Landpartie – Neue Touren für Entdecker Die anderen Niederlande

Zwolle · Kuchen, Koggen, Kaufleute und ein zu Unrecht geschmähter van Gogh – die Einladung der Hansestädte entlang der Ijssel sollte man nicht ausschlagen.

Freizeittipp: Die Hansestädte an der Ijssel
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Freizeittipp: Die Hansestädte an der Ijssel

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Foto: Bauch, Jana (jaba)

Das Ijsselmeer kennt fast jeder in Nordrhein-Westfalen. Dass aber der Weg zum großen niederländischen Binnensee das eigentliche Ziel sein kann, darum wissen nur Wenige. Wie an einer Perlenschnur aufgereiht laden neun Hansestädte, beginnend mit Doesburg nahe der deutschen Grenze, zum Besuch ein. Die mittelalterliche Pracht von damals ist liebevoll erhalten; die Gastgeber sind zu Recht stolz auf das, was sie ihren Besuchern zeigen können. Geschichts-, Kultur- und Sportinteressierte finden genauso zahlreiche Angebote wie diejenigen, bei denen die Liebe sprichwörtlich durch den Magen geht.

Los geht es im historischen Stadtkern von Zwolle

Warum nicht, von NRW aus gesehen, fast am äußersten Ende beginnen, also in Zwolle, der Hauptstadt der Provinz Overijssel? Nein, ausnahmsweise einmal nicht per Fiets, also per Fahrrad, was in den Niederlanden immer empfehlenswert ist, sondern im Boot umrundet man zunächst am besten den historischen Stadtkern. Was einst sternförmig und durch Bastionen ergänzt zur Verteidigung angelegt worden ist, dient heute dem Vergnügen: Kinder springen vor Freude quietschend in das Wasser der Gracht; ehemalige große Lastkähne sind nun als mit Blumen geschmückte Hausboote für immer vor Anker gegangen oder bieten sich als Restaurant an. Mit Blick auf die Reste der einst zehn Meter hohen und zwei Meter dicken Stadtmauer erläutert Stadtführer Bert Dijkink den Ursprung des Begriffs „steinreich“: „Da es in den Niederlanden keine Natursteine gibt, war der Bau einer Schutzmauer außerordentlich teuer. Wohlhabende Bürger mussten deshalb eine Steuer zahlen, deren Höhe sich an ihrem Reichtum orientierte.“

Ist das mittelalterliche Zwolle in rund 45 Minuten umrundet, kommt wieder das ehemalige Gerichtsgebäude in Sicht – von einer riesigen eiförmigen Wolke aus 55.000 Keramikkacheln gekrönt. Sie scheinen sich je nach Wetterlage zu verfärben. Der Aufbau soll Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbinden – und man ahnt: Hier muss es um Kunst gehen. Das „Museum de Fundatie“, das aus einer Privatsammlung entstand, zeigt Gemälde, Skulpturen und Kunsthandwerk von hohem Rang. Das zeigt ein Rundgang durch das 2013 um die „Wolke“ erweiterte Haus: Es sind  unter anderem Bilder von Piet Mondrian, Edgar Degas und Franz Marc zu sehen.

Ein lange verborgener van Gogh

Außerdem ist eine zunächst anonyme Pariser Stadtansicht, die Mühle „Le Blute Fin“ am Montmartre, ausgestellt – mit einer ganz besonderen Geschichte: „Das Gemälde schlummerte 35 Jahre verborgen in der Sammlung, weil es wegen der vielen Menschen um die Mühle herum untypisch für Vincent van Gogh ist und Fachleute die Echtheit des Bildes angezweifelt hatten“, sagt Ralph Keuning, seit 2007 Museumsdirektor in Zwolle. Keuning vermutete, das Bild könne vielleicht doch von dem berühmten niederländischen Künstler stammen. Er ließ deshalb führende Van-Gogh-Experten in Amsterdam das Mühlen-Motiv von 1886 genau prüfen. Nun hat das Museum eine Attraktion mehr.

Hoch oben in der Wolke beweist der Museumschef mit Blick auf die zu Füßen liegende Altstadt sein unerwartetes Talent als Tourismus-Manager: „Amsterdam war noch ein Fischerdorf, als hier im 15. Jahrhundert eine wichtige Handelsmetropole pulsierte. Dort drüben begründete Johan Cele als Leiter einer Lateinschule das moderne Schulsystem mit altersgerechten Klassen und der Ausgabe von Zeugnissen. Erasmus von Rotterdam war einer seiner Schüler.“ Im ehemaligen Kloster gegenüber dem Museum habe der 2001 verstorbene Rockmusiker, Schauspieler und Künstler Herman Brood gearbeitet, der mit Nina Hagen liiert war. Das Restaurant „De Librije“, mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet, werde von Jonnie Boer geführt, dem besten Koch der Niederlande. „Das alles passt in Zwolle wunderbar zusammen.“

Ab aufs Rad!

Ralph Keuning hat noch einen zusätzlichen Tipp für Besucher: einen Abstecher nach Amsterdam. „Es ist doch viel geruhsamer, hier im Hotel zu übernachten und den Zug zu nehmen, der jede Stunde fährt. In 90 Minuten ist man am Ziel und die Fahrkarte deutlich preiswerter als ein Parkplatz in der Innenstadt.“ Die Zuganbindungen der Hansestädte untereinander sind ebenfalls gut, auch von NRW gibt es Bahnverbindungen. Besonders dicht ist das Radwegenetz: Bei schönem Wetter bietet es mit Abstand die attraktivsten Wege, um Harderwijk, Elburg, Hasselt, Kampen, Zwolle, Hattem, Deventer, Zutphen und Doesburg nacheinander zu erkunden. Die vorgeschlagenen Routen variieren zwischen 30 und knapp 60 Kilometern.

Jede der neun Hansestädte betont ihren eigenen Charakter: Das eher beschauliche Doesburg nennt sich Senfstadt, Kampen nahe am Ijsselmeer präsentiert sich maritim, eine Kogge-Werft und historische Schiffe inklusive. Für eine Tagestour per Auto oder als Mittelpunkt eines längeren Aufenthalts in der Region bietet sich zum Beispiel Deventer an, das in diesem Jahr sein 1250-jähriges Bestehen feiert. „Hier ist immer was los“, meint Jan van Onzen, der Koordinator der Stadtführer. Deshalb sei er als Rentner mit seiner Frau hierhin umgezogen. „Das Angebot reicht vom Außentheater ‚Deventer auf Stelzen‘ über Europas größten Büchermarkt mit neun Kilometer Literaturständen bis zu dem Charles-Dickens-Tagen mit 950 Schauspielern“, sagt van Onzen.

Die Hanse war zunächst eine Vereinigung deutscher Kaufleute, die sich gemeinsam besser gegen Piraten und Räuber schützen konnten. Die Hanse verband aber schon bald fast ganz Europa – von Russland und Skandinavien bis nach Spanien und Portugal. Von Deventer aus wurde der getrocknete und deshalb besonders haltbare Stockfisch bis Norwegen geliefert. „Stokvis“ heißt deshalb die kleine Fähre, die das empfehlenswerte Sandton Ijssel-Hotel über den Fluss hinweg mit der Innenstadt verbindet. Auf deren Kulisse hat man vor allem abends von der Hotelterrasse aus einen herrlichen Blick.

Weitere Infos für den Ausflug

Anreise Die Hansestädte erreicht man über die  A3 und die A50.

Rad Wer die Städte per Rad erkundet, fährt auf einem gut ausgebauten Wegenetz mit sichtbar markierten und mit Zahlen versehenen Knotenpunkten an Abzweigungen. Das Hanzesteden-Marketing (Tel.: 0031- 38 - 468 66 52) bündelt Infos unter www.holland-hanse.de/radfahren-wandern/. Geführte Rad- und Schiffsreisen entlang der Hanseroute werden von der Firma Boat Bike Tours angeboten: www.radundschiffsreisen.de/Hanseroute.

Nützlicher Tipp Wer im Auto einen der gut ausgeschilderten Parkplätze ansteuern will, der sollte unbedingt eine Kreditkarte dabeihaben, samt der nötigen Geheimzahl im Kopf. Denn der Geldeinwurf ist nicht mehr überall möglich.

Einkehr In Deventer am Nieuwe Markt im Restaurant „’t Arsenaal“ schmaust man bei einem Mehrgänge-Menü im ehemaligen Mittelschiff einer Kirche, das vorübergehend Napoleons Truppen als Waffen-und Munitionsdepot diente. Ziegenkäse-Püree, Wachtel an Spargel oder Lammkarree mit erlesenen Weiß- und Rotweinen werden an Tischen auf historischem Steinpflasterboden serviert (www.restaurantarsenaal.nl).

Süße Souvenirs Jede der neun Hansestädte hat ihre eigene Spezialität wie die süßen „Balletjes“ in Zwolle, die „Moppen“, ein Gebäck in Doesburg, oder der „Kruidkoek“, ein Gewürzkuchen nach einem Rezept von 1593 in Deventer. „Dazu gibt es sogar eine spezielle Stadtführung“, berichtet Hetty Hakkert von der Bäckerei Bussink, die in diesem Jahr ihr 425-jähriges Bestehen feiert. „Der Kuchen wird traditionell mit Roggenmehl, ohne Fett- oder Milchprodukte, gebacken. Deshalb konnte er damals ohne Qualitätsverluste an die entferntesten Orte verschifft werden.“

Aufs Wasser Wer Zwolle mit dem Boot umrunden will, kann das – auch als eigener „Kapitän“ im Elektroboot – direkt neben dem Museum de Fundatie tun (Reservierung unter Tel.: 0031- 529-43 60 66 oder www.hiawatha-actief.nl). Das Museum selbst ist nicht nur ein Schlechtwettertipp. Sammlung und Ausstellungen werden an zwei Standorten präsentiert: Im Gebäude de Fundatie zwischen moderner Ringstraße und historischem Stadtkern Zwolles und im Kasteel het Nijenhuis nahe Heino. Di-So 11-17 Uhr, Erwachsene 12,50, Schüler neun Euro (www.museumdefundatie.nl).

Allgemeines Jede der neun Hansestädte hat ihre eigene Internetpräsenz, oft auch in deutscher Sprache. Einfach den Namen als Suchwort eingeben. Dort finden sich Karten, Öffnungszeiten, Infos über Veranstaltungen und weitere nützliche Hinweise.

 Deventers Rathaus ist mit überdimensionalen, in Aluminium gegossenen Fingerabdrücken seiner Bürger verziert.

Deventers Rathaus ist mit überdimensionalen, in Aluminium gegossenen Fingerabdrücken seiner Bürger verziert.

Foto: Bauch, Jana (jaba)
 Einheimische preisen Deventer – hier eine Einkaufsstraße – als Stadt, in der immer etwas los sei.

Einheimische preisen Deventer – hier eine Einkaufsstraße – als Stadt, in der immer etwas los sei.

Foto: Bauch, Jana (jaba)
 Das Museum de Fundatie krönt eine riesige eiförmige Wolke aus 55.000 Keramikkacheln.

Das Museum de Fundatie krönt eine riesige eiförmige Wolke aus 55.000 Keramikkacheln.

Foto: Bauch, Jana (jaba)

In Deventer zum Beispiel muss eine Stadtführung nicht vorher vereinbart werden: Jeden Tag um 13.30 Uhr warten mehrere Stadtführer in der Nähe der Touristen-Information (Brink 89/Penninckshuis) auf interessierte Besucher (pro Person vier Euro). Sie zeigen nicht nur Europas ältestes Steinhaus von 1130, sondern auch das moderne Rathaus, dessen Fassade mit in Aluminium gegossenen und in Eichenholz gerahmten Gitterbildern verziert ist. Sie zeigen überproportional große Fingerabdrücke. 2248 Bürger Deventers sind so auf höchst ungewöhnliche Weise in ihrer Heimatstadt verewigt worden.

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