken. Ein Drittel der Studierenden hat weniger Geld zur Verfügung und fast jeder zehnte kann auf keine Einkünfte mehr zurückgreifen. 

Und auch auf die psychische Verfassung schaut die Umfrage: 60 Prozent der Befragten gaben an, dass Semester „nicht gut“ psychisch absolvieren zu können. Psychische Mehrbelastung durch die Lehrsituation in Form von Konzentrationsproblemen gaben 73 Prozent an, 62 Prozent Niedergeschlagenheit, 41 Prozent Schlafstörungen.

Ängste und Depressionen sind die Probleme, mit denen auch die Studierenden in Köln am häufigsten die Beratung des Studierendenwerks aufsuchen. „Das war auch schon vor der Pandemie so“, sagt Melanie Koch. „Aber: Die Masse ist einfach gestiegen. Wir hatten zum Teil einen Aufnahmestopp, weil wir so vielen Nachfragen nicht nachkommen konnten. Die Resilienz der Studierenden scheint zu sinken, es sind also immer weniger über einen so langen Zeitraum psychisch widerstandsfähig.“ Auch das Deutsche Studentenwerk, die Vertretung aller regionalen Studierendenwerke, schlägt wegen der Pandemiefolgen für Studierende Alarm. „Die psychosoziale Beratung der Studenten- und Studierendenwerke wird förmlich überrannt, die Wartezeiten werden länger“, so der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Matthias Anbuhl. Bund und Länder müssten hier in einem Aktionsprogramm dringend die Ressourcen aufstocken. „Nötig sind bis zu zehn Millionen Euro in den kommenden vier Semestern.“

 In Köln konnte man mit zusätzlichen Stellen auf den Ansturm reagieren und so mehr Hilfe für die Studierenden anbieten. Wartezeiten bleiben dennoch. „Wir sind froh, dass die Studierenden so reflektiert sind, dass sie sich rechtzeitig Hilfe suchen. Gleichzeitig ist natürlich deutlich zu spüren, wie überlastet unser Gesundheitssystem ist. Termine bei ambulanten Psychotherapeuten und -therapeutinnen sind nicht so schnell zu bekommen, daher führen wir deutlich mehr Gespräche mit einzelnen Studierenden als vor der Pandemie“, sagt Melanie Koch. Außerdem unterstützt das Studierendenwerk bei der Suche nach einem Therapieplatz, sucht spezifische Beratungsstellen, um schnell helfen zu können.

 Grundsätzlich unterstützen die Psychologinnen und Psychologen des Studierendenwerks die Ratsuchenden, indem sie ihnen überhaupt einen Raum und Gehör geben. „Manchmal hilft es schon, mal anzuhalten, den Blickwinkel zu verändern, sich selbst Achtsamkeit zu schenken. Die negativen Gefühle daraufhin anzuschauen, woher sie kommen. Diese auszuhalten und anzunehmen. Und vielleicht gibt es kleine Dinge, die man schon ändern kann, vielleicht gibt es doch Möglichkeiten, Menschen zu treffen, vielleicht kann ich mich für mein Studium motivieren, indem ich doch ein Praktikum beginnen kann, das mir zeigt, wo ich hin möchte“, gibt Melanie Koch Beispiele für Strategien, die vielen Studierenden helfen können. „Vielleicht kann ich mich auch ehrenamtlich engagieren, um Kontakte zu knüpfen, um sinnvoll etwas zu bewirken. Für jeden gibt es einen individuellen Weg, den wir gemeinsam versuchen zu finden.“

Die Psychologin hofft, dass die Studierenden bald wieder in Präsenz zurück an die Hochschulen können. „Man darf nicht vergessen: Diese Akademikerinnen und Akademiker sind auch ein Stück weit die Zukunft dieses Landes. Und natürlich wünscht man sich doch, dass sie gesund sind und es ihnen wirklich gut geht.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort