Auch ohne Numerus Clausus Medizin studieren im Ausland

Wenn die Abiturnote nicht reicht für den Numerus Clausus und das gewünschte Medizinstudium, gibt es andere Möglichkeiten. Das osteuropäische Ausland wird für immer mehr Studierende eine Alternative.

 Auch in anderen Ländern gibt es qualifizierte Studienangebote für angehende Mediziner.

Auch in anderen Ländern gibt es qualifizierte Studienangebote für angehende Mediziner.

Foto: dpa/dpa, wgr;cse vfd pil

Für Jana Klein aus Paderborn gab es eigentlich nach dem Abitur nur ein Ziel: Medizin studieren. Doch der Traum scheiterte an der Abinote, sie reichte nicht, um direkt mit dem Studium starten zu können. Als Alternative zog die 21-Jährige nach Berlin, um dort auf Lehramt zu studieren. Dann kam die Corona-Pandemie: „Da saß ich ganz allein in dieser riesigen Stadt und kannte niemanden. Meine Kommilitonen sah ich – wenn überhaupt – als kleine Kachel auf dem Bildschirm. Und anstatt das aufregende Berliner Studentenleben mitzubekommen, war ich nur in meiner Wohnung.“ Nach einem Jahr zog Jana Klein die Reißleine und erfüllte sich den Traum vom Medizinstudium doch noch: In Bratislava, der Hauptstadt der Slowakei. Nach einem Aufnahmetest auf Englisch in den Fächern Biologie und Chemie erhielt sie die Zusage für einen der rund 240 Studienplätze für internationale Studierende.

Ein Weg, den inzwischen rund jeder zehnte Medizinstudierende aus Deutschland geht. Eine Auswertung des Statistischen Bundesamtes für das vergangene Jahr verzeichnet mehr als 9000 deutsche Medizinstudierende an ausländischen Hochschulen. Zu den fünf nachgefragtesten Ländern zählen dabei neben Österreich etwa Ungarn, Polen, Litauen und Tschechien. „Bemerkenswert ist der geringe Stellenwert der Abiturnote im Auswahlverfahren. Spielt diese für ein Medizinstudium in Deutschland eine wichtige Rolle, wird sie bei internationalen Studienbewerbern und -Bewerberinnen an ost- und südosteuropäischen Hochschulen nur in jedem zweiten Zulassungsverfahren berücksichtigt. Andere Zulassungskriterien wie Sprachkenntnisse, Motivationsschreiben oder mündliche und schriftliche Tests fallen dagegen stärker ins Gewicht“, sagt Gero Federkeil, Leiter des Bereichs Internationale Hochschulrankings beim Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Dieses hat aktuell den Trend zum Medizinstudium im osteuropäischen Ausland untersucht. „Es ist davon auszugehen, dass der überwiegende Teil der deutschen Medizinstudierenden im Ausland den Weg aufgrund geringer Bewerbungschancen für Studienplätze in Deutschland wählt“, sagt Gero Federkeil.

Interessant ist auch: Die Studiengänge in Ost- und Südosteuropa sind speziell auf internationale Studierende ausgelegt: Sie finden auf Englisch und getrennt vom Medizinstudium für die einheimischen Studierenden statt. „Es gibt in Rumänien und in Ungarn sogar Angebote komplett auf Deutsch“, sagt Gero Federkeil. „Für die praktischen Phasen im Krankenhaus ist es aber natürlich unerlässlich, auch in der Landessprache kommunizieren zu können, und die Universitäten bieten daher auch Sprachkurse an.“ Wichtig ist aber auch: Die einheimischen Studierenden zahlen in ihren Studiengängen keine Gebühren. Die internationalen Studierenden in den englischsprachigen Angeboten zahlen aber mindestens 10.000 Euro und bis zu 15.000 Euro im Jahr. Da die meisten Studiengänge sechs Jahre umfassen, sind also zwischen 60.000 und 90.000 Euro für das Medizinstudium im Ausland fällig.

Doch welche Qualität bekommt man für diesen Preis? Punkten können die ausländischen Studienangebote laut CHE vor allem beim Betreuungsschlüssel. Während an den deutschen medizinischen Fakultäten im Durchschnitt 15,1 Studierende auf eine Lehrkraft entfallen, müssen sich an den ost- und südosteuropäischen Hochschulen rechnerisch lediglich 11,8 Studierende eine Lehrkraft teilen. „Vorurteile unterstellen einem in südosteuropäischen Ländern erworbenen Abschluss gern, erkauft zu sein, oder nicht demselben Qualitätsstandard zu unterliegen wie ein Medizinstudium an einer deutschen Universität. Auch wenn keine systematischen Daten zur Qualität der Studiengänge vorliegen, zeigt unsere Analyse doch einige Anhaltspunkte, die gegen solche Vorurteile sprechen“, sagt Gero Federkeil. Neben kleinen Lerngruppen setzen die Studiengänge auf eine moderne Lehre, auf problembasiertes Lernen und innovative Prüfungsmethoden. So werden beispielsweise echte Fälle von der Anamnese bis zur Therapie bearbeitet.

Doch kann ich mit einem Abschluss in Medizin aus Rumänien, Ungarn oder der Slowakei auch wirklich in Deutschland als Ärztin oder Arzt arbeiten? „Grundsätzlich gilt die EU-Regelung: Wenn das Studium im Studienland zu einer Tätigkeit als Arzt befähigt, dann gilt es auch in EU-Ländern“, sagt Gero Federkeil. „Ich kann also mit meinem Abschluss zurück nach Deutschland kommen und meine Approbation als Arzt bei der entsprechenden Landesärztekammer beantragen. Anschließend könnte ich mich um eine Facharztstelle an einer Klinik bewerben.“

Doch – wie viele deutsche Studierende mit Medizinabschluss aus dem Ausland kommen wieder nach Deutschland zurück? Eine Frage, die angesichts des prognostizierten medizinischen Fachkräftemangels, etwa im Bereich der Hausärztinnen und Hausärzte, nicht uninteressant ist. „Tatsächlich gibt es keine Zahlen über die Rückkehrer“, sagt Gero Federkeil. „Natürlich gehen die meisten erst mal ins Ausland, um den hiesigen NC zu umgehen, und mit dem festen Vorsatz, zurückzukommen. Doch ob sie anschließend lieber in Norwegen arbeiten, weil Ärzte dort sehr viel besser bezahlt werden, oder im Studienland bleiben, das wird nicht erhoben. Unsere Anfragen bei den entsprechenden Behörden haben ergeben, dass es überwiegend keine Kenntnis darüber gibt, ob deutsche Studierende nach ihrem Medizinstudium im Ausland als Arzt nach Deutschland zurückkehren. Abgesehen von einzelnen regionalen Kooperationsprojekten mit ausländischen Hochschulen scheinen sich weder Bildungs- noch Gesundheitspolitik für diese Studierendengruppe zu interessieren.“

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