Fest der Poesie mit Herta Müller

Zum zweiten Mal feierte das Heine Haus ein Poesiefest. Im Mittelpunkt: der Auftritt von Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, die in der Kunstsammlung unterhaltsam ihre Collagen-Lyrik vorstellte.

Das Wort Pepita hat es in sich. Denn immer, wenn Herta Müller es in einer Zeitung oder einem Magazin entdeckt, muss sie ausschneiden. Doch dann passt es nirgendwohin, in keins ihrer Gedichte, die so wunderbare Collagen aus herbeigesuchten Worten sind – echte Schnipsellyrik.

Die hat Herta Müller zum Auftakt des zweiten, vom Heine Haus veranstalteten Poesiefests jetzt in der Kunstsammlung NRW vorgestellt, und es wurde ein Abend, wie man ihn sich bei Lyrik vergnügter kaum vorstellen kann: Die 59-jährige Literaturnobelpreisträgerin ist gut gelaunt, liest ihre Collagen von der großen Leinwand ab – eine Lesung somit ganz ohne Buch; und im Gespräch mit Buchhändler Rudolf Müller ist sie derart aufgeräumt, dass für viele amüsante Erzählungen wenige Stichworte vom Moderator ausreichen.

Herta Müller schnipselt eifrig schon seit den 80er Jahren, bewahrt all die zusammengeklaubten Wörter daheim in Schubladen auf, mal alphabetisch sortiert, mal nach Präpositionen geordnet, ein weiteres Mal ganz ohne System. Eine große Wörterwerkstatt ist das, in der Herta Müller arbeitet und sich dabei strengen Strukturen unterwirft: Auf eine Ansichtkarte muss es passen, muss auch grafisch stimmen und letztlich dem Blocksatz folgen. Da werden also lange und kurze Wörter hin- und hergeschoben, und dass am Ende mitunter heitere, inspirierende und bedenkenswerte Verse entstehen, ist das Unglaublichste überhaupt. Daran hat Herta Müller ihre Freude, wenn sie etwa aus der Lufthansa-Werbung das Wort "Fliegen" ausschneidet und sich dann in ihrem Gedicht in ein Insekt verwandelt. "Ich habe den Eindruck, mir wird mit den Wörtern etwas geschenkt; und ich muss nur etwas mit ihnen machen", sagt sie. Und: "Der Reim domestiziert, aber er ist auch wild. Er hat seine Verstecke, spielt mit mir."

Freundlich empört ist sie an diesem Abend nur über die Begrüßungsworte von Oberbürgermeister Dirk Elbers, der ihre Gedichtform auch mit Erpresserbriefen assoziiert (was mit ihm wahrscheinlich 99 Prozent der Zuhörer dachten) – zumal vor dem Leidenshintergrund der viele Jahre in Rumänien verfolgten Autorin. Aber welcher Erpresser macht sich so viel Mühe, fragt sie ins Auditorium hinein. Und wer gebraucht so viele schöne Farben? Da hat sie vermutlich recht. Aber wirklich böse war sie nicht, zumal der erste Bürger der Stadt ihr zu Beginn galant auf die Bühne geholfen hatte.

Tags drauf dann die Poesiefortsetzung als Heimspiel im Heine Haus – mit dem arrivierten Lyriker und Übersetzer Raoul Schrott und der Entdeckung Olga Martynova, die jüngst den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb gewann. Ruhiger war es, konzentrierter. Selbst Gedichte über den Fußball wurden da zu einer ernsten Angelegenheit: Schrott bedichtete ein Leben im Mittelfeld, einen Sieg bloß über die Ersatzbank. Derweil zogen draußen vor dem Schaufenster der Literaturhandlung frustrierte Fortuna-Fans durch die Altstadt.

Die Siege der Poesie sind andere. Einen trug beim Festival Herta Müller davon. Denn in ihrem letzten vorgetragenen Gedicht triumphierte sie mit dem Beleg, dass es das Wort "Pepita" doch noch in einen ihrer Verse geschafft hatte.

(RP)
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