Zimmerpflanzen als Wohn-Trend Grüne Mitbewohner im Großstadt-Dschungel

Düsseldorf · Das Grünzeug in der Wohnung wird zum Deko-Objekt. Zimmerpflanzen kann man heute in eigenen Boutiquen kaufen. Doch sie sind mehr als nur ein Einrichtungsgegenstand. Deshalb geben Händlern ihnen sogar Menschennamen.

Diese Zimmerpflanzen liegen im Trend
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Foto: Unspalsh/feey

Jazz dudelt aus den Lautsprecherboxen, auf dem Weg zur Theke streifen einem Palmwedel am Mantel entlang. Bilder und Regale hängen an den Wänden, Lampen geben warmes Licht. Wäre irgendwo ein Sessel, würde man sich setzen, einen Tee eingießen und es sich in diesem grünen Wohnzimmer gemütlich machen. Das „Green Note“ in Düsseldorf-Flingern ist aber nicht etwa ein Geschäft für Möbel, sondern für Zimmerpflanzen.

Seit einem knappen halben Jahr sehen Alexandra und Maik Hecker in dem Ladenlokal an der Ecke Birken-/Hermannstraße überwiegend Grün. Früher hatten sie ein normales Blumengeschäft, doch dann bekamen sie Lust auf etwas Neues. Sie griffen einen Trend auf, der sich in Wohnzimmern weltweit breitmacht: ausgefallene Zimmerpflanzen. „Die Menschen spüren eine große Sehnsucht nach Natur und haben deshalb das Bedürfnis, sie zu sich ins Haus zu holen“, sagen die beiden.

Hätte man der Großmutter gesagt, es gibt nun eigene Boutiquen, in denen man Kakteen, Gummibäume und Grünlilien kaufen kann, hätte sie einem wohl den Vogel gezeigt. Seitdem Pflanzen wichtiges Accessoire auf Instagram-Fotos und in Möbel-Katalogen geworden sind, ist das aber wohl nur recht und billig. Kleinere Pflanzen wie Kakteen werden als stacheliges Ensemble arrangiert, größere häufig auf den Boden als Solitär gestellt. Das hat seinen Preis: Ein Gummibaum von knapp zwei Meter Größe kostet ca. 100 Euro.

Pflanzen sehen aber nicht nur gut aus, sie schaffen auch ein Wohlbefinden, filtern Schadstoffe aus der Luft und sorgen für mehr Sauerstoff. Und sie waren früher wie heute ein Symbol für Fernweh: Komme ich nicht in den Dschungel, kommt der Dschungel zu mir in die Großstadt. „Es war vor allem die Liebe zu den Exoten, dem Fremden, die die Menschen in unseren gemäßigten Breiten dazu veranlasst hat, sich Pflanzen aus fernen Ländern in die Wohnung zu stellen“, sagen Patricia Rahemipour und Kathrin Grotz, Kuratorinnen der Ausstellung „Geliebt, gegossen, vergessen: Phänomen Zimmerpflanze“, die bis zum 2. Juni im Botanischen Museum in Berlin zu sehen ist. Im viktorianischen England des 19. Jahrhunderts war man dem Farn verfallen, man sammelte so viele Arten wie möglich. In den 1950er Jahren gab es nicht nur in Deutschland Blumenfenster: Auf der Fensterbank befanden sich Bromelien, Flamingoblumen, Christusdorn und der Gummibaum in Klein.

Stand dieser früher für Biederkeit und thronte die Grünlilie im Holzregal neben der selbstgetöpferten Teekanne im Eine-Welt-Laden, erleben sie nun ein Comeback. „Junge Leute gehen da ganz unbekümmert ran“, stellt Alexandra Hecker fest. Vor allen Dingen braucht es für die Neulinge wie Fischschwanzpalme, Bogenhanf oder Geigenfeige mit ihren bizarren oder grafisch strengen Formen keinen besonders grünen Daumen, wenn man die Pflegehinweise der Experten befolgt. Die Monstera, auch Fensterblatt genannt, mag zum Beispiel diffuses Licht und ab und zu mit Wasser besprüht zu werden. Erst wenn sich die Erde in drei bis vier Zentimeter Tiefe trocken anfühlt, sollte man gießen. Die Pflege ist Pflicht – und auch wieder nicht. „Viele empfinden sie als entschleunigend und entspannend“, sagt Alexandra Hecker.

Der Superstar unter den Zimmerpflanzen ist die Monstera deliciosa, auch Fensterblatt genannt. Wer sich ihre besondere Form eingeprägt hat, der merkt erst, welch große Rolle sie seit Jahren in der Einrichtung spielt: Sie ziert Stoffe, Tapeten und Heimtextilien. Rahemipour und Grotz bezeichen sie als „Hipsterpflanze der Jetztzeit“. Sie sei schon lange eine beliebte Zimmerpflanze, werde aber erst heute als „Einzelobjekt und Designikone“ gefeiert. Die Kuratorinnen finden es schön, dass das Grün in der Wohnung als Dekoration einen neuen Stellenwert bekommt. „Und sie sind wirklich besser designt als die meisten Objekte.“

Zimmerpflanzen unterliegen Moden und sind mitunter auch Verlierer der Modernisierung. „Die Zimmerflora ist ein lebendiger Spiegel der Wohnkultur“, sagt Rahemipour. So standen früher Kamelien, Myrtenbäume oder Zimmerlinden in Wohnzimmern, heute nicht mehr. Ihnen bekam die trockene Heizungsluft unserer Zentralheizungen nicht. Und auch die Fensterbank fürs Blumenfenster gibt es in vielen neuen Häusern oder Wohnungen nicht mehr. Bodentiefe Fenster sind der Trend, auch deshalb geht es hin zu großen grünen Einzelstücken oder hängenden Grünpflanzen. Häufig sind es Exemplare, die wie die Monstera ursprünglich aus den Regenwäldern der Tropen stammen. „Die meisten fanden bereits im frühen 19. Jahrhundert den Weg zu uns, als Beute professioneller Pflanzenjäger, die im Auftrag von Großgärtnereien die koloniale Welt nach wertvollem Pflanzenmaterial durchkämmten“, sagt Grotz.

Heute werden Monstera und Konsorten mit High-Tech in Gärtnereien überall in Europa gezogen – vor allem die Niederlande sind bei Qualität und Züchtungen ganz vorne. Auch Alexandra und Maik Hecker fahren alle zwei Wochen über die Grenze und kaufen beim Züchter ein. Wer sein Herz an exotische Pflanzen und die Kunst, sie Instagram-tauglich zu inszenieren, verloren hat, der sollte nach Amsterdam fahren. In der Bilderdijkstraat liegt „Wildernis“, ein Geschäft für Pflanzen, Töpfe, Bücher und Accessoires. Und ein kleiner Garten Eden.

Pflanzen sind aber mehr als ein Einrichtungsgegenstand, der hängen, ranken und wachsen kann. „Sie sind eben auch unsere grünen Mitbewohner“, sagt Rahemipour. Es sei das Stete und Bewährte, das viele daran schätzen. „Und sie wachsen und verändern sich doch, das heißt, die Beziehung ist inniger als zu toten Gegenständen.“ Der französische Online-Händler Bergamotte geht deshalb so weit und gibt Pflanzen Namen: Der Kaktus heißt „Oscar“, eine Aloe Vera „Alma“. Die Museumskuratorinnen betonen, dass Zimmerpflanzen, anders als ihre wilden Verwandten in der Natur, auf die Pflege des Menschen angewiesen sind. Wichtig ist also, dass man sich vorher erkundigt, was zu mir und meiner Wohnung passt: Habe ich nur Südfenster, sind schattenliebende Farne eher ungeeignet.

Wer sich wenig zutraut, kann mit einem Pfennigbaum starten. „Das ist ein geduldiger Mitbewohner, der einem wenig übel nimmt, außer man übergießt ihn“, sagt Grotz. Klassiker seien auch die Metzgerpalme oder die Zamie, im Netz als härteste Zimmerpflanze der Welt gepriesen. „Die kann man so richtig schlecht behandeln, was wir natürlich nicht gutheißen würden, außerdem ist sie kaum krank.“ Hingegen seien Kakteen entgegen der Meinung „Wer Wüste schafft, der überlebt auch mich“ gar nicht ohne, obwohl sie robust daherkämen. Geht der Zögling ein, ist es immer auch eine persönliche Niederlage. „Selbst wenn Pflanzen nicht aktiv Kontakt zu ihren Besitzern aufnehmen, so fällt es doch schwer, sie einfach zu entsorgen“, stellt Rahemipour fest.

  Grafische Formen und bizarre Oberflächenstrukturen – so werden Zimmerpflanzen im „Green Note“ in Düsseldorf-Flingern zum Hingucker.

Grafische Formen und bizarre Oberflächenstrukturen – so werden Zimmerpflanzen im „Green Note“ in Düsseldorf-Flingern zum Hingucker.

Foto: nein/Bretz

Auch als Geschenk sind die immergrünen Trendsetter beliebt. „Da sie nicht so vergänglich sind wie Schnittblumen, hat man länger Freude daran“, sagen Alexandra und Maik Hecker. Manche Kunden entwickeln sogar mit zunehmender Erfahrung eine Sammelleidenschaft. Dank unterschiedlicher Farbtöne, Strukturen und Blattvarianten sind die Pflanzen ein Hingucker im Regal und lassen so manches Bild oder Poster blass aussehen.

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