Bonn/Berlin Der heimliche Abschied des Bundes aus Bonn

Bonn/Berlin · Der Vorstoß von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, alle Regierungsstellen nach Berlin zu verlegen, stößt in NRW auf Kritik.

Dietmar Rottmann ist gebürtiger Bonner und treuer SPD-Wähler. Doch die Aussage von Peer Steinbrück, auch noch die sechs in Bonn verbliebenen Ministerien nach Berlin verlegen zu lassen, lässt den 63-Jährigen an seiner Partei zweifeln. "Was maßt er sich an?", fragt Rottmann. "Mich stört besonders diese Unsicherheit, die mit seiner Aussage einhergeht, weil dadurch auch viele Arbeitsplätze in der Stadt in Gefahr sind." Viele Bonner reagieren ähnlich. Sie können nicht verstehen, wieso ausgerechnet Steinbrück, der selbst in der früheren Bundeshauptstadt wohnt, so eine Forderung stellen kann.

Es sind nicht nur Steinbrücks Äußerungen, sondern auch die Baupläne für große Ministerien und heimliche Personalwechsel in die Hauptstadt, die den Rückhalt für den Regierungssitz Bonn bröckeln lassen. Interne Regierungsdokumente belegen: Der Komplettumzug ist nur eine Frage der Zeit. Dabei kommen die Totengräber der Bundesstadt Bonn selbst aus Bonn. Der jetzige Verteidigungsminister und frühere Innenminister Thomas de Maizière, gebürtiger Bonner, hatte bei der Planung des Neubaus des Innenministeriums in Berlin eigens viel Platz für die 300 noch in Bonn arbeitenden Beamten geschaffen. Die Zweigstelle in Bonn soll mittelfristig in eine Bundesbehörde umgebaut werden, findet de Maizière. Auch den Bonner Sitz des Verteidigungsministeriums hält de Maizière für einen Anachronismus. Andere Bundesminister witzeln nur noch über ihre Bonner Zweigstellen. Ein Unionsminister scherzte neulich, als er zu einem der seltenen Besuche zum Bonner Dienstsitz aufbrach: "Ich geh mal die Kollegen in Bonn aufwecken."

Der Vorstoß von Steinbrück ist in Düsseldorf bei der Opposition auf heftigen Widerstand gestoßen. CDU-Landeschef Armin Laschet warf dem SPD-Kanzlerkandidaten vor, das Bonn-Berlin-Gesetz aus dem Jahr 1991 aufkündigen zu wollen und damit der Stadt Bonn in den Rücken zu fallen. "Ich weiß nicht, bei wem er damit Punkte sammeln will. Hier verprellt er jedenfalls eine ganze Region." Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), die sich zu dem Bonn-Berlin-Gesetz bekenne, müsse deswegen jetzt klar Stellung beziehen. Laschet bot der Regierungschefin eine gemeinsames Initiative der beiden großen Volksparteien für Bonn als dauerhaften Sitz von Teilen der Ministerien an. Im Zeitalter moderner Kommunikation sei es nicht notwendig, dass die Ministeriumsmitarbeiter ständig nach Berlin fliegen müssten, so Laschet. "Ein kompletter Umzug nach Berlin würde Milliarden Euro kosten. Man kann auch von Bonn aus gut arbeiten. Diese Teilung hat sich bewährt."

Trotz aller Beteuerungen aus Düsseldorf: Für den Regierungssitz Bonn herrscht akute Einsturzgefahr. Zwar gilt das 1994 verabschiedete Gesetz, nach dem die Bundesregierung zwischen Bonn und Berlin aufgeteilt wird (Bonn-Berlin-Gesetz) offiziell weiter. Demnach haben sechs Ministerien, Umwelt, Bildung, Landwirtschaft, Verteidigung, Entwicklung und Gesundheit, ihren Hauptsitz in Bonn. Die Ressorts mit Dienstsitz Berlin müssen "Nebenstellen" am Rhein aufrechterhalten. So beschäftigt das Verkehrsministerium noch 730, das Auswärtige Amt 297 Mitarbeiter und selbst das Kanzleramt noch 24 Mitarbeiter in der Beethovenstadt. Maximal 25 Prozent der Beschäftigten eines "Bonn-Ressorts" dürfen in Berlin arbeiten, lautet die Vorgabe.

Doch die gesetzlichen Richtlinien werden seit Jahren unterlaufen. Die Minister haben längst komplette Führungsstäbe und alle wichtigen Mitarbeiter an die Spree beordert, auslaufende Stellen in Bonn werden nicht wieder besetzt.

Der aktuelle Teilungskostenbericht, den das Bundesfinanzministerium jährlich erstellt, um die Kosten der weltweit einmaligen Doppelstrukturen zu beziffern, belegt die Sogwirkung der Hauptstadt. Waren 2000 noch 10 470 Ministerialbeamte in Bonn tätig (und in Berlin 6700) hat sich das Verhältnis umgekehrt. Knapp 10 000 Beamte arbeiten heute in Berlin, nur noch 8000 in Bonn. "Der Komplettumzug ist nur eine Frage der Zeit", sagt Ole Schröder (CDU), Staatssekretär im Innenministerium. Die Kosten der Pendelei sind das Hauptargument der Hauptstädter. Laut dem Bericht zahlt der Steuerzahler für das Hin und Her von Beamten und Akten rund zwölfMillionen Euro pro Jahr. 24 000 Dienstreisen fallen an. "Wenn es heute eine Abstimmung im Bundestag über den Komplettumzug gäbe, wären zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten für den Komplettumzug", schätzt ein SPD-Bundestagsabgeordneter aus NRW. Selbst Wolfgang Bosbach (CDU) räumte unlängst ein. "Wir Bonn-Befürworter werden weniger."

Der Berliner Bürgermeister und erklärte Bonn-Gegner Klaus Wowereit (SPD) hat zudem allen Bundestagsabgeordneten eine vertrauliche Liste mit "kurzfristig zur Verfügung stehenden Liegenschaften" zukommen lassen, sollten die Bundesministerien in Berlin mehr Platz benötigen. Vom Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof bis zur alten Steubenkaserne in Berlin-Steglitz bietet Berlin dem Bund wertvolle Grundstücke an. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gilt ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel als Gegner der Doppelstrukturen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kritisierte hingegen gestern auf der Jahrestagung des Beamtenbundes den Vorstoß: "Wir müssen das Vertrauen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst aufrechterhalten. Ich halte nichts von Debatten über einen Umzug von Bonn nach Berlin."

FDP-Landeschef Christian Lindner kündigte an, übernächste Woche in der ersten Sitzung des Landtags in diesem Jahr das Thema Komplettumzug zur Sprache zu bringen. Seine Partei wolle der SPD auf diese Weise "Gelegenheit geben, sich von Steinbrück zu distanzieren".

(RP)
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