USA Als wir Hippies waren

San Francisco · Das Leben in der einstigen Hippie-Metropole San Francisco ist  süß und teuer. Dabei ist die Sehnsucht nach Frieden, Liebe und Flower Power groß. Eine „Love Tour“ im VW-Bulli bringt ein Stück der Vergangenheit zurück.

Die Love Tour rund um San Francisco unternimmt im VW-Bus „Sunshine“ eine Reise in die Vergangenheit.

Die Love Tour rund um San Francisco unternimmt im VW-Bus „Sunshine“ eine Reise in die Vergangenheit.

Foto: Stefanie Bisping

Mühsam arbeitet sich der mit Porträts von Janis Joplin und Carlos Santana und einem Bild der Golden Gate Bridge lackierte Bulli den Russian Hill hinauf. Die Schwerkraft ist der Freund des Oldtimers: Mit Schwung geht es kurz darauf die Serpentinen der Lombard Street hinab, während Otis Redding „Sittin‘ On the Dock of the Bay“ singt. Draußen bleiben Menschen stehen, winken und tasten nach ihren Mobiltelefonen, um den bunten Bus „Sunshine“ zu fotografieren.

Die Teilnehmer der „Love Tour“ sehen nicht nur Sehenswürdigkeiten, „Sunshine“ macht sie selbst zur Attraktion. Am Steuer erzählt Tourguide Allan, wo Baseball-Legende und Monroe-Gatte Joe DiMaggio zur High School ging, welche Straßen beim Großen Beben 1906 von Feuer und Zerstörung verschont blieben und was als bester Ort in den USA zum Flirten gilt: eine Yoga-Wiese an der Marina Road, eine der teureren Gegenden in der teuren Stadt. Dann erteilt er Scott McKenzie das Wort: „If you‘re going to San Francisco, be sure to wear some flowers in your hair“, singt er.

 Carlos Santana

Carlos Santana

Foto: Stefanie Bisping

Allan Graves, Betreiber der „Love Tours“, die mit VW-Bussen und den Hits der Sechziger- und Siebzigerjahre ins Herz der Stadt führen, arbeitete lange im Bereich Finanzdienstleistungen und Technologie. „Wie jeder in San Francisco“, sagt der 43-Jährige. „Dann ging meine Tochter aufs College, mein Hund starb, und meine Freundin trennte sich von mir. Plötzlich merkte ich, dass ich zu den Dingen zurück muss, die ich liebe.“

Das waren alte Autos. Mit seinem Bruder kaufte er den Bulli „Love“, Baujahr 1972, und ersteigerte einen zweiten, „Sunshine“, von 1976. Sie bauten Oberlichter ins Dach und baten die Künstlerin Madison Tomsic, die Busse mit ikonischen Motiven zu lackieren. Allan ließ sich zum Guide ausbilden. 2014 starteten die Brüder die „Love Tours“.

Janis Joplin

Janis Joplin

Foto: Stefanie Bisping

Während „Let the Sunshine in“ aus dem Musical Hair den Morgennebel lichtet, sprudelt Allan Informationen hervor. Am Union Square zeigt er auf eine vernagelte Louis Vuitton-Filiale, die kürzlich ausgeräumt wurde, und klagt über Chesa Boudin. Der 1980 geborene, ehemalige Bezirksstaatsanwalt verzichtete auf Untersuchungshaft, wo keine Gefährdung der Allgemeinheit vorliegt. Denn er glaubt nicht an Haftstrafen. Seine Eltern waren Mitglieder der linksradikalen Organisation Weather Underground. Nachdem sie 1981 in New York an einem Raubüberfall beteiligt waren, bei dem zwei Polizisten und ein Wachmann getötet wurden, verbrachten sie Jahrzehnte im Gefängnis.

Chesa Boudin trat bei der Wahl 2019 mit dem Ziel an, Massen-Haft zu beenden und stattdessen die Wurzeln von Kriminalität zu bekämpfen: Drogensucht, psychische Erkrankungen, soziale Probleme. Seither blickt das Law and Order liebende Land mit wohli­gem Gruseln auf die Verrückten im Westen. Aber auch die Bewohner ringen mit der Frage, wie viel Nonkonformismus aus dem „Summer of Love“ in ihrer DNA überdauert hat.

Allan Graves geht mit seinen Passagieren auf Love Tour.

Allan Graves geht mit seinen Passagieren auf Love Tour.

Foto: Stefanie Bisping

Kalifornien ist Heimat der meisten Milliardäre in den USA. Die meisten der Superreichen leben in San Francisco, der Heimat von Facebook, Twitter und Uber. 39 Milliardäre zählt das Magazin Forbes in der 880.000-Einwohner-Stadt, andere kommen auf 41 oder sogar 77 – mehr gibt es nur in New York City, wo zehn Mal so viele Menschen leben. „All you need is love“ tönt aus den Boxen. Doch auch Geld ist nötig. Das Leben ist teuer in San Francisco, eine kleine Wohnung kostet leicht 3000 Dollar Miete im Monat.

Der Weg zur Golden Gate Bridge säumen bei der Love Tour auch Romanzen. Frida Kahlo und Diego Rivera heirateten im Rathaus – dem größten des Landes, dessen Kuppel die des Kapitols in Washington um 35 Zentimeter überragt – 1940 zum zweiten Mal, Marilyn Monroe und Joe DiMaggio schlossen hier 1954 einen Bund für einige Monate. Bei der Fahrt durch den Stadtteil The Presidio, einst Militärstützpunkt und heute eine Parklandschaft mit Walt Disney- und Star Wars-Memorabilia-Museum, bricht endlich die Sonne durch den Nebel. Außer den orange-roten Pfeilern und Türmen der 1937 eröffneten Brücke sind sogar Pelikane und Robben zu erkennen.

Die Tour endet zu den Klängen von „Hotel California“ im Viertel Haight-Ashbury, dem Zentrum der Hippie-Kultur der Sechzigerjahre. In der
Haight Street wohnte einst Jimi Hendrix. Schräg gegenüber war Janis Joplin im rosa Haus Nummer 635 an der Ashbury Street zuhause, in der Nähe lebte Jerry Garcia, Leader der Band Grateful Dead. Die heutige Bewohnerin hat ein Tor installiert, um Pilger und Hippies auf Distanz zu halten. Ein Schild an der Haight Street wird noch deutlicher: „Hippies use back door“, ist darauf zu lesen: Hippies durch die Hintertür. Heute gehört Haight-Ashbury den Hipstern.

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