Düsseldorf 1848 – das Rheinland erwacht

Düsseldorf · Revolution: In der Düsseldorfer Altstadt kommt es zu blutigen Barrikadenkämpfen. Die Anhänger der demokratischen Bewegung versuchen, sich dem preußischen Militär zu widersetzen. Und von all dem berichtet die "Düsseldorfer Zeitung", die – so urteilt man in Berlin – "sehr gefährlich, demokratisch und von oppositioneller Haltung" ist.

Der 8. Mai 1849 hat das leicht verschlafene und immer noch mehr von der Kunst als vom Handel bewegte Rheinstädtchen mit seinen 40 000 Einwohnern nicht nur aufgeschreckt, sondern regelrecht erschüttert. Und die dramatischen Ereignisse beginnen damit, dass Landsturmmänner der Stadt ihren Einberufungsbefehl zerreißen. Denn gegen demokratische Widerständler im Süden des Landes wollen sie nicht kämpfen. Diese Verweigerung wird zum Fanfarenstoß des Aufruhrs, und der Gerresheimer Arzt Dr. Neunzig befeuert die Stimmung noch mit seiner Rede auf dem Marktplatz. Zum Jubel der Menschen ruft er zum Widerstand gegen das preußische Militär auf. Barrikaden werden in der Altstadt errichtet und sogar die Wachen vor dem Regierungsgebäude und dem Rathaus angegriffen.

Die Überraschung gelingt. So dauert es einige Zeit, bis sich das Militär zum Gegenangriff entschließt, schlägt dann aber mit Macht zu: Den ganzen Tag über wird in Düsseldorf gekämpft und auch noch die halbe Nacht. Schließlich siegen die Soldaten; am Ende des 8. Mai 1849 sind in dem nicht mehr beschaulichen Rheinstädtchen 14 Tote zu beklagen – ein Soldat und 13 Zivilisten.

Wie es dazu überhaupt kommen konnte? Die Vorgeschichte der demokratischen Bewegungen im Rheinland reicht weit zurück, und ein Kapitel spielt sich im Sommer 1843 beim Provinziallandtag in Düsseldorf ab. Dort wird über den Entwurf zum neuen Preußischen Gesetzbuch beraten; für viele aber ist das ein Rückschritt hinter ihr "Rheinisches Recht", das noch Napoleon eingeführt hatte. Und so lehnt man aus gewachsener Überzeugung und offener Abneigung gegenüber Preußen den Regierungsentwurf einstimmig ab. Dass darin eine Ungeheuerlichkeit steckt, wird ablesbar an den Reaktionen: 1000 Bürger aus Köln kommen den Rhein herab, um mit den Düsseldorfern ein Versöhnungsfest zu feiern. Die Rheinischen hatten es den Preußen gegeben.

Das Rheinland war erwacht – wie es auf einem Flugblatt vom 22. November 1848 heißt – und mit ihm das geruhsame Beamtenstädtchen. Der stellvertretende Regierungspräsident machte in Düsseldorf gar den "Hauptherd der Anarchie und der Unordnung" in der gesamten Monarchie aus. Das katholische Düsseldorf hatte sich gegen das protestantische Preußen gestellt. Leute wie der spätere Arbeiterführer Ferdinand Lassalle hielten hier große Reden. Ohnehin stand es um Düsseldorfs Ruf bei den Hohenzollern nicht zum Besten. Nur ein Jahr vor den revolutionären Begebenheiten war König Friedrich Wilhelm IV. in der Stadt auf seiner Fahrt zum Schloss Jägerhof von den Menschen mit Gejohle empfangen und dann nach Augenzeugenberichten – darunter auch der Dichter Ferdinand Freiligrath (1810-1876) – auf der Kastanienallee mit Pferdemist beworfen worden. Für all das leistete die Stadt später Abbitte: Nach den Barrikadenkämpfen reiste eine Delegation nach Berlin und bat um Entschuldigung; und 1851 wurde die so in Verruf geratene Kastanienallee in die huldvoll klingende Königsallee umbenannt.

Die Phase revolutionärer Unruhe ist die Zeit eines revolutionären Mediums: des Flugblatts. Gerade in Düsseldorf sollte dieses schnelle Kommunikationsinstrument 1848/49 eine erste Blütezeit erleben. Schnell kann damit auf das reagiert werden, was sich in der Stadt ereignet, was bevorsteht. Aber auch politische Literatur fand ihr großes Publikum. Und zum berühmtesten in diesem Genre zählt das Gedicht "Die Todten an die Lebenden" von Ferdinand Freiligrath, der zu dieser Zeit in Bilk sein Quartier hatte. Was für Verse vom Juli 1848, welcher Furor des Umsturzes durchweht da die Strophen mit Zeilen wie diesen:

"Die rost'ge Büchse legt er an, mit Fensterblei geladen: / Die rote Fahne läßt er wehn hoch auf den Barrikaden! / Sie fliegt voran der Bürgerwehr, sie fliegt voran dem Heere – /Die Throne gehn in Flammen auf, die Fürsten fliehn zum Meere! / Die Adler fliehn; die Löwen fliehn; – die Klauen und die Zähne! – / Und seine Zukunft bildet selbst das Volk, das souveräne!"

Freiligraths Verse werden auf einem Flugblatt in einer stolzen Auflage von 3000 Exemplaren gedruckt und in der Buchhandlung Kampmann verkauft. Schon nach wenigen Stunden ist das Druckerzeugnis vergriffen. Diese Impulse mussten sich auf die gesamte Publizistik auswirken. Und so erwachte mit dem Rheinland nicht nur Düsseldorf, sondern auch die Presse. Es erschienen radikale Publikationen in der Stadt wie die "Niederrheinische Zeitung" sowie die "Volksstimme" von Moritz Geisenheimer, der zu den führenden Männern des Düsseldorfer Volksklubs gehörte.

Das mit Abstand wichtigste Blatt aber war die katholisch ausgerichtete "Düsseldorfer Zeitung", die aus dem Hause der großen Verlegerfamilie Stahl stammte und die 1827 mit dem "Niederrheinischen Beobachter" fusioniert war. 1814 hatte sie das "Echo der Berge" abgelöst und blieb nach etlichen Fusionen mit anderen Blättern und einigen Besitzerwechseln bis 1926 die bedeutende Zeitung der Stadt. 1848 umfasste sie vier Seiten und erschien gegen Abend mit dem Datum des folgenden Tages.

Allerdings schien das Blatt journalistisch nicht allzu viel geboten zu haben. Das geht jedenfalls aus der Stellungnahme eines sehr aufmerksamen Lesers hervor, des örtlichen Zensors, der 1842 Berlin diese Expertise zukommen ließ: "Die Düsseldorfer Zeitung ist ein bescheidenes Blatt ohne besonderen Einfluss. Sie hat keine tüchtigen Redakteure, sondern nur ein paar Korrespondenten."

Das aber ändert sich bald und grundlegend, genauer: mit der Berichterstattung über den Rheinischen Provinziallandtag 1843. Denn plötzlich berichtet der Zensor, dass die "Düsseldorfer Zeitung" "sehr gefährlich, demokratisch und von oppositioneller Haltung" ist; im Berliner Innenministerium weiß man nun, auf welcher Seite die Zeitung am Rhein steht, die nach Klagen des Zensors von "unverkennbar oppositioneller Farbe" ist und "seit angedeutetem Zeitpunkt (gemeint ist der Provinziallandtag, Red.) einen bestimmten, sehr gefährlichen Charakter aufweist". Die "Düsseldorfer Zeitung" scheint sich mit ihrer Zeit politisiert zu haben.

Ausführlich berichtet die "Düsseldorfer Zeitung" jetzt vom Provinziallandtag, indem sie Protokolle im Wortlaut abdruckt. Viel Aufsehen erregt auch die Artikelserie "Patriotische Fantasien", die ab September 1843 erscheint und in der sich eine Tendenz zur großdeutschen Lösung spiegelt.

Dass die Zeitung im Mai des Jahres 1949 bei den Demokraten ist, dürfte auch personelle Gründe gehabt haben: Lorenz Cantador, der die Düsseldorfer Bürgerwehr kommandierte, war der Onkel von Lorenz Lensch und Lorenz Stahl, die als Verleger und verantwortlicher Redakteur die "Düsseldorfer Zeitung" führten.

Dabei machte das Blatt eine Entwicklung durch, die in ihrer engagierten Berichterstattung über den Provinziallandtag eine Initialzündung hatte und die weiterführte mit der umfangreichen Schilderung der sozialen Not in Düsseldorf – insbesondere im Jahr 1847. In einer Art Gastbeitrag meldet sich der Oberbürgermeister Josef von Fuchsius zu Wort und schreibt, dass "die Lage der untersten Volksklassen in Düsseldorf die ernsteste Sorge der Mitbürger und der Gemeindeverwaltung in Anspruch nimmt". Groß ist die Armut unter den 2000 Handwerksgesellen und knapp 1000 Tagelöhnern. Gerade dort schlummert revolutionäres Potenzial.

In dieser Orientierung suchenden Zeit reflektierten die Redakteure auch das eigene Tun und bringen zu den Berliner Märzunruhen 1848 ein Gedicht von Nikolaus Wilhelm Stehling zur "Pressefreiheit", in dem es heißt, dass jetzt "das freie Wort" endlich das "Eigentum der Nation" geworden ist. Welcher Staatsform die Zeitung zuneigt? Radikal ist sie nie gewesen, und so propagiert die "Düsseldorfer Zeitung" eine konstitutionelle Monarchie mit demokratischem Charakter – eine Herrschaft des Volkes mit einem Fürsten an der Spitze.

Revolutionen sind gute Zeiten für Journalisten. Denn was für ein Stoff ist das, der dem Berichterstatter da vor die Füße fällt! Aufruhr und Tumulte auf den Straßen, Kämpfe, Communiques und Aufrufe. Hatte die Redaktion zuvor in aller Regel das gedruckt, was ihr andere Blätter vorgesetzt hatten, so war sie plötzlich mitten im Geschehen. Reporter wurden zu Augenzeugen; sie waren die Quelle und somit im Besitz exklusiver Nachrichten. Das musste auch Auswirkungen auf die Darstellungsformen haben. Und so entstanden Reportagen, denen die Dramatik der Ereignisse heute noch anzumerken ist: "Das Militär ist vollständig Herr der Stadt und schickt sich an, die Barrikaden wegzuräumen. Viele Verhaftungen sind bereits erfolgt. Indem wir dies schreiben, rückt die Colonne, welche nach Elberfeld detaschirt war und aus Artillerie, Kavallerie und Infanterie besteht, hier ein. Sie führt acht Gefangene mit sich." Verfasst im Präsens, und niedergeschrieben parallel zu den Ereignissen – viel aktueller ist Journalismus kaum denkbar.

Mit dieser neuen Form der Berichterstattung tritt der Leser in ein "gesellschaftliches Selbstgespräch" – und der Journalist übernimmt die Rolle des Moderators. Es kommt dabei nach den Worten des Zeitungswissenschaftlers Thomas Birkner zu einer Verdichtung der politischen Kommunikation, die jenen ein Dorn im Auge sein musste, die im Besitz der Macht waren und kein Interesse an einer Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse haben konnten.

So endet vorerst der journalistische Frühling in Düsseldorf – mit einem Straßenanschlag am 12. Mai 1849. In einer Bekanntmachung lässt der Commandeur der 14. Division unter Punkt sieben verkünden: "Die Düsseldorfer Zeitung, das Düsseldorfer Journal und Kreisblatt, die Neue Rheinische Zeitung, die Elberfelder Zeitung dürfen in der Samtgemeinde Düsseldorf nicht ausgegeben werden."

(RP)
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