Erasmus Trotz Brexit und Corona nach Cardiff

Yazgi Yilmaz hat ein Austauschsemester in Wales verbracht. Damit gehört sie zu der Gruppe der letzten Studierenden, die noch mit dem Erasmus-Programm nach Großbritannien reisen konnten. Ein Erfahrungsbericht.

 Yazgi Yilmaz (23) studierte trotz Pandemie und Brexit für vier Monate in Wales. Ihr Lieblingsort war die Cardiff Bay.

Yazgi Yilmaz (23) studierte trotz Pandemie und Brexit für vier Monate in Wales. Ihr Lieblingsort war die Cardiff Bay.

Foto: Yilmaz

„Manchmal kann ich kaum fassen, dass ich wirklich im Ausland war.“ Für Yazgi Yilmaz, die an der Ruhr-Universität Bochum Anglistik, Amerikanistik und Geschichte studiert, ist es manchmal „surreal“, dass sich ihr Traum vom Auslandssemester in Großbritannien trotz Corona-Pandemie und Brexit tatsächlich erfüllt hat. Von September bis Januar lebte und lernte die angehende Lehrerin im walisischen Cardiff. „Ursprünglich wollte ich über den Pädagogischen Austauschdienst gehen und an einer Schule arbeiten“, sagt Yilmaz. „Aber mir war im vergangenen Sommer schon klar, dass die Schulen in der Pandemie in einer sehr schwierigen Lage sind. Und so freute ich mich über das Erasmus-Stipendium für Cardiff. Das ist eine echte Studentenstadt, nicht zu groß, schön grün und mit angemessenen Preisen.“

„Mit viel Hoffnung und Motivation im Koffer habe ich mich auf den Weg nach Cardiff gemacht“, fasst Yilmaz zusammen. „Ich habe mir gedacht: Wenn ich das Auslandssemester jetzt verschiebe – wann werde ich überhaupt wieder fahren können? Ich hatte mein Studium genau durchgeplant – und ich wollte mir weder vom Brexit noch von der Pandemie meine Lebensplanung umkrempeln lassen.“ Doch vor allem die Pandemie lies das Auslandssemester speziell werden: Alle von Yazgi Yilmaz gewählten Kurse fanden online statt, ebenso wie die „Welcome Week“ der Erasmus-Studierenden. „Dennoch habe ich in dem privaten Studentenwohnheim, in dem ich gewohnt habe, eine tolle, internationale Community kennengelernt. Wir konnten zusammen Kaffee trinken, in den Parks sitzen, an der Cardiff Bay spazieren gehen.“ Mit den britischen Studierenden Kontakte zu knüpfen, sei dagegen schwer gewesen. „Das war sicher schade: Einerseits wegen des sprachlichen Austausches, andererseits, um zum Beispiel ihre Perspektive auf den Brexit zu erfahren.“

Einschränkungen gab es natürlich auch im Alltag: Zwar waren Geschäfte, Restaurants und Friseure in Cardiff geöffnet, jedoch durften die Einwohner zwischenzeitlich die Stadt nicht verlassen.

Museumsbesuche waren auch im Lockdown noch möglich. „Mein absoluter Lieblingsort war die Cardiff Bay. Mir ist bewusst, dass es nicht der optimale oder ersehnte Auslandsaufenthalt war, aber ich war bereit, diese Kompromisse einzugehen“, sagt die 23-Jährige. Sie sieht ihren Auslandsaufenthalt trotz der Einschränkungen – und der Ängste, überhaupt wieder aus Großbritannien ausreisen zu können – als eine wichtige Erfahrung: „Ich habe mich selbst besser kennengelernt, mehr Selbstbewusstsein entwickelt, bin selbstständiger und reifer geworden. Ich habe gelernt, Entscheidungen selbst zu treffen und Lösungen zu finden.“ Sie möchte anderen Studierenden Mut machen, trotz der Pandemie den Weg ins Ausland zu wagen.

Mit einem Auslandssemester in Großbritannien wird es aber für Studierende in Zukunft nicht nur auf Grund der Corona-Pandemie schwierig: Mit dem Ausstieg aus der Europäischen Union hat das Vereinigte Königreich zum 1. Januar 2021 auch das Erasmus-Programm verlassen. Das bedeutet: Studierende aus Deutschland müssen künftig bei Studien-Aufenthalten in Großbritannien Gebühren bezahlen. „Großbritannien ist unter unseren Studierenden eines der Lieblingsziele für Auslandsaufenthalte“, sagt Jutta Schmid vom International Office der Ruhr-Universität. „Es ist auf Grund seiner guten Hochschulen als Studienort, aber auch für Auslands-Praktika sehr beliebt.“ Bis voraussichtlich zum Sommersemester 2023 könnten mit nicht ausgeschöpften Erasmus-Mitteln noch Auslandsaufenthalte zu den Erasmus-Bedingungen finanziert werden. „Danach ist aber mit der Förderung Schluss.“

Nicht nur das monatliche Stipendium von rund 400 Euro falle dann weg, sehr viel schwerer wiege, dass EU-Studenten während eines Austausches dann nicht mehr automatisch von den Studiengebühren befreit würden, so Schmid. „Stattdessen werden sie nun wie alle anderen Internationalen Studierenden behandelt und müssen sogenannte ,Oversea Fees’ zahlen.“ Und die liegen, je nach Studienort und Fach, durchaus zwischen 20.000 und 40.000 Euro pro Studienjahr.

Hoffnung auf einen Studienaufenthalt in Großbritannien auch ohne große finanzielle Mittel macht Jutta Schmid dennoch: „Wir werden versuchen, mit einzelnen Universitäten Verträge zu schließen, in denen wir den Austausch-Studierenden gegenseitig die Studiengebühren erlassen. Denn natürlich haben auch die britischen Unis Interesse daran, dass weiterhin Studierende aus

Deutschland zu ihnen kommen und sie ihren Studierenden Austauschplätze im Ausland anbieten können.“ Zudem würden es gegebenenfalls auch örtliche Stipendien geben. Interessant werde auch noch das von Boris Johnson angekündigte „Turing“-Programm sein.

Eine wichtige Änderung ergibt sich aus dem Brexit und dem Ausstieg aus dem Erasmus-Programm auch für alle, die ein Praktikum im Vereinigten Königreich machen wollen: „Das wurde über Erasmus bisher mit rund 500 Euro im Monat gefördert“, sagt Jutta Schmid. „Das fällt nun weg. Und: Für jedes Praktikum braucht man ab sofort ein Visum – das erfordert also eine längere Vorbereitung und kostet natürlich eine Gebühr.“ Für Studierende gilt: Sie brauchen für einen Studienaufenthalt bis zu sechs Monaten kein Visum – dürfen dann aber auch nicht nebenbei jobben, um die Studiengebühren abzufangen.

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