Falk Richter: "Büchners Zeit ist auch unsere Zeit"

Was erwartet uns bei einem Stück mit dem schlichten Titel Büchner?

Richter Ein Abend mit Texten von und über Georg Büchner. Büchner war eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Literatur. In nur zwei Jahren schrieb der sein Gesamtwerk, radikal in Aussage und Form, auf der Flucht vor der Polizei, mehrmals nur knapp der Verhaftung und der Folter entkommen. Ein gehetzter, wütender, sensibler Dichter, der die Theaterlandschaft weltweit veränderte. Büchner hat mich immer fasziniert und inspiriert, ich wollte schon seit langer Zeit eine Inszenierung machen, in dem es um seine Inhalte und seine spezielle Energie geht. Für mich ist Büchner der für unsere Zeit heute relevanteste deutsche Klassiker. Mit Woyzeck hat er das einzige deutschsprachige "Welttheaterstück" geschrieben - weltweit öfter aufgeführt als Goethes Faust.

Welche Zeitbezüge bauen Sie ein?

Richter Büchner schrieb zu einer Zeit, als die ökonomischen und sozialen Spannungen zwischen Armen und Reichen wuchsen und sich erste Protestbewegungen formulierten. Die Reichen lebten ein extrem dekadentes, abgehobenes Leben auf Kosten der Handwerker und Bauern. Die Finanzkrise heute schafft neue Gräben zwischen Armen und Reichen. Banken werden mit massiven Steuergeldern subventioniert, um Spekulanten ihren Einsatz zurückzuzahlen –- auf Kosten von Sozialleistungen, Bildung, Gesundheit, Kultur. Das bringt nun auch in Europa wütende Menschen auf die Straßen. Das Klima wird rauer. Finanztechnokraten lösen die gewählten Parlamente ab. Büchners Zeit ist auch unsere Zeit.

Welche Figuren aus Büchners Werk dienen Ihnen dabei?

Richter Lenz, Woyzeck und die untereinander verfeindeten Revolutionäre St Just und Danton aus dem Stück Danton's Tod. Alle vier auf ihre Weise extreme Figuren der Weltliteratur.

Und welche Schriften?

Richter Ich habe das Gesamtwerk Büchners als mein Material für diesen Abend angesehen, die stärksten Texte ausgesucht, die sich alle um die Frage drehen: Welche gesellschaftlichen Prozesse wirken auf den Menschen ein? Es ist ein Abend über das Denken und Leben Büchners, die drängenden Fragen, die sein Werk heute an uns stellt.

Woyzeck ist nicht nur die berühmte Büchner-Figur, Sie sprechen auch vom Zustand Woyzeck...

Richter Der Zustand Woyzeck ist der Zustand des verhetzten orientierungslosen modernen Individuums, das ständig überarbeitet ist, nicht mehr zur Ruhe kommt, nur ungesicherte, instabile Beziehungen hat, ausgenutzt wird, sich ständig der Arbeit zur Verfügung stellt – der Mensch kurz vorm Burn-out oder kurz vorm Amoklauf – das ist Woyzeck.

Welche Mittel setzen Sie ein?

Richter Ein Kollektiv von sieben Schauspielern arbeitet sich durch unterschiedliche Figuren und Texte, will Büchners Werk in unsere Zeit hineinholen. Mit einem Klang–raum und Videos entsteht ein Diskursraum, eine Art Weltinnenraum der Büchnergedanken.

Annette Bosetti führte das Gespräch.

(RP)
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