Credit Points abseits der Uni Warum ein schnelles Studium alleine nicht reicht

Studien- und Berufsberaterin Karin Wilcke erlebt oft, dass junge Menschen zwar ihr Studium zügig durchziehen, aber keine Zeit haben, sich auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Doch Arbeitgeber wünschen sich oft Erfahrungen abseits des Studiums.

 Ein Nebenjob parallel zum Studium ist bei Arbeitgebern gerne gesehen.

Ein Nebenjob parallel zum Studium ist bei Arbeitgebern gerne gesehen.

Foto: dpa/Caroline Seidel

Bloß schnell fertig werden! Das ist das Motto vieler Studierender in den Bachelor- und Masterstudiengängen. In dem verschulten System nähmen sich einige kaum Zeit, nach rechts und links zu schauen, sagt die Studien- und Berufsberaterin Karin Wilcke aus Düsseldorf. „Seit der Einführung der Bachelor-Studiengänge sehen alle nur zu, dass sie schnell ihre Punkte sammeln und in sechs Semestern fertig werden. Das interessiert Arbeitgeber aber wenig. Stattdessen sollte man sich lieber ein oder zwei Semester mehr Zeit geben und dafür Erfahrungen sammeln, die später im Beruf helfen können.“

Wilcke empfiehlt Studierenden, sich von den vorgegebenen Stundenplänen zumindest ein Stück weit zu lösen und den Blick zu weiten. „Viele sagen etwa, das System biete keine Luft für Praktika. Hinzu kommt natürlich, dass die meisten inzwischen auf Jobs angewiesen sind, um sich Wohnung und Co. überhaupt leisten zu können. Aber es gibt auch an der Hochschule richtig gute Möglichkeiten, in künftige Arbeitsfelder zu schauen – und das sollte man nutzen.“ So biete etwa der Career Service oft Veranstaltungen, in denen Studierende auf Menschen aus der Berufspraxis treffen können – aus ganz unterschiedlichen Branchen. Auch Betriebsführungen werden angeboten. „Bin ich bei so etwas dabei, kann ich mich in der Bewerbung darauf beziehen. Ich habe einen ersten Kontakt in das Unternehmen, das mich interessiert. Und ich kann Menschen Fragen stellen, die vielleicht genau den Job machen, den ich anstrebe. Ich bekomme ein Gefühl für das Arbeitsleben.“

Und das sei nicht zu unterschätzen, so Wilcke. Sie erlebe in ihrer Beratung häufig Absolventen, die nach den sehr geschützten Systemen Schule und Uni große Probleme mit dem Wechsel ins Arbeitsleben hätten. „Man sollte sich selbst während der Hochschulzeit schon auf die Arbeitswelt vorbereiten. Das senkt die Hemmschwelle.“

Übrigens: Auch ein Nebenjob ist natürlich eine Möglichkeit der Vorbereitung. „Da würde ich unterscheiden zwischen Jobs, die sich tatsächlich auf mein späteres Berufsfeld beziehen, etwa wenn ich Werkstudentin bin, und Jobs, die rein zum Geldverdienen sind, etwa wenn ich kellnern gehe“, sagt Karin Wilcke. „Aber beide sind durchaus im Lebenslauf erwähnenswert: Ersterer als berufliche Erfahrung, die mit meinem Studium und meinen Berufsplänen zu tun hat; der Nebenjob ist nennenswert, weil ich beispielsweise zeige: Ich kann mit Kunden umgehen, oder ich kann gut organisieren.“ Grundsätzlich beweist ein Nebenjob, dass man ein gutes Zeitmanagement hat, zuverlässig ist und belastbar. „Man kennt die Arbeitswelt – und das ist schon mal viel wert. Wer sechs Semester „nur“ studiert hat, wird im Bewerbungsverfahren weniger Chancen haben als jemand, der praktische Erfahrungen vorweisen kann.“

Eine weitere Möglichkeit, den Blick über das eigene Fach hinaus zu weiten, ist das Studium Universale, das an fast allen Hochschulen angeboten wird. Es beleuchtet meist über ein Semester hinweg eine Fragestellung aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. „Dafür bekomme ich meistens sogar Credit Points“, so Wilcke. „Lohnenswert für fast alle Studiengänge ist außerdem ein BWL-Angebot.“ Heißt: Man setzt sich als Germanist oder Physikerin mal in eine entsprechende Vorlesung. Oft gibt es von den Wirtschaftslehrstühlen sogar spezielle Angebote für Fachfremde. Denn mit Begriffen wie Umsatz und Bilanz sowie einer Budgetplanung kommt im Berufsleben fast jeder mal in Berührung. „Über den Tellerrand zu schauen ist nicht schädlich, sondern wird von Arbeitgebern immer positiv gesehen“, so die Expertin.

Das gilt auch für Auslandsaufenthalte, für die sich die Studiendauer eigentlich immer verlängert. „Da kann man ganz klar sagen: Lieber durch einen Auslandsaufenthalt Zeit verloren als ohne in sechs Semestern fertig zu sein“, so Karin Wilcke. „Damit zeigt man Arbeitgebern nicht nur, dass man entsprechende Sprachkenntnisse hat, sondern vor allem, dass man sich in einer anderen Kultur zurechtzufinden kann – ein Plus gerade in interkulturellen Teams.“ Die eigenen Sprachkenntnisse kann man zusätzlich an den Hochschulen durch Sprachkurse verbessern – im Angebot sind neben Englisch oder Spanisch auch Chinesisch oder Japanisch.

Was parallel zum Studium Zeit kostet, aber im Hinblick auf Lebenserfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und auch auf spätere Bewerbungen von großem Wert ist, ist ehrenamtliches oder soziales Engagement, etwa wenn man sich beim Asta für andere Studierende engagiert oder als Mentor für Kinder aus Arbeiterfamilien agiert. „Gleich mehrfach lohnenswert ist der Einsatz als Tutorin oder Tutor“, sagt Karin Wilcke. „Zunächst mal engagiere ich mich für andere, erleichtere ihnen etwa den Studieneinstieg. Gleichzeitig zeige ich Organisationstalent, sammle erste Erfahrungen im Führen von Gruppen oder auch im Unterrichten.“ Hinzukommt: Der Job als Tutor ist bezahlt.

Grundsätzlich seien all diese Angebote außerhalb des eigentliches Faches für Studierende ein Gewinn, so das Fazit von Karin Wilcke. „Ich erweitere meinen Blick – und ich bekomme so Kontakt mit anderen Studierenden auch außerhalb meines eigenen Fachs. Dadurch wird mir klarer, welche beruflichen Möglichkeiten es für mich gibt. So kann die Hürde zwischen Uni und Arbeitswelt abgebaut werden – und die Studierenden qualifizieren sich zusätzlich zu ihrem Studium. Davon profitieren alle Seiten – Studierende wie Arbeitgeber.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort