Streitbare Medizinerin aus Wuppertal Ärztin im Grenzbereich

Eva Waldschütz aus Wuppertal ist eine von wenigen Frauenärzten, die Abtreibungen vornehmen. Lieber würde sie Kinder auf die Welt bringen. Aber irgendjemand müsse auch ungewollte Schwangerschaften beenden, sagt sie.

  Frauenärztin Eva Waldschütz.

Frauenärztin Eva Waldschütz.

Foto: "Köhlen, Stephan (teph)"/Foto: Stephan Köhlen

Er hatte es im Scherz geäußert, nicht ganz ernst gemeint, aber gesagt ist gesagt. „Killing Sister“ hat ein Arztkollege Eva Waldschütz einmal genannt, die „tötende Schwester“. Das mache ihr nichts aus, sagt sie und verscheucht den Begriff mit einer Handbewegung wie eine Fliege. Denn so bezeichnet zu werden, ist bei Weitem nicht ihr größtes Problem. Seit Jahrzehnten nimmt Eva Waldschütz Abtreibungen vor, zweimal stand die Frauenärztin deshalb schon vor Gericht. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, für ein Recht zu kämpfen, das es bislang nicht gibt: umfassend zu informieren, was sie tut.

Eva Waldschütz ist 62 Jahre alt, ihr Haar ist weiß und ihre Augen sind wach. Sie hat in ihrem Berufsleben geholfen, viele Kinder zur Welt zu bringen, und sie hat viele Schwangerschaften beendet. Es ist ein Thema, das sie sichtlich bewegt. Nicht, dass sie laut wird. Die Frustration steckt in ihren Sätzen, verborgen zwischen den Worten. Natürlich würde sie lieber eine Schwangerschaft begleiten, der Frau Ultraschallbilder des Fötus zeigen und ihr am Ende ein schreiendes, gesundes Baby auf den Bauch legen. Aber irgendwer müsse auch ungewollte Schwangerschaften beenden, sagt sie. Das Land muss dafür laut Gesetz sogar eine „ausreichende Versorgung“ gewährleisten. „Es ist absurd. Ich begehe kein Verbrechen, aber trotzdem fühlt es sich so an.“

Der Abbruch einer Schwangerschaft ist ein Konflikt, der alle Betroffenen schwer belastet. Ein Thema, das die Gesellschaft seit jeher zutiefst spaltet. Ein Dilemma, das bleibt und das sich auch in der Gesetzgebung widerspiegelt. Wie Eva Waldschütz schwimmen viele Ärztinnen und Ärzte in dem trüben Wasser zwischen Gesetz und Moral. Abtreibungen sind in Deutschland illegal, bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe sind möglich. Doch wenn der Abbruch vor der zwölften Schwangerschaftswoche vorgenommen wird, die Schwangere sich beraten lässt und danach eine Bedenkzeit von drei Tagen einhält, bleibt der Eingriff straffrei.

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Foto: Shutterstock/Diego Cervo

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erklärte im Januar 2019: „Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein medizinischer Eingriff wie jeder andere.“ Aus medizinischer Sicht, findet Eva Waldschütz, ist er das schon. Bis zur neunten Schwangerschaftswoche ist eine Abtreibung mit Medikamenten möglich. Ist die Schwangerschaft weiter fortgeschritten, wird der Fötus abgesaugt. Unter Ärzten sei das verpönt, sagt Eva Waldschütz. „Es tut dem Ruf nicht gut.“ Der Eingriff dauert höchstens 15 Minuten, aber er widerspricht dem Ethos vieler Mediziner. Sie sollen „keiner Frau ein Abtreibungsmittel aushändigen“ steht im Eid des Hippokrates aus der Antike, auf den sich Ärzte bis heute berufen.

Zur Befürworterin legaler Abtreibungen wird Eva Waldschütz plötzlich, 1982 in Guatemala, wo sie als junge Medizinstudentin ein Praktikum in einem Krankenhaus macht. Über Schwangerschaftsabbrüche hatte sie an der Unit in Düsseldorf nichts gelernt. Doch dann liegt da diese Frau auf der Pritsche, keine 20 Jahre alt, und verblutet. Weil jemand, der kein Arzt war, die Schwangerschaft beenden wollte und die Fruchtblase aufgestochen hatte. Seitdem hat sie das Thema nicht mehr losgelassen. Auch in Deutschland sind vor dem seit 1995 geltenden „Schwangeren- und Familienhilfe-Änderungsgesetz“ viele Frauen durch verpfuschte illegale Abtreibungen verletzt worden oder sogar gestorben, die Dunkelziffer ist hoch. Schätzungen gehen von bis zu 500.000 illegalen Abtreibungen Anfang der 70er Jahre in Westdeutschland aus.

Nach ihrer Approbation arbeitet Waldschütz an einer Frauenklinik in Essen, führt dort viele Abbrüche durch. Seit 20 Jahren behandelt sie Frauen in ihrer eigenen Praxis in Wuppertal. Zweimal wurde die Ärztin angezeigt, weil sie für Schwangerschaftsabbrüche geworben haben soll – ein Verstoß gegen Paragraf 219a Strafgesetzbuch. Einmal bot sie auf ihrer Internetseite eine PDF-Datei zum Download mit Informationen zu dem Eingriff an. Wie lange darf man kein Vollbad nehmen? Wann darf man wieder Sex haben? Wann muss man wieder die Pille nehmen? „Ich dachte nicht, dass es als Werbung gilt, wenn man die Datei herunterladen muss“, sagt sie. Ein zweites Mal stand in einem Online-Telefonbuch bei dem Namen ihrer Gemeinschaftspraxis das Stichwort „Schwangerschaftsabbruch“. In beiden Fällen wurde sie verurteilt und musste 6400 Euro Geldstrafe zahlen.

Darum nehmen immer weniger Ärzte Abtreibungen vor, auch in NRW. Im Kreis Kleve, im Sauerland, im Münsterland und in der Eifel gibt es nach Angaben von „Pro Familia“ so gut wie keine Ärzte für einen solchen Eingriff. Die Beratungsstelle hat alle dafür bekannten Praxen und Kliniken in NRW zusammengetragen. Es sind 135 mit gut 160 Medizinern.

Die meisten Ärzte sind müde, sich zu äußern, scheuen den Ärger, sagt Claudia Leiking von „Pro Familia“ in Münster. „Die Situation in NRW ist sicherlich nicht so prekär wie in anderen Bundesländern. Allerdings gibt es auch weiße Flecken“, sagt sie. Und auch an Rhein und Ruhr, wo es noch viele Praxen gibt, ist die Zahl der Termine begrenzt. In Regionen mit schlechter Verkehrsanbindung bedeutet das für ungewollt Schwangere eine lange Anreise und Kosten. Oft können sie nicht wählen, welchem Arzt sie sich anvertrauen; zudem bietet nicht jeder Mediziner jede Methode an. Eine schwierige Situation, vor allem für Minderjährige, für finanziell schwache Frauen, für Frauen mit einem konservativen kulturellen Hintergrund, die oft allein sind mit der Situation.

Aus Sicht des NRW-Familienministeriums ist für Frauen die Möglichkeit sichergestellt, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Das heißt, eine Einrichtung ist innerhalb eines Tages mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. „Es ist diskussionswürdig, inwieweit es einer Frau nach einem medikamentösen Abbruch zumutbar ist, mit einer starken Blutung weite, komplizierte Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen“, sagt dazu Claudia Leiking.

Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche deutschlandweit liegt laut Statistischem Bundesamt seit einigen Jahren konstant bei etwa 100.000 im Jahr, rund 21.300 davon in NRW. Meist kommen die Frauen zum Termin allein, ohne Ehemann, Partner, Freund. Und wenn die Frauen kommen, sagt Eva Waldschütz, dann sind sie sich ihrer Sache meist sicher. Der Großteil ist zwischen 25 und 30 Jahre alt, die meisten eher älter als jünger. Häufig ist es der Beruf, der einem Kind im Weg steht, oft sind es auch Geldsorgen. Meist haben die Frauen bereits Kinder. „Es sind oftmals Frauen, die das Muttersein sehr ernst nehmen“, sagt Eva Waldschütz. „Sie treffen für sich die rationale Entscheidung, dass sie es nicht schaffen, finanziell oder beruflich.“

Ärzte können nicht dazu gezwungen werden, Abtreibungen durchzuführen, sie dürfen sich aus Gewissensgründen weigern. Und häufig sei die Hemmschwelle zu groß, selbst für Ärzte, die einen Abbruch mit sich vereinbaren können, vermutet Claudia Leiking von „Pro Familia“. Viele fürchten Anzeigen und Abtreibungsgegner vor der Tür.

Eva Waldschütz hat ein Banner genäht, das sie immer wieder aus dem Keller holt, wenn sie es braucht. „Paragraf 219a“ steht darauf, schwarz auf weiß – durchgestrichen mit einem roten Kreuz. Sie nimmt das Banner mit zu Prozessen gegen Frauenärztinnen wie Kristina Hänel, Nora Szász und Natascha Nicklaus. Sie alle waren angeklagt, weil auf ihren Internetseiten stand, dass sie Abtreibungen durchführen. Das widersprach jahrzehntelang dem Werbungsverbot. Der neue Paragraf gilt seit März 2019. Ärzte dürfen nun schreiben, dass sie Abbrüche vornehmen. Name, Adresse, Telefonnummer und Methoden der Mediziner stehen zudem auf einer Liste der Bundesärztekammer. Mittlerweile haben sich 327 Ärzte freiwillig eintragen lassen.

Die Spitzenorganisation beklagt, dass diese Mediziner Drohungen und Gewalthandlungen ausgesetzt seien. Dies habe nachteilige Folgen für die medizinische Versorgung von Schwangeren, die einen Abbruch erwägen. Ärzte sollten daher vergleichbar den Regelungen zur Hasskriminalität geschützt werden. Die Gesetzesreform sollte Klarheit schaffen, wann Ärzte und Krankenhäuser straflos über Schwangerschaftsabbrüche informieren können. Doch einheitlich ist die Rechtsprechung seitdem nicht. Ein Verfahren gegen zwei Kasseler Ärztinnen wurde eingestellt. Das Urteil gegen Kristina Hänel wurde aufgehoben, das Landgericht Gießen musste noch einmal neu verhandeln. Die Berliner Ärztin Bettina Gaber wurde zu einer Geldstrafe von 2000 Euro verurteilt, weil sie für Abtreibungen geworben haben soll. Auf ihrer Internetseite stand: „Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch in geschützter Atmosphäre gehört zu unseren Leistungen.“

Die Rechtsstreitigkeiten zwischen Frauenärzten und Abtreibungsgegnern seien das eine, sagt Eva Waldschütz. Das andere seien die ungewollt schwangeren Frauen. Für die habe sich nichts geändert. Eine unvollständige Liste gebe es nun zwar, die wichtigen Informationen fehlten aber noch immer: Details zu den Methoden, zum Zeitpunkt, zu den Kosten, die die Frauen selbst tragen müssen. „Je zugänglicher die Informationen sind, desto besser sind die Frauen geschützt“, findet die Ärztin.

Paragraf 219a wirke sich auch auf die Lehre an Universitäten aus, berichtet Waldschütz. Im Medizinstudium würden Schwangerschaftsabbrüche kaum behandelt, obwohl das Thema im Nationalen Lernzielkatalog vorgesehen sei. Die angehenden Ärzte müssten „Papaya-Workshops“ selbst organisieren. An den Früchten üben sie das Absaugen und Ausschaben, um den Eingriff zu lernen.

Auf Eva Waldschütz wartet der Ruhestand. Zur Ruhe kommen wird sie so schnell nicht. Sie will weiter gegen Paragraf 219a kämpfen, spricht an Universitäten vor Medizinstudenten über Abtreibungen, demonstriert bei Prozessen gegen Frauenärzte. Damit sie ihr Banner irgendwann nicht mehr aus dem Keller holen muss.

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