Deutsche Kinder spielen zweite Geige

Bei Mathe- und Musikwettbewerben überholen Kinder aus China und anderen asiatischen Ländern die deutschen. Einige Pädagogen sehen den fernöstlichen Höhenflug kritisch: Eltern würden ihre Kinder zu Höchstleistungen zwingen.

Düsseldorf/Viersen Scheinbar mühelos greift Christina Wackenhut erst ein-, dann beidhändig in die Tasten. Die Leichtigkeit, mit der die 16-Jährige aus Viersen das schwermütige und anspruchsvolle Musikstück "Nocturne" in e-moll von Chopin spielt, ist das Resultat harter Arbeit. Bis zu zwölf Stunden pro Woche übt die Zehntklässlerin. Doch bei Musikwettbewerben schafft sie es trotzdem immer seltener auf die vorderen Plätze. Mutter Margarethe Wackenhut stellt nüchtern fest: "Es gewinnen inzwischen fast immer asiatische Kinder."

Der Nachwuchs aus Fernost stürmt die deutschen Musikschulen – laut Deutschem Musikschulverband wächst ihre Zahl seit etwa 15 Jahren kontinuierlich – und sie erreichen bei Musikwettbewerben Bestplatzierungen. Außerdem erkämpfen sie sich oft auch die raren und begehrten Studienplätze an Musikhochschulen. So etwa an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf: In der Nachwuchsklasse für hochbegabte Klavierspieler, "Schumann junior", sind drei von sechs Schülern chinesischer Herkunft. "Asiatische Eltern steuern ihre Kinder sehr genau durch ihre musikalische Ausbildung. Die Kinder üben jeden Tag drei Stunden. Vielleicht mehr, als sie eigentlich wollen", sagt Professorin Barbara Szczepanksa. Meist beginnen sie auch früher an den klassischen Instrumenten als deutsche.

Daniel Kuo, dessen Eltern nach Viersen aus Taiwan eingewandert sind, sitzt am Klavier, seit er vier Jahre alt ist. Christina Wackenhut war sieben. "Es ist mir extrem wichtig, dass meine Kinder mindestens ein Instrument sehr gut beherrschen", sagt Daniels Mutter Rossetti Kuo. Dass Daniel noch Zeit für Fußball oder Leichtathletik hat, ist eher die Ausnahme.

Denn bei so viel Training am Instrument bleibt den Kindern ehrgeiziger Eltern kaum Zeit mehr für Freizeit oder Sport. "Viele Kinder üben und üben und spielen kaum wie andere Kinder einfach mal draußen", hat Christinas Mutter Margarethe Wackenhut festgestellt. Auch Szczepanksa glaubt, dass bei chinesischen Eltern der Erfolg ihrer Kinder Priorität hat. Und den bekommen sie laut der Musikprofessorin auch: "Bei internationalen Wettbewerben liegen asiatische Kinder immer vorne, deutsche spielen kaum eine Rolle." Das sorgt bei Kindern, die wie Christina Wackenhut oft das Nachsehen haben. nicht nur für Enttäuschung.

Deutsche Eltern beschweren sich daher auch bei dem Ratinger Musikschulleiter Paul Sevenich über die ewig ähnlich anmutenden Ergebnislisten bei den Musikwettbewerben, in denen die Lis, Parks und Hus vorne stehen, nicht aber die Müllers und Meiers. "Das löst schon eine gewisse Frustration aus, wenn eine Siebenjährige keine Chance gegen eine andere Siebenjährige hat, die auch noch drei Altersgruppen höher alle an die Wand spielen würde", sagt Sevenich.

Doch auch die Spitzenleistungen in PISA-Tests in Mathematik oder Naturwissenschaften würden die rigiden Erziehungsmethoden nicht rechtfertigen, findet Bildungsforscher Klaus Klemm, ehemaliges Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der PISA-Studien. Er kennt die chinesischen Erziehungsmethoden von mehreren Besuchen in Shanghai. Perfektion durch Drill sei "kein Ersatz für Kreativität". Werner Heinrichs, Leiter der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen, hat eine weitere Beobachtung gemacht: "Technisch sind sie brilliant, spielen alles in jeder Geschwindigkeit, aber sie machen keine Musik. Die Musik lebt nicht." Auch das Zusammenarbeiten funktioniere bei chinesischen Kindern nicht so gut, "weil sie von früher Kindheit an auf Konkurrenz ausgerichtet sind", sagt Klaus Klemm. "Teamarbeit kennen sie nicht."

Im März wird die 16-jährige Christina Wackenhut am Landeswettbewerb "Jugend musiziert" teilnehmen. Die Konkurrenz auf Regionalebene hat sie bereits hinter sich gelassen und ihr Musiklehrer Michael Mengen glaubt, dass sie schon jetzt die Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule bestehen könne. Angesichts der Mitbewerber aus Fernost glaubt Mutter Margarethe nicht, dass Tochter Christina es bis ganz nach vorn schaffen wird: "Aber ein Sieg durch Druck und Zwang wäre mir als Mutter auch ein zu hoher Preis."

Internet Diskutieren Sie über asiatische und deutsche Erziehung auf www.rp-online.de

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort