Undercover-Einsatz Wallraff deckt Sicherheitsmängel in Freizeitparks auf

Köln · Seine Ermittlungen decken seit Jahrzehnten Missstände auf, nun waren Günter Wallraff und sein Team im Auftrag von RTL in einigen deutschen Freizeitparks unterwegs. Auch im Phantasialand in Brühl bei Köln deckten sie Missstände auf. In machen Parks wird laut Wallraff sogar in sicherheitsrelevanten Bereichen gespart.

 Undercover-Reporterin Caro Lobig bei ihren Ermittlungen im Phantasialand.

Undercover-Reporterin Caro Lobig bei ihren Ermittlungen im Phantasialand.

Foto: RTL

Das Phantasialand gilt als einer der beliebtesten Freizeitparks in Deutschland. Auf einer Fläche von etwa 39 Fußballfeldern vergnügen sich jährlich um die zwei Millionen Gäste auf 39 Attraktionen. Im Juli 2014 bewarb sich Caro Lobig als verdeckte Ermittlerin "Stephanie" für einen Stundenlohn von 8,80 Euro. Im sogenannten Wuzetal, wo Gäste Tretboot fahren können, wurde sie als Mitarbeiterin eingesetzt.

Im Laufe Ihres Undercover-Einsatzes erlebte sie immer wieder, dass Kollegen angesichts des hochsommerlichen Besucheransturms völlig überarbeitet waren. Mitunter konnten sie, so zeigten es die Aufnahmen am Montagabend bei RTL, stundenlang nicht auf die Toilette gehen, da eine Ablösung nicht schnell genug bereit stand. Von Seiten der Vorgesetzen hieß es, dass man eine Mittagspause und eine Toilettenpause habe. "Dazwischen heißt es eigentlich Beine zusammenkneifen."

Die üblichen zwei freien Tage in der Woche konnten, wie ihr Mitarbeiter berichteten, oft kaum eingehalten werden. Parkdirektor Ralf-Richard Kenter gab im Gespräch mit Wallraff zu, dass der Rhythmus mit den zwei freien Tagen nicht immer eingehalten werden könne, man sich aber grundsätzlich darum bemühe.

Am vierten Tag ihres Einsatzes passierte, wovor die Reporterin Angst hatte: Ein kleines Mädchen fiel in den vier Meter tiefen See. Noch bevor Lobig alias Stephanie mit einem recht langsamen Rettungsboot an der Unglücksstelle ankam, war der Bruder des Mädchens ins Wasser gesprungen und hatte seine Schwester an Land gezogen.

Freizeitpark: Unfälle mit Fahrgeschäften und Achterbahnen in Deutschland
Infos

Diese Unfälle gab es in Freizeitparks in Deutschland

Infos
Foto: dpa/Pascal Czech

Auch im Safaripark Stukenbrock in Ostwestfalen ermittelten die Reporter. Der Park bietet nicht nur Fahrgeschäfte, er wirbt damit, dass 600 Tiere fast wie in freier Wildbahn leben. Als Studentin bekommt Caro Lobig einen Job als Aushilfe. Schüler und Studenten bekamen hier 2014 einen Stundenlohn von vier Euro, die Festangestellten verdienten 1100 Euro brutto. Bei einer Sechs-Tage-Woche entsprach das 5,70 Euro brutto in der Stunde. Viele der Mitarbeiter, ein Großteil davon nach RTL-Angaben osteuropäische Saisonkräfte, wohnten in einem heruntergekommenen Camp im Park. Die alten Wohnwagen und Containern bieten teilweise nur sechs Quadratmeter Platz — und das für 70 Euro pro Monat im Jahr 2014.

Neben schlechten Arbeits- und Wohnverhältnissen deckte das "Team Wallraff" auch eine wenig artgerechte Haltung der Tiere auf. Herdentiere standen im Dunkeln hinter Gittern oder lebten einsam in einer kleinen Box. Auf einer Safari durch das Gelände erlebten Wallraff und die Tierexpertin Laura Zodrow vom Tierschutzverein animal public, wie Pfleger in den vielbeworbenen Freilauf der Tiere systematisch mit der Peitsche eingreifen. Am dritten Tag ihres Einsatzes flog Caro Lobig auf. Eine Saison später, im April 2015, überprüfte "Team Wallraff" noch einmal die Arbeitsbedingungen und die Haltung der Tiere. Es hatte sich offenbar kaum etwas verändert. In diesem Jahr wird angeblich Mindestlohn bezahlt. Mitarbeiter berichteten jedoch von häufiger Mehrarbeit, für die Unterkunft im Camp werden nun 150 Euro berechnet.

Undercover-Ermittlungen auch in Hameln und Haßloch

Der Tierpark Bad Pyrmont liegt in der Nähe von Hameln in Niedersachsen und hält rund 450 Tiere 70 verschiedener Arten. Caro Lobig bekam im Februar 2015 ein Praktikum als Tierpflegerin und deckte schon nach kurzer Zeit auf, dass im Schimpansen-Gehege nach dem Tod eines Artgenossen verbotener Weise nur noch der Affe Charly lebte — dabei ist die Einzelhaltung von Schimpansen verboten. Rund 20 Minuten am Tag hatte er Kontakt zu einem Pfleger. "Team Wallraff" schaltete über die Tierexpertin Laura Zodrow die Behörden ein und zeigte die Missstände beim Veterinäramt an. Aber bei einer Überprüfung drei Monate später lebte Charly immer noch alleine. Erst dann fand der Schimpanse Charly in einer Auffangstation in England ein neues Zuhause. Nach Ende der Quarantäne werde er in einer Gruppe mehrerer Schimpansen leben.

Der Holiday Park Haßloch in Rheinland-Pfalz: Hier passierte am 15. August 2014 ein schreckliches Unglück. Claudia Walker und ihre elfjährige Tochter Amber wollten gerade in das Karussell "Spinning Barrels" einsteigen, als es losfuhr. Während die Mutter zur Seite geschleudert wurde, wurde Amber erfasst und von den drehenden Platten zu Tode geschleift. In einem langen Interview rekonstruierte Wallraff gemeinsam mit den Eltern, wie es zu dem tödlichen Unfall kommen konnte. Laut Claudia Walker gab es vor dem Start kein Warnsignal, möglicherweise deshalb, weil der Bediener des Karussells nicht richtig eingearbeitet worden war. Und weil er alleine war, konnte er die ganze Attraktion kaum überblicken. Auch wenn der zuständige Bediener gemeinsam mit zwei Vorgesetzten wegen fahrlässiger Tötung angeklagt wurde, gab es für die Mutter der toten Amber keinen Zweifel: "Derjenige, der den Knopf gedrückt hat, konnte den Fehler nur machen, weil er nicht richtig geschult worden ist, weil die Technik morgens nicht überprüft worden ist. Schuld ist der Park, Schuld ist das System."

Im April 2015 wollte "Team Wallraff" in Erfahrung bringen, ob der Holiday Park aus diesem Unfall gelernt habe, ob es mehr und besser eingearbeitetes Personal an den Attraktionen gibt. Anne, eine Informantin und Ex-Mitarbeiterin, ließ sich dazu ein zweites Mal in dem Freizeitpark einstellen. Eigentlich müsste sie von einem speziell qualifizierten Supervisor außerhalb des laufenden Betriebs gründlich und in Ruhe eingearbeitet werden, wurde sie allerdings nicht. Anne erfuhr, dass Bediener oft mehr als sechs Tage die Woche arbeiten müssen. "Es hat mich erschrocken, dass sich nichts geändert hat. Und ich stand zum Teil auch wieder alleine an den Fahrgeschäften", sagte sie. Ihr Chef Wallraff ergänzte: "Dieser tragische Unfall zeigt, dass Freizeitparks eben nicht nur harmloses Vergnügen sind. Ich kann jetzt nur hoffen, dass die Branche daraus Konsequenzen zieht und doch einiges grundlegend ändert. Wer im Freizeitpark am Personal spart, der spart letztlich an der Sicherheit."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort