Auf den Spuren von Beuys

In der Kunsthalle Düsseldorf stellen sechs junge japanische Künstler – sie alle sind Mitglieder von "The Group 1965" – ihre spannenden Arbeiten aus. Viele ihrer auch kritischen Kunstwerke versuchen eine Synthese von Tradition und Moderne.

Der Tsunami in Japan und die Katastrophe im Atomkraftwerk von Fukushima beschäftigen seit Wochen die Welt. Dass sich nun auch die Kunsthalle dem Thema Japan widmet, erscheint da folgerichtig. Tatsächlich lief die Planung zur Ausstellung mit den Werken der Künstler von "The Group 1965" aber schon seit einem Jahr. Die Gruppe besteht aus sechs japanischen Künstlern, die alle im Jahr 1965 geboren wurden. Eine Programmatik gibt es offiziell nicht. Dafür aber eine erfrischend kritische Sicht auf das Leben im Heimatland der Künstler – vor allem auf die für Japan typischen Brüche zwischen Tradition und Moderne.

Den Höhepunkt der Schau bildet eine explosive Wand-Collage von Makoto Aida ("Monument for nothing"), auf der gleich mehrere brisante Probleme tollkühn in Szene gesetzt sind. Ein niedliches Manga-Schulmädchen zeigt da seinen blutenden, zerschnittenen Arm vor. Dass dies ein Hinweis auf die hohe Zahl von Selbstmorden in Japan ist, unterstreicht ein in glitzernder Swarovski-Optik gehaltener Schriftzug: "Suicide". Links und rechts von der fröhlich quiekenden Mangafigur zerbersten die Ikonen der Konsumwelt. Geld fegt wie ein Wirbelsturm davon, Erbrochenes, ein Totenschädel und entsetzte Gesichter bestimmen das Geschehen. Eine Gesellschaft explodiert.

Auch die anderen Künstler der Gruppe legen den Finger in entzündete Wunden. Mit ihren Bildern und Installationen markieren sie Bruchstellen, wo das Verdrängte in eine polierte Scheinwelt vordringt.

Da verbergen sich in einer Reihe von Milchboxen (das sind japanische "Holzbriefkästen" für die morgendliche Milchlieferung) kleine, subversive Kunstwerke, die etwa den Giftgas-Anschlag in der Tokioter U-Bahn (1995) in Erinnerung rufen. Bis dahin war es in Japan unvorstellbar, dass Einzeltäter die ganze Gesellschaft angreifen.

Die sechs Künstler der "Group 1965" befassen sich freilich nicht nur mit der rasanten Industrialisierung und "Verwestlichung" der Gesellschaft, sondern sie besinnen sich auch auf die Kraft fernöstlicher Traditionen. Gleich hinter den Milchboxen kann der Besucher eine Reihe von Kunst-Kojen besichtigen, deren Anordnung an typisch japanische Reihenhäuser ("Machiya") erinnert. Heutzutage sind diese schlichten Unterkünfte besonders bei Studenten beliebt. Wer die Bilder aus dem Tsunami-Katastrophengebiet im Kopf hat, denkt womöglich an Flüchtlingslager.

Im ironisch aufgeladenen "Sojasoßen-Kunst-Museum" von Tsuyoshi Ozawa erscheint die "moderne Kunst" dann in Form von informellen Gemälden. Wie Fremdkörper hängen die Bilder im Ambiente aus traditionell verarbeiteten Naturmaterialien und Tatami-Fußbodenmatten. Zeitgenössische Kunst werde in Japan oft als westlicher Import angesehen, erläutert Kunsthallen-Direktor Gregor Jansen.

Die schier unlösbaren Probleme, mit denen Japan heute und in Zukunft konfrontiert ist, kann man mit etwas Fantasie aus dem Wandbild von Parco Kinoshita herauslesen. Da steht ein kleines, mit einem Seil bewaffnetes Mangamännchen etwas ratlos einem brüllenden Tiger gegenüber. Und unter den Füßen des tapferen Jägers brechen vier weitere Raubtiere wie Dämonen aus der Wand hervor. Mission impossible.

Auch der Experimentalmusiker Sumihisa Arima versucht sich an der Synthese von Tradition und Moderne. Sein Musik-Raum ist Teil der Schau. In ihm vereinen sich Klänge eines altertümlichen Hammerklaviers mit elektronischer Soundmalerei. Als wichtigen Bezugspunkt zu Düsseldorf und als Schlüsselfigur der Entwicklung ihres künstlerischen Denkens nennen die sechs Mitglieder von "The Group 1965" übrigens die Begegnung mit dem Werk von Beuys, dessen Arbeiten sie 1984 in Tokio gesehen haben. So findet sich am Ende auch eine Erklärung für den rätselhaften Untertitel der Schau: "We are boys!" Boys? Klingt wie Beuys.

Mitveranstalter der anregenden Ausstellung ist die "Japan Foundation", die daran erinnert, dass 1861 – vor 150 Jahren – zwischen Japan und dem damaligen Preußen der erste Freundschafts- und Handelsvertrag geschlossen wurde.

(RP)
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