Bundeskunsthalle in Bonn Hanteln mit Goldbarren - Kapitalismus im Museum

Kann man ein so komplexes Thema wie den Kapitalismus in eine Ausstellung fassen? Die Bundeskunsthalle versucht es, und das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Bundeskunsthalle Bonn: Ausstellung „Wir Kapitalisten - Von Anfang bis Turbo“
12 Bilder

Ausstellung „Wir Kapitalisten - Von Anfang bis Turbo“

12 Bilder
Foto: dpa/Oliver Berg

Auf den ersten Blick könnte es der vom Empire State Building gefallene King Kong sein. Oder der von Liliputanern gefesselte Gulliver. Aber auf den zweiten Blick sieht man, dass der riesige Affenmensch von einem Heer von Winzlingen gleichsam verwertet wird. Es wird Raubbau an diesem Wesen betrieben. Wie Parasiten zapfen Mini-Menschen sein Blut ab, rasieren ihm das Fell, pumpen Augenflüssigkeit in Schläuche und verschwinden damit in einem Loch in der Wand. Die Künstler Matthias Böhler und Christian Orendt schaffen so ein drastisches Bild für die Ausbeutung der Natur.

Die Installation ist Teil einer großen Kapitalismus-Schau in der Bundeskunsthalle in Bonn. Es ist ein ehrgeiziges Unterfangen, ein so komplexes Thema in einer Ausstellung zu fassen. Man kann das Experiment aber als gelungen bezeichnen - auch wenn nur wenige der 250 Exponate so packend sind wie die Installation des geplünderten Affenkörpers. Der Reiz besteht darin, dass unter Oberbegriffen wie „Individualisierung“, „Akkumulierung“ oder „Individualisierung“ Kunstwerke, historische Artefakte und Dokumente mit Alltagsgegenständen verbunden werden.

Am Anfang liegt ein dickes Geschäftsbuch aus Genua aus dem Mittelalter. Darin zu sehen: die doppelte Führung eines Kaufmanns. Ein damals revolutionär neues Prinzip, das sich praktisch unverändert bis in unsere Tage erhalten hat. Es systematisierte das Abrechnungswesen und trug so wesentlich dazu bei, dass sich Kreditgeber auf langfristigere Unternehmungen einließen. Wiederholbare Methoden anstelle von Improvisation: „Max Weber sagte vor 100 Jahren: Der ganze Kapitalismus baut auf dem westeuropäischen Rationalismus auf“, erläutert Kurator Wolfger Stumpfe.

Ein Schatz ist das älteste deutsche Grundbuch, eine Schreinskarte aus Köln von 1140. „Da wurden zum ersten Mal Immobilienverkäufe notiert“, erläutert Stumpfe. Fein säuberlich ist auf dem Pergament aufgezeichnet, wem in welcher Straße der Pfarrei St. Laurenz was gehörte.

Große Bedeutung hatte auch die Einführung von Uhren zur Reglementierung der zur Verfügung stehenden Zeit. Lange gab es sie nur am Kirchturm, im 16. Jahrhundert kamen dann aber auch Tischuhren für die Schreibtische der Kaufleute auf. Am Anfang hatten sie nur einen Zeiger: Es reichte, die Uhrzeit ungefähr zu kennen. Im 17. Jahrhundert wurde der Minutenanzeiger hinzugefügt.

Ein filigranes Modell der Betriebsanlagen der Vereinigten Ostindischen Compagnie (VOC) aus dem Rijksmuseum in Amsterdam steht für die Innovation, die den Kapitalismus immer wieder befeuert hat: Die VOC war als erstes Unternehmen der Geschichte als Aktiengesellschaft organisiert und konnte dadurch viel mehr Betriebskapital ansammeln als ihre Konkurrenten, die portugiesische Krone und die englische East India Company. Dies sicherte ihr nahezu 150 Jahre lang eine Vormachtstellung in Südostasien, es flossen jährliche Dividenden von bis zu 60 Prozent. Das Prinzip verbreitete sich bald um die ganze Welt.

Die Ausstellungsmacher versuchen immer wieder, den Besucher mit einzubeziehen. So kann man einen echten Goldbarren im Wert von mehreren zehntausend Euro anheben - er ist verblüffend schwer. Oder man steht vor einem kleinen Billig-Gemälde, dessen Wert steigt, je länger es betrachtet wird - genauso wie es ja auch in Wirklichkeit ist: Je mehr Aufmerksamkeit einem Werk zuteil wird, desto höher der Preis, den man dafür verlangen kann.

Breiten Raum nimmt der Aspekt der Verschwendung und des Luxus ein. Der Kapitalismus deckt in den reichen Ländern schon lange nicht nur Grundbedürfnisse ab, sondern muss stets neue Wünsche beim Verbraucher wecken, um wirtschaftliches Wachstum zu garantieren. Ein Beispiel dafür ist der sich rasch verändernde Markt für Mobiltelefone: Ein ehemaliges Tastenhandy von Bundeskanzlerin Angela Merkel wirkt heute schon vorsintflutlich.

„Wir hoffen, dass jeder hier zwei oder drei Gedanken mit rausnimmt“, sagt Stumpfe. Die Ausstellung besitzt große gesellschaftliche Relevanz und hat deshalb das Potenzial, junge, politisch interessierte Menschen ins Museum zu locken. Die Bundeskunsthalle setzt damit ihre Strategie fort, sich einem größeren Publikum zu öffnen.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort