„Wir stehen jetzt unter Generalverdacht“ Bischof von Münster räumt Fehler bei Verfehlungen von Priester ein

Bedburg-Hau · Felix Genn, der Bischof von Münster, fordert härtere Strafen bei sexuellem Missbrauch und räumt Fehler seines Bistums in einer Gemeinde in Bedburg-Hau ein.

 Felix Genn sieht sexuellen Missbrauch immer auch als Missbrauch von Macht. Deshalb müsse die Macht in der Kirche neu verteilt werden, sagt er.

Felix Genn sieht sexuellen Missbrauch immer auch als Missbrauch von Macht. Deshalb müsse die Macht in der Kirche neu verteilt werden, sagt er.

Foto: KNA/mb

Zu den Verfehlungen eines früheren katholischen Priesters aus Bedburg-Hau, der drei Messdienern unangemessene SMS geschickt haben soll, nimmt nun auch der Bischof von Münster, Felix Genn (68), Stellung.

Welche Lehren muss das Bistum aus dem Vorfall von Bedburg-Hau ziehen?

Genn Der Priester war bereits an zwei Orten auffällig geworden. Auffällig heißt, dass er andere Erwachsene sexuell bedrängt hat. Er musste daraufhin Therapien machen. Experten, die die Therapien mit ihm durchgeführt haben, haben uns gesagt, dass ein weiterer Einsatz kein erhöhtes Rückfallrisiko bedeutet. Das war aber, wie wir jetzt sehen, offenbar eine Fehleinschätzung. Von daher ziehen wir aus diesem Fall sicher die Lehre, die auch der Psychiater und Psychotherapeut Manfred Lütz am Mittwoch in dieser Zeitung genannt hat: Wir brauchen in solchen Fällen nicht nur eine Therapie, sondern auch ein wissenschaftlich fundiertes forensisches Gutachten. In anderen Situationen haben wir das auch so gemacht, hier schien es uns nicht unbedingt notwendig zu sein. Das wird für uns aber nun immer die Grundlage sein, ob, wie und wo wir einen Priester, der auffällig geworden ist, wieder einsetzen können. Das sind wir den Opfern schuldig, und das müssen wir vor allem auch tun, um künftig nach Möglichkeit zu verhindern, dass es weitere Opfer gibt. Und ich will selbstkritisch noch ein weiteres benennen: Wir müssen – soweit das mit den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten vereinbar ist – noch transparenter mit solchen Fällen umgehen. So müssen diejenigen, die im Kontakt mit einem auffällig gewordenen Priester stehen werden, von seiner Vorgeschichte wissen.

Wo und wie früh in der Laufbahn eines Priesters müssen Präventionsmaßnahmen einsetzen?

Genn Die müssen schon ansetzen, bevor er überhaupt zum Priester geweiht wird. Und da geschieht in der Priesterausbildung schon sehr viel. Es wird offen über das Thema Sexualität und die Besonderheiten, die die Verpflichtung zum zölibatären Leben mit sich bringt, gesprochen. Ich würde niemanden zum Priester weihen, von dem ich den Eindruck habe oder über den mir die Verantwortlichen in der Priesterausbildung berichten, dass er sexuell unreif ist.

Ist ein Grund für das Fehlverhalten von Priestern auch deren Leben ohne ein familiäres, sozial-schützendes Umfeld?

Genn Das kann eine Gemeinde nicht leisten, und sicher ist das, was Sie ansprechen, ein Problem. Zölibatär zu leben heißt aber doch nicht, dass man automatisch sexuell unreif ist oder gar in einem gewissen Automatismus zum Täter wird, also Minderjährige missbraucht. Zölibatär zu leben darf auch nicht heißen, dass ich nicht in Beziehung zu anderen Menschen lebe. Sehr vielen Priestern gelingt das sehr gut. Sie haben Freunde, Familie und ein Beziehungsumfeld, das zugleich schützt und korrigierend eingreifen kann.

Wie weit müssen Minderjährige vor Priestern in Schutz genommen werden?

Genn Als Priester müssen wir und muss auch ich damit leben, dass wir derzeit bei vielen unter Generalverdacht stehen. „Die sind doch alle sexuell verklemmt, unreif und missbrauchen kleine Kinder“ – das ist ein Bild, das heute viele von Priestern haben. Aus dem Vertrauensvorschuss für Priester ist ein Misstrauensvorschuss geworden. Dem müssen wir uns stellen und müssen durch Haltung und Handlung deutlich machen, dass man der überwältigenden Zahl von Priestern vertrauen kann. Das ist keinerlei Relativierung der schändlichen Verbrechen, die Priester begangen haben.

Wie sieht das konkret vor Ort aus?

Genn Wir – Priester, andere Hauptamtliche und Ehrenamtliche – sind gerade dabei, in allen Pfarreien institutionelle Schutzkonzepte zu erarbeiten. Damit greifen wir nicht nur eine Forderung des Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, auf, sondern machen vor allem gemeinsam deutlich: Sexueller Missbrauch kann und darf in unserer Kirche keinen Raum haben.

Kann die Kirche das Problem einer wirksamen Prävention überhaupt alleine lösen; oder bedarf es nicht-kirchlicher Aufsichtsbehörden?

Genn Entgegen dem weit verbreiteten Eindruck, für den wir als Kirche selbst mitverantwortlich sind, ist Kirche kein Staat im Staat. Deshalb agiert sie nicht losgelöst von externer Aufsicht oder Begleitung. Im Bistum Münster leiten wir – wie es jetzt auch in Bedburg-Hau geschehen ist – jeden Verdachtsfall sexuellen Missbrauchs an die Staatsanwaltschaft weiter. Dort, und nicht in der Kirche, muss entschieden werden, wie weiter vorzugehen ist.

Haben Sie die Hoffnung, dass Fälle sexuellen Missbrauchs die katholische Kirche je verlassen werden?

Genn Ich habe die Sorge, dass uns das immer weiter begleiten wird, in Kirche und Gesellschaft. Aber umso wichtiger ist es doch, dass wir – und auch ich persönlich in meiner Verantwortung als Bischof – alles uns Mögliche tun, sexuellen Missbrauch in der Kirche zu verhindern: von der Priesterausbildung über die Prävention und institutionelle Schutzkonzepte bis hin zu systemischen und institutionellen Fragen. Wir lernen immer noch dazu und müssen auch Fachwissen von außen und insbesondere, wenn sie dazu bereit sind, die Opfer sexuellen Missbrauchs einbeziehen. Sexueller Missbrauch ist aber immer auch Missbrauch von Macht. Von daher, aber auch nicht nur deshalb, müssen wir die Macht in der Kirche neu verteilen, angefangen beim Bischof selbst und weiter innerhalb der und zwischen den kirchlichen Berufsgruppen, zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen, zwischen Frauen und Männern. Auch das sind wir vor allem den Opfern schuldig – schließlich sind sie auch zu Opfern geworden, weil das System Kirche sie in der Vergangenheit nicht geschützt hat.

Was wäre zu tun?

Genn Strafe schreckt ab. Daher brauchen wir nicht nur Prävention, Schutzkonzepte und Aufarbeitung, sondern härtere Strafen. Konkret brauchen wir aus meiner Sicht ein Ende der Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch. Das wäre ein zentrales Signal an die Opfer, und Tätern wäre klar, dass sie mit ihren Verbrechen nicht davon kommen werden.

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