Fälle in NRW Zootiere werden mit Schlafmitteln ruhiggestellt

Duisburg · Tierschützer kritisieren den Gebrauch von Psychopharmaka in Zoos, um Tiere ruhigzustellen. Die Tiergärten rechtfertigen fast alle Fälle mit medizinischen Gründen. Das Landesamt für Natur und Umwelt stützt diese Angaben.

 Die meisten Tiere im Zoo schlafen nach ihrem natürlichen Rhythmus. Manchmal aber werden sie mit Medikamenten ruhiggestellt.

Die meisten Tiere im Zoo schlafen nach ihrem natürlichen Rhythmus. Manchmal aber werden sie mit Medikamenten ruhiggestellt.

Foto: dpa, imago, Corbis

Die Medikamente heißen Zuclopenthixol oder Perphenazin, und sie werden benutzt, um Psychosen, Erregungszustände oder aggressives Verhalten zu behandeln. Beim Menschen. Dass sie auch bei Tieren angewandt werden, ist in der Öffentlichkeit weniger bekannt.

Ein Bericht des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv), den auch das Magazin "Stern" zitiert, listet den Gebrauch von Psychopharmaka in NRW-Zoos von 2012 bis 2014 auf. Dazu gehört auch eine Gabe der Neuroleptika Perphenazin und Haloperidol an drei männliche Tiger in der Zoom-Erlebniswelt Gelsenkirchen, um sie an eine neue Anlage zu gewöhnen. Und die einwöchige Behandlung dreier älterer Bartaffen mit dem Mittel Zuclopenthixol im Natur-Zoo Rheine, um sie nach ihrem Ausschluss aus der Gruppe gemeinsam halten zu können.

Der Deutsche Tierschutzbund kritisiert den ungerechtfertigten Einsatz von Psychopharmaka in Zoos. Bekannt sei das schon seit längerem, sagt James Brückner, Abteilungsleiter Artenschutz. "Das Ausmaß ist allerdings nicht abzuschätzen."

Der Verdacht: Mit der Gabe von Medikamenten werden in manchen Fällen Haltungsprobleme kaschiert. "Durch diese Mittel sollen die Tiere an die Haltungsbedingungen angepasst werden", sagt Brückner. "Dabei sollte es eigentlich umgekehrt sein: Die Haltung muss sich an den Tieren orientieren."

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Wenn es etwa Probleme in der sozialen Interaktion gebe, müsse ein Zoo sich fragen, ob sich das Problem nicht anders als mit Medikamenten lösen lasse. Einzige Ausnahme: eine medizinische Indikation.

40 Fälle in acht NRW-Zoos

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Zu diesem Ergebnis aber kommt das Lanuv. In allen aufgelisteten Fällen - rund 40 aus acht Zoos in NRW - sei die Verwendung von Psychopharmaka "stets veterinärmedizinisch indiziert und zum Wohle der Tiere entschieden worden", heißt es in dem Bericht. Wenn es um Tiere ging, die mit ihrer Haltungssituation kurzzeitig aufgrund von Ausnahmesituationen überfordert waren, sei der Einsatz von Medikamenten "sehr sorgfältig" geprüft worden.

Arne Lawrenz, Zoodirektor in Wuppertal, etwa betont die Wichtigkeit von Narkotika auch für Tiere: Sie seien unerlässlich, wenn Transporte oder Operationen anstehen, aber auch für nötige medizinische Kontrollen. Der Zugriff auf die Apotheke des Zoos ist nur den beiden Tierärzten des Hauses erlaubt, regelmäßig kontrolliere das Landesamt den Bestand.

Momentan gebe Lawrenz - selbst Tierarzt - einem Gorillaweibchen wöchentlich ein Beruhigungsmittel, um den Heilvorgang einer Bisswunde begutachten zu können, die ihr ein männlicher Artgenosse "zur Disziplinierung" zufügte. Ein solches Verhalten unter Gorillas gebe es Lawrenz zufolge in der freien Natur ebenso wie im Zoo.

Die Kritik der Tierschützer, in Zoos Lebensräume zu schaffen, die der Wildnis entsprechen, ist für Lawrenz nur bedingt gültig: "Die ,freie Wildbahn' ist Definitionssache. Der Krüger-Nationalpark wird auch von Menschen gemanagt."

Auch im Duisburger Zoo gab es Fälle, in denen Tierärztin Kerstin Ternes Sedativa verabreichte. "Die kann man allerdings an einer Hand abzählen", sagt Ternes. In einem Zeitraum von zwei Jahren habe sie dem Elefantenbullen "Shaka" insgesamt vier Mal ein Mittel verabreicht, das ihn zum Schutz seiner Zuchtpartnerin ruhiger machen sollte.

Von einer Betäubung des Tiers will sie nicht sprechen: "Die Wirkung muss man sich wie eine rosarote Brille vorstellen." Das eingesetzte Mittel Perphenazin werde laut Ternes auch beim Menschen angewendet - in doppelter Dosis, bis zu dreimal täglich. Der Bulle lebt außerhalb der Zuchtzeiten in einem eigenen Gehege, denn männliche, ältere Elefanten sind Einzelgänger.

Pia Krawinkel, Fachtierärztin in der Zoom-Erlebniswelt Gelsenkirchen, gebe Tieren ausschließlich "streng nach Indikation" Medikamente. Dies sei auch der Fall gewesen, als sie Anfang 2013 den drei Tigern Perphenazin verabreichte. Die drei Brüder seien kurz zuvor aus Budapest eingetroffen, das Mittel sollte die Eingewöhnung im neuen Gehege erleichtern - denn eigentlich sind Tiger territoriale Einzelgänger. "Wir haben nur einmal gespritzt", sagt Krawinkel.

Die Abbauzeit von Perphenazin im Körper der Tiere betrage zwei Wochen, nach denen lediglich bei einem "sehr aufgeregten" Tier einmalig ein Kurzzeit-Sedativum nötig gewesen sei.

Peta: Bekannte Fälle nur "die Spitze des Eisbergs"

Peter Höffken, Fachreferent Zoo bei der Tierschutzorganisation Peta, nennt solche Medikamentationen wegen Verhaltensauffälligkeiten "moralisch verwerflich". Zudem hält er die bekannten Fälle nur für die "Spitze des Eisbergs".

"Erst unter Druck haben die Zoos Akteneinsicht gewährt und zugeben müssen, Psychopharmaka zu verwenden", sagt Höffken. Selbst das Bundeslandwirtschaftsministerium verdammt in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken die Chemie-Keule: "Ein dauerhafter und routinemäßiger Einsatz von 'Psychopharmaka' - etwa Beruhigungsmittel - zur Kompensation ungeeigneter Haltungsbedingungen verstößt nach Auffassung der Bundesregierung gegen die Vorgaben des Tierschutzgesetzes."

Was also tun? Höffken stellt die Zootierhaltung generell infrage. Zumindest aber müssten sensible Arten aus den Tiergärten verschwinden. James Brückner vom Deutschen Tierschutzbund sieht das ähnlich. "Wenn ein Zoo es nicht leisten kann, optimale Bedingungen für alle Tiere zu schaffen, sollte er auf Arten verzichten."

(RP)
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