Das Leiden einer EHEC-Patientin

Im Mai 2011 fürchteten sich viele vor einer Infektion mit dem EHEC-Erreger. Die Leidensgeschichte von Birgit Schlüter begann vermutlich am Salatbuffet. Die 32-Jährige erkrankte vor einem Jahr an einer lebensbedrohlichen Darmentzündung. Über dieser Zeit liegt bis heute ein Schleier.

Münster/Ahlen (dpa) Heute hat Birgit Schlüter die schwere Zeit überwunden. Die plötzlichen Magenkrämpfe im Mai 2011 während der Mutter-Kind-Kur an der Ostsee. Dann die Zeit, in der sie immer schlapper wurde. Die Tage im Krankenhaus, als sie nicht einmal mehr eine SMS-Nachricht tippen konnte. Dass die beginnende EHEC-Epidemie die Menschen in Norddeutschland beunruhigte, hatte Schlüter während ihrer Kur gar nicht mitbekommen. Wenig später gehörte die 32-Jährige selbst zu den schweren Fällen. "Ich habe gedacht: Das kann doch nicht sein, dass mich das trifft."

Die Frau aus dem westfälischen Ahlen war in Lübeck essen gegangen. Dabei hatte sie sich am Salatbuffet bedient. "Aber ich erinnere mich nicht, Sprossen gegessen zu haben." Erst später wurde das Gemüse als Quelle des bakteriellen Erregers identifiziert, der binnen kurzer Zeit 53 Menschen in Deutschland das Leben kostete. Ob Schlüter sich in dem Restaurant mit dem Keim infiziert hat, weiß sie bis heute nicht. Aber kurz darauf bekam sie Durchfall.

Selbst Experten waren in dieser Zeit überrascht von der Wucht, mit der sich der Erreger ausbreitete. "Ich bin kein Angsthase und beschäftige mich schon lange mit EHEC-Stämmen, aber einen Stamm mit diesem Potenzial hatte es bis dahin nicht gegeben", sagt Professor Helge Karch. Für den Direktor des Instituts für Hygiene in Münster und sein Team war es die Aufgabe ihres Lebens, dem Keim eiligst auf den Leib zu rücken. Deutschland brauchte einen Schnelltest, um möglichst viele Patienten vor dem schweren Krankheitsverlauf mit dem hämolytisch urämischen Syndrom (HUS) zu bewahren.

Als Schlüter krank wurde, gab es den Schnelltest noch nicht. Aus der Kur schickt man sie nach Hause. Dort sind die Mediziner zunächst ratlos. "Das war hier unten noch gar nicht angekommen. Alle waren sich sehr unsicher, niemand wusste, wie ansteckend das ist." Die Symptome sind nicht eindeutig, Schlüter hat auch keinen Durchfall mehr. Die Hausärztin empfiehlt ihr, viel zu trinken. Aber die 32-Jährige kann nicht, wird immer schlapper, hat schließlich Blut im Urin. Ihre Mutter verfolgt die Fernsehberichte über den EHEC-Ausbruch und sagt: "Ich habe echt Angst, sieh zu, dass du loskommst."

Wenige Tage später liegt die 32-Jährige in einem Doppelzimmer auf einer Isolierstation der Uniklinik Münster und begreift nicht, wieso alle so ein Aufhebens um sie machen. "Ich habe nicht realisiert, wie schlecht es um mich steht. Für meine Familie war das viel schlimmer." Ihre Blutwerte seien "erschreckend" gewesen, erzählt man ihr später. In Ahlen berührt ihr Schicksal Freunde und Bekannte. In der Klinik herrscht aufgeregte Stimmung, dauernd werden Patienten mit Verdacht auf EHEC eingeliefert. Nur vermummt darf ihr Mann sie besuchen. Die drei Kinder sieht sie mehr als zwei Wochen gar nicht.

Diese Zeit kommt Birgit Schlüter im Nachhinein am zermürbendsten vor. Mit ihrer Bettnachbarin lacht und heult sie. "Wir haben sogar gegenseitig gemerkt, dass wir HUS hatten, weil wir Schwierigkeiten mit der Sprache hatten. Mir fielen plötzlich Wörter nicht mehr ein."

Die 32-Jährige mit den kurzen knallroten Haaren und unzähligen Sommersprossen in dem freundlichen Gesicht sitzt auf der breiten grauen Stoffcouch in ihrem Wohnzimmer. Im schmalen Regal stehen Krimis von Tess Gerritsen. Nicht einmal lesen konnte die gelernte Diätassistentin im Krankenhausbett. "Es ging einfach nicht." Zwölf Tage hintereinander wird ihr Blutplasma ausgetauscht. Aber erst nach einer Dialyse geht es ihr langsam besser. "Ich wurde wach, hatte auf einmal Durst und Hunger und dachte: Das ist ja cool."

Nach 17 Tagen wird Schlüter aus der Klinik entlassen. Ein Jahr später blühen in ihrem Garten wieder Kirschbäume, und die junge Frau fühlt sich genauso lebendig wie vor ihrer Krankheit. "Alles ist, als wäre nichts gewesen." Sie muss weder Tabletten nehmen noch auf Dauer an die Dialyse. Trotzdem denkt sie noch fast täglich an dieselbe Zeit im vergangenen Jahr. "Mein Gott, hast du Glück gehabt, denke ich dann. Ich bin gelassener geworden." Ihre drei Kinder toben um sie herum.

Auch EHEC-Forscher Karch lässt die Zeit um den Ausbruch nicht los. "Mich bewegt das immer noch. Am Tag kann ich mich ganz gut ablenken, aber ich träume noch von dieser Zeit und von den Fragen, was man machen kann und muss", sagt er noch viele Monate nach dem Ausbruch.

(RP)
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