Benjamin Lebert liest im Zakk

Man muss sich Benjamin Lebert als einen schwermütigen Menschen vorstellen. An diesem lauwarmen Augustabend in Flingern liest der 30-jährige Schriftsteller aus seinem neuen Roman "Im Winter Dein Herz". Das ist ein winterlich-feinfühliger Text, eine Art Gegenprogramm zur Jahreszeit.

Rund 50 Zuhörer sind ins Kulturzentrum Zakk gekommen, um den Autor von "Crazy" zu erleben, des erfolgreichen Debütromans des damals 17-Jährigen, der sich mehr als eine Million Mal verkaufte. In seiner Jugend fühlte sich Lebert wegen einer halbseitigen Lähmung oft als Außenseiter, er musste fünfmal das Internat wechseln, brach dann die Schule ohne Abschluss ab. Die Bücher nach "Crazy" konnten aber nicht an den Erfolg des Erstlings anknüpfen. 2010 erkrankte Lebert an einer psychosomatisch bedingten Essstörung, nahm in wenigen Wochen 14 Kilogramm ab und musste schließlich in einer Klinik behandelt werden. Heute ist er gesund. Er hat seine Erfahrungen in "Im Winter Dein Herz" verarbeitet und wird gleich daraus lesen.

Die Lesung findet in einem kühlen Raum ohne Fenster statt. Die Umgebung passt zum ersten Satz des Romans: "Der Tag war kalt und grau angebrochen." Wer hier sitzt und den sommerlichen Gefühlen widersteht, muss schon ziemlich von seinem Weltschmerz überzeugt sein. Die Veranstaltung erweckt den Eindruck, als sei sie das monatliche Treffen der anonymen Melancholiker.

Schließlich kommt der Schriftsteller auf die Bühne, und es wird leise im Raum. In dem einführenden Gespräch gibt sich Lebert nachdenklich, zögerlich. Seinen Blick richtet er ausnahmslos auf den Boden vor ihm, er ringt um jedes Wort, macht lange Gedankenpausen, redet in sich hinein, verliert sich in Details. Irgendwann unterbricht er sich selbst und schaut mit schuldigem Blick ins Publikum: "Tut mir leid, ich wollte nicht in verkopfte Sphären abdriften. Ist etwas verkopft alles, oder? " Doch das Publikum verneint die Frage, und man merkt: Die Leute hängen an seinen Lippen, leiden bei jeder Wortsuche mit. Auf die Frage, welches Gesicht Düsseldorf seiner Meinung nach habe, antwortet er nach langem und lautem Nachdenken: "Düsseldorf hat eine Schönheit, die nicht offenbar ist."

Als er dann aus seinem Roman zu lesen beginnt, merkt man: Er kann diese eigenwillige Haltung wunderbar poetisch in Worte gießen. Er schafft es dabei, eine direkte und unprätentiöse Sprache beizubehalten. Seine scheinbar einfachen Beschreibungen von Alltagsbeobachtungen wie der Stirnfalte der weiblichen Hauptfigur wirken sehr langsam und ausgefeilt. Er sagt: "Es ist mir egal, ob etwas banal ist, so lange es mich glücklich machen kann."

Benjamin Lebert ist immer noch nicht erwachsen. Der Drei-Tage-Bart passt nicht recht in sein jungenhaftes Gesicht. Er hadert unaufhörlich mit sich und der Welt. Er ist immer noch ein Suchender. Gut so, denn sonst würde er vielleicht nicht so schöne Bücher schreiben.

(RP)
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