Eindeutige Statistik zum Hochschulabschluss Akademikerkinder im Vorteil
Kinder von Akademikereltern haben in Deutschland immer noch wesentlich höhere Chancen, einen Hochschulabschluss zu erreichen, als Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien. Über die Gründe spricht Wolf Dermann, Mitgründer der Organisation Arbeiterkind.de.
Wer aus einem akademischen Elternhaus kommt, hat um ein Vielfaches häufiger einen Hochschulabschluss als derjenige, dessen Eltern keinen akademischen Abschluss haben. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Erwachsenen im Alter von 25 bis unter 65 Jahren, von denen mindestens ein Elternteil einen Hochschulabschluss hatte, verfügten 2021 selbst über einen Hochschulabschluss, das sagen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. In dieser Bevölkerungsgruppe war die Hochschulabschlussquote damit dreimal so hoch wie bei jenen, deren Eltern maximal einen beruflichen Abschluss oder die Hochschulreife hatten (19 Prozent), und fast fünfmal so hoch wie bei Menschen mit formal gering qualifizierten Eltern (12 Prozent).
Diese Statistik überrascht Wolf Dermann nicht. Er ist Mitgründer der Organisation Arbeiterkind.de, die sich für die Förderung des Hochschulstudiums von Nicht-Akademikerkindern einsetzt. „Diese Statistiken zur Abhängigkeit des Bildungshintergrunds zum Bildungsweg von Kindern ändern sich im Grunde seit Jahrzehnten nicht“, sagt Dermann. „Eine erhebliche Änderung gab es zuletzt in den 70er-Jahren mit Einführung des Bafögs, das mehr Kindern aus Nicht-Akademikerhaushalten den Weg an die Hochschulen ermöglichte.“ Seitdem habe sich aber nicht mehr viel getan.
Heißt: Drei Viertel der Kinder in Deutschland machen – wenn man auf den Bildungsabschluss schaut – genau das, was ihre Eltern gemacht haben. Warum ist das eigentlich ein Problem? „Weil wir als Gesellschaft eigentlich etwas anderes vorhaben“, so Wolf Dermann. „Jede und jeder sollte frei seine Ausbildung und seinen Beruf wählen dürfen, nach Interesse und Neigungen – und nicht danach, welchen Weg die Eltern gegangen sind.“ Denn so verschenken wir als Gesellschaft wichtige Potenziale.
Doch warum gelingt es Kindern oft nicht, sich von dem Weg, den ihre Eltern gegangen sind, zu lösen? Wo sind die Hürden? Zum einen spiele die – auch unbewusste – Erwartungshaltung der Eltern an die Kinder eine große Rolle, so Dermann. Sätze wie: „Warte ab, wenn du in der Ausbildung bist…“ oder „Das wirst du an der Uni dann erleben…“ prägten den Weg. „Eine weitere große Rolle spielen Selektionsmechanismen in unserem Schulsystem“, so der Experte. Denn: Die Empfehlung in der vierten Klasse für die weiterführende Schule folge zu oft dem Bildungshintergrund der Eltern. „Der Blick auf das Elternhaus ist Teil dieser Empfehlung. Und sind die Kinder dann einmal auf der Realschule, ist der Weg in Richtung Hochschulreife schwer. Denn dann bist du in der Spur Richtung Ausbildung.“
Eine weitere große Hürde – und darauf konzentriert sich die Organisation Arbeiterkind.de – ist der Übergang vom Gymnasium auf die Hochschule. „Interessanterweise gehen fast alle Kinder aus Akademikerfamilien nach dem Abitur auch an die Hochschulen. Aber nur die Hälfte der Kinder mit Abitur, die aus einer Nicht-Akademikerfamilie stammen“, sagt Wolf Dermann. „Und da haben wir uns gefragt: Warum ist das so? Wie können wir das ändern?“ Seit 2009 ermutigt Arbeiterkind.de Schülerinnen und Schüler aus Familien ohne Hochschulerfahrung dazu, als Erste in ihrer Familie zu studieren. Rund 6000 Ehrenamtliche – selbst Studierende der ersten Generation – engagieren sich bundesweit in 80 lokalen Gruppen und dienen so als Vorbild. Sie informieren Schülerinnen und Schüler über die Möglichkeit eines Studiums und unterstützen sie auf ihrem Weg vom Studieneinstieg bis zum erfolgreichen Studienabschluss und Berufseinstieg.
In den Schulen erlebt Wolf Dermann häufig Unsicherheit: „Durch die fehlenden Vorbilder im Umfeld ist das Studium bei Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien häufig negativ besetzt – obwohl sie auf dem Weg zum Abitur sind. Sie überblicken das System Hochschule nicht, wissen nicht, was auf sie zukommt, ob ihr Schulwissen reicht, wie schwer ein Studium ist. Das andere ist der finanzielle Aspekt, zu dem eine große Unwissenheit herrscht: Viele wissen nicht, wie sie das Studium finanzieren können und haben Angst vor Schulden.“
Interessanterweise stelle sich bei den Schülerinnen und Schülern auch die Frage, ob sich das Studium finanziell überhaupt lohne: „Oft herrschen Vorurteile: Die Menge Geld, die man schon verdienen könne, während andere studieren, wird überschätzt. Da muss man den Jugendlichen auch mal aufzeigen: Das holst du locker wieder auf, schließlich bis du nach einem Studium wesentlich höher qualifiziert und wirst besser bezahlt. Das wissen sie oft nicht.“ Die Freiwilligen von Arbeiterkind zeigen ganz praktisch auf, wie ein Studium finanziert werden kann – zum Beispiel über Bafög oder Stipendien – und berichten über ihren eigenen Weg.
Was müsste sich verändern, damit mehr Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien den Weg an die Hochschulen schaffen? Wolf Dermann sagt dazu: „Die Einstellung unserer Gesellschaft müsste sich verändern: Es ist gut, wenn alle versuchen, den für sie höchstmöglichen Bildungsabschluss zu erreichen.“ Außerdem müsste die Filterfunktion unseres mehrgliedrigen Schulsystems abgeschafft werden. „Nur weil es seit Jahrzehnten so ist, ist es nicht gut. Es ist vollkommen unpassend.“ Die finanzielle Hürde, die Arbeiterkinder noch immer vom Studium abhalten würde, müsse außerdem fallen: „Es muss klar sein, dass es genug Geld gibt und dieses auch rechtzeitig kommt.“
Und was sagt der Experte zu dem Einwand, es gebe ohnehin zu viele Akademiker, aber zu wenig Jugendliche, die eine Ausbildung anstrebten? „Wieso sollten die Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien genau diejenigen sein, die eine Ausbildung machen? Es sollte nicht so sein, dass sie auf ein Studium verzichten, nur weil sie keinen akademischen Familienhintergrund haben. Sondern jeder sollte den Weg gehen, den er gehen möchte. Unabhängig von seinem familiären Hintergrund.“