Sylvia Ruschin „Es ist mehr gefragt als Fachwissen“

Interview · Welche Fähigkeiten brauchen Hochschulabsolventen in der Arbeitswelt? Für Expertin Sylvia Ruschin ist Interdisziplinäres Arbeiten eine besonders wichtige Zukunftskompetenz. Ruschin ist verantwortlich für den Arbeitsbereich Hochschuldidaktik im Hochschulzentrum für Lehre und Lernen der Hochschule Niederrhein.

Kennt sich aus mit Zukunftskompetenzen. Sylvia Ruschin.

Kennt sich aus mit Zukunftskompetenzen. Sylvia Ruschin.

Foto: HS Niederrhein

Frau Ruschin, zum Thema „Future Skills“ gab es eine viel beachtete Studie des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft in Zusammenarbeit mit McKinsey. Die Kernaussage dort: reines Wissen wird auf dem Arbeitsmarkt immer weniger wichtig. Ist das so?

Ruschin Die Studie hat das sehr gut auf den Punkt gebracht. Unternehmen suchen nach Absolventinnen und Absolventen, die mit ihrem Wissen etwas tun, es nutzen. Der Erwerb von Wissen und Können – etwa an der Hochschule – ist dabei ein wichtiges Fundament. Mit Wissen umgehen, Wissen verarbeiten, dass kann ich nur, wenn ich bestimmte andere Kompetenzen habe.

Welches sind denn Zukunftskompetenzen, die Absolventinnen und Absolventen mitbringen sollten?

Ruschin Da geht es beispielsweise um Problemlösefähigkeiten, also konkrete Aufgabenstellungen, für die es keinen vorgefertigten Lösungsansatz gibt, durch einen strukturierten Ansatz und mit Urteilskraft zu lösen. Es geht auch um Kreativität, mit der bestehende Geschäftsprozesse neu gedacht werden oder Ideen für Innovationen, etwa für neue Produkte, entwickelt werden. Unternehmen wünschen sich außerdem unternehmerisches Handeln sowie Eigeninitiative, also eigenständig und aus eigenem Antrieb im Sinne eines Projekts oder einer Organisation zu arbeiten. Sehr wichtig ist auch die Adaptionsfähigkeit, also die Fähigkeit, sich auf neue Entwicklungen einzulassen, sie vorteilhaft zu nutzen und auf verschiedene Situationen transferieren zu können. Entscheidend ist dabei auch Durchhaltevermögen, dass ich übernommene Aufgaben fokussiert, verantwortlich und auch gegen Widerstände zu Ende führe.

Sie stehen in engem Kontakt mit Unternehmen aus der Region. Welche Fähigkeiten wünschen sich diese von Studierenden und Absolventinnen und Absolventen?

Ruschin Beispielsweise die Fähigkeit zur Veränderung – und damit ist durchaus auch gemeint, dass ich selbst nicht mein gesamtes Berufsleben in einem Arbeitsfeld bleibe, so wie es vielleicht noch mein Vater getan hat. Unternehmen verändern sich und erwarten dies eben auch von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie schauen – gerade auch angesichts des akuten Fachkräftemangels – auf individuelle Talente und entwickeln diese. So starte ich vielleicht als Ingenieurin und arbeite zehn Jahre später aber im Bereich Personal. Um diese Veränderungsprozesse im Berufsleben aktiv zu gestalten, brauchen Absolventinnen und Absolventen außerdem Resilienz, also die Fähigkeit, die eigene psychische Gesundheit auch in schwierigen Zeiten aufrechtzuerhalten. Oft werden auch Projektmanagement-Fähigkeiten sowie Führungswissen von Unternehmen genannt. Grundsätzlich kann man sagen, dass Zukunftskompetenzen immer mehr Aufmerksamkeit von Arbeitgebendenseite bekommen.

Welche Schritte geht die Hochschule Niederrhein, um ihre Studierenden fit für die Zukunft zu machen?

Ruschin Zunächst einmal gibt es unsere Studiengänge, die aktuelle Anforderungen berücksichtigen. Und dazu gehört natürlich so etwas wie wissenschaftliches Arbeiten – ganz aktuell mit der Frage, wie dies in Zeiten von Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) wie ChatGPT gelingt, die Ihnen im Zweifel ganze Paper zu einem Thema schreiben könnte, allerdings ohne belastbare Quellen, beziehungsweise die Quellen sogar erfindet. Das Thema KI beschäftigt uns auch in einem Leuchtturm-Projekt der Hochschule mit dem Titel „Public Understanding of KI“. Dort geht es darum, Menschen das Thema KI mit ihren Potenzialen und Risiken nahe zu bringen. Denn: Auch in Disziplinen wie den Ernährungswissenschaften oder der Pflege, die auf den ersten Blick scheinbar wenig mit Technik zu tun haben, kann der Einsatz von KI nützlich sein beziehungsweise steht schon unmittelbar bevor, Stichwort Pflegeroboter. Dieses Projekt zeigt auch: Egal, aus welcher Disziplin ich komme, ich muss mit anderen Disziplinen kommunizieren lernen. Informatikerinnen beispielsweise müssen mit Pflegespezialisten kommunizieren können, auch wenn diese eine andere Sprache sprechen. Interdisziplinäres Arbeiten ist eine ganz zentrale Fähigkeit, die Absolventinnen und Absolventen heute mitbringen müssen, um die Herausforderungen von morgen bewältigen zu können.

Laut der „Future Skills“-Studie ist es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zukunft entscheidend, digitale Grundkenntnisse mitzubringen.

Ruschin Genau, unter dem Stichwort „Digital Literacy“ etwa geht es darum, grundlegende digitale Fertigkeiten zu beherrschen, etwa den sorgsamen Umgang mit digitalen persönlichen Daten, dem Nutzen gängiger Software, dem Interagieren mit künstlicher Intelligenz sowie um digitale Interaktion. An der Hochschule Niederrhein haben wir zu diesem Themenkomplex etwa die „Data Awareness Rallye“ gestartet: Es geht darum, auf spielerische Art zu verstehen, welche Bedeutung Daten haben und wo ich überall Datenspuren hinterlasse. Also: Was machen denn die Cookies auf meinem Handy, wer hat eigentlich welche Daten von mir und was wird damit gemacht? So wird das Bewusstsein der Studierenden für das Thema geschärft und ein verantwortungsvoller Daten-Umgang erlernt.

Unternehmen fordern kreatives Denken, also etwas Neues schaffen zu können. Wie kann man Studierende darauf vorbereiten?

Ruschin In vielen unserer Fächer ist offenes und kritisches Denken verankert. Ein gutes Beispiel ist das Themenfeld Nachhaltigkeit und Klimaschutz: Der eigene fachliche Horizont reicht dabei oft nicht, um wirklich etwas zu bewegen. Neue Ansätze, interdisziplinäres Arbeiten sind dort besonders gefragt. Außerdem werden die Studierenden durch unser hochschulweites Gründungsengagement zum kreativen Denken ebenso wie zum Arbeiten über den eigenen Tellerrand hinaus motiviert. Unser „HNX“-Gründungsteam unterstützt Start-ups, viele Studierende sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen mit innovativen Ideen zusammen. Wir möchten eine praxisnahe und lebendige Gründungskultur etablieren und die Potentiale für innovative Gründungsideen erkennen und ausschöpfen.

Und was ist mit dem Fachwissen, dass ich im Studium erwerbe? Ist das gar nichts mehr wert?

Ruschin Zukunftskompetenzen funktionieren nur auf einem festen, fachlichen Fundament. Darauf baut alles auf; es ist damit wesentlich. Aber: Ich empfehle allen Studierenden, über den fachlichen Tellerrand zu blicken und die vielen Angebote zu nutzen, die die Hochschule macht. Seien es Vorträge von Unternehmen, Beispiele erfolgreicher Gründungen, gemeinnütziges Engagement, Diskussionsrunden zum Klimawandel und vieles mehr. Studierende haben eine gesellschaftliche Verantwortung und sie haben Wirkung. Diese Gelegenheit gilt es zu nutzen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort