Düsseldorf Ersthelfer krankenhausreif geprügelt

Düsseldorf · Ein Passant wollte in Düsseldorf einer verunglückten Fußgängerin helfen - und wurde von ihrem Lebensgefährten zusammengeschlagen. Experten fürchten, dass Zivilcourage durch solche Fälle noch seltener wird.

Der 27-Jährige wartete in der Nacht zu gestern offenbar am Fenster auf seine vier Jahre jüngere Freundin. Als die um 1.38 Uhr die Erkrather Straße im Düsseldorfer Stadtteil Flingern überquert, achtet sie laut Polizeibericht offenbar nicht auf den Autoverkehr. Die Fahrerin eines VW Polo kann trotz Vollbremsung nicht verhindern, dass ihr Wagen die 24-Jährige erfasst. Diese wird gegen die Windschutzscheibe geschleudert und bleibt verletzt auf der Fahrbahn liegen.

Während der Freund aus seiner Wohnung nach unten rennt, bittet die unter Schock stehende Autofahrerin einen Passanten um Hilfe. Der 29-Jährige führt seinen Golden Retriever aus, lässt den Hund am Gehweg zurück und versucht, der verletzten Frau zu helfen. Als er sich über sie beugt, kommt der Freund der Frau hinzu, reißt ihn hoch und schlägt ihm mit der Faust ins Gesicht. Mehrere wuchtige Hiebe lassen den Mann bewusstlos zu Boden gehen. Er wird seitdem in einer Klinik künstlich beatmet. Sein Zustand sei nicht lebensgefährlich, aber ernst, hieß es gestern.

Die junge Frau erlitt bei dem Unfall schwere, aber nicht lebensbedrohliche Verletzungen. Auch sie muss, wie der Mann, der ihr helfen wollte, in einem Krankenhaus behandelt werden. Ihr geht es inzwischen besser. Die Autofahrerin steht noch immer unter Schock.

Es ist der zweite bekanntgewordene Fall in der Landeshauptstadt, bei dem Unbeteiligte nach einem Verkehrsunfall von Angehörigen der Opfer verletzt wurden. Im Mai hatten mehrere Männer einer Frau mit Faustschlägen eine Augenhöhle gebrochen. Sie gehörten zur Großfamilie eines Kindes, das auf einer Wohnstraße vor ein Auto gelaufen war. Die Angehörigen hatten zunächst die Autofahrerin beschimpft. Als die Augenzeugin die Frau in Schutz nahm, hatten die Männer zugeschlagen.

Eine "Ausnahmesituation" billigt Verkehrspsychologin Maria Limbourg den Schlägern in beiden Fällen zu. "Wenn man einen geliebten Menschen auf der Straße liegen sieht, ist man nicht mehr Herr seiner Sinne." Dazu komme, dass die Strafen für Verkehrsdelikte oft als zu niedrig empfunden würden, was das Bedürfnis nach verbotener Selbstjustiz begünstige. "Selbstjustiz ist in bestimmten Kulturkreisen nicht unüblich", sagt die Essener Professorin mit Blick auf die Großfamilie, die aus Südosteuropa stammt. Bei dem 27-jährigen Deutschen habe wohl auch der Alkohol eine Rolle gespielt.

Der hatte der Polizei gegenüber seinen Gewaltausbruch tatsächlich damit begründet, den Ersthelfer für den vermeintlich schuldigen Autofahrer gehalten zu haben. Auf seinen Alkoholkonsum angesprochen, hatte er zudem erklärt: "Das hätte ich nüchtern genauso gemacht."

"Es ist nicht neu, dass die Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft gestiegen ist", sagt Limbourg. Fernsehen und Internet trügen dazu bei, dass Gewalt immer mehr als adäquates Mittel zur Konfliktbewältigung gelte. "Diese Tendenz spiegelt sich auch im Straßenverkehr." Der Düsseldorfer Notfallseelsorger Olaf Schaper stimmt der Professorin in diesem Punkt zu. Auch er hat den Eindruck, dass für viele Autofahrer der Straßenverkehr als Blitzableiter für Alltagsärgernisse diene. "Oft ist es reines Glück, dass da nichts passiert." Schaper warnt aber auch davor, extreme Reaktionen mit Schockzuständen zu entschuldigen. "Ein Schock ist kein Freifahrtschein für Gewalt", sagt der Pfarrer, der schon bei vielen Unfällen Betroffene und Angehörige betreut hat. "Die sind oft außer sich, und auch nicht immer nett", sagt Schaper. "Das ist auch nachvollziehbar. Gewaltausbrüche sind es nicht."

Der 27-jährige Düsseldorfer ist der Polizei nicht unbekannt. Schon einmal soll er wegen Tätlichkeiten aufgefallen sein, ein Strafverfahren gab es jedoch nicht. Das dürfte sich nun ändern. Die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung gegen ihn.

(RP)
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