Kolumne Studentenleben Die Qual der Wahl

Ein Supermarktbesuch ist gar nicht so einfach, wenn das Studierenden-Portemonnaie leer und das Angebot irgendwie auch problematisch ist. Gedanken über einen fiktiven Einkauf.

 Joshua Poschinski studiert Germanistik und Politikwissenschaften in Düsseldorf an der HHU.

Joshua Poschinski studiert Germanistik und Politikwissenschaften in Düsseldorf an der HHU.

Foto: Poschinski

Durch die Schiebetüren quält sich ein frei ausgedachter, namenloser, zufällig männlicher Student und betritt damit einen Supermarkt. Da Jute out ist, so glaubt er, hat er einen selbst gestrickten Beutel dabei.

Seine Oma hätte ihm diesen sicher liebend gerne selbst gemacht, hätte er sie denn darum gebeten. Stattdessen hat er dafür hundertfünfzig Euro in einem Onlineshop bezahlt. Unter anderem deshalb, aber auch, weil er knapp 600 Euro für ein zwölf Quadratmeter großes Zimmer in einer Sechser-WG ausgibt, ist die Einkaufsliste heute recht überschaubar.

Er desinfiziert sich die Hände und geht zum Gemüse. Erdbeeren zu dieser Jahreszeit? Nein, danke. Aber Avocados lässt er schnell und unbemerkt im mitgebrachten Sack verschwinden. Ingwer und Zitrone dazu – hilft in Kombination mit Brühe besser als Elektrolyte gegen den Kater am nächsten Morgen. Dann stehen da noch lauter „Luxus“-Güter, bei denen der Student zumindest einmal nach dem Preis schauen möchte. Dazu gehören: Zahnpasta, Klopapier, Primitivo-Wein. In der Tube vorm Badezimmerspiegel ist bestimmt noch etwas drin, und Toilettenpapier gibt’s in der Uni for free.

Wein kann er schlecht selber machen, darum ist die Entscheidung diesmal einfach. „Ausbeutung!“, schreit jemand vom anderen Ende des Gangs herüber. „Italienischer Wein für 1,99. Wie soll das fair funktionieren?“ Nun gut, der Student legt die Flasche zurück und überlegt:

Zitronen aus Argentinien, ursprünglich Indien. Ganz schön weiter Weg, aber ist das überhaupt das Problem? Der Ingwer kommt aus China; finanziert er beim Kauf womöglich dort indirekt irgendwo ein Arbeitslager? Wie Zahnpasta hergestellt wird, bleibt auch nach dem googlen ein Mysterium. Dafür landet der Student auf einer Seite mit einer Anleitung zum Zahnpasta-Selbermachen. Dabei kann aber einiges schiefgehen – vielleicht sollten das doch diejenigen machen, die sich damit auskennen. Über Avocados müssen wir gar nicht erst sprechen.

Da steht der Student plötzlich an der Kasse, und der schicke Strickbeutel ist fast leer. Komisch. Da wird er wütend. Es kann doch nicht sein, dass man hier rein gar nichts mehr kaufen kann. Irgendetwas muss er ja schließlich konsumieren. So viel Wut auf all jene, die ihm vorschreiben, was er zu kaufen hat – auf den Besserwisser im Gang ebenso, wie auch auf sich selbst.

Da vergisst er beinahe, sich zu fragen, warum es denn eigentlich so schwer ist, Produkte zu finden, für deren Herstellung niemand ausgebeutet wird?

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