Wunschzettel am Pomeranzenbaum

Advent in Sevilla bedeutet nicht die fieberhafte Suche nach Geschenken - oder nicht nur. Die Vorweihnachtszeit besteht hier aus einer langen Folge von Weihnachtsessen. Zudem zeigt sich die Stadt in funkelndem Lichterkleid.

 Schulkinder hängen Wunschzettel in die Pomeranzenbäume.

Schulkinder hängen Wunschzettel in die Pomeranzenbäume.

Foto: Stefanie Bisping

Es beginnt harmlos mit ein paar Tapas: Käse in Olivenöl, Kartoffelsalat mit Thunfisch, Tintenfisch mit Paprika und Aubergine. Dann folgt Arroz Caldoso: Reis in Brühe mit Hummer. Spätestens zu diesem Zeitpunkt - der Fleischgang ist noch nicht serviert, das Dessert nur eine Ahnung - wird klar, dass die Sevillaner im Advent nicht viel von Zurückhaltung halten. Im Gegenteil, erklärt der Chef des Restaurants Robles Placentines: Die Vorfreude aufs Fest entlade sich hier in einer raschen Folge von Weihnachtsessen mit der Familie, mit Freunden und Kollegen. Wenn die Menschen anderswo in die Innenstädte strömen, um Geschenke zu kaufen, drängen sie hier in die Altstadt, weil alle auf dem Weg zum Essen sind.

Ohnehin spüren die Spanier im Dezember beim Gedanken an Geschenke noch keine gesteigerte Nervosität. Denn die werden erst am Dreikönigstag Anfang Januar überreicht. Doch ein paar Vorbereitungen sind auch hier zu erledigen. Ab den letzten Novembertagen suchen die Sevillaner auf dem Markt neben der Kathedrale nach Ergänzungen für ihre Krippen. Hier gibt es Jesuskinder aller Haut- und Haarfarben zu kaufen. Aber auch jede Menge Details gehören zum Angebot: Ein Spanferkelröster könnte die Krippe verschönern, ein Karten spielendes Herrengrüppchen am Wirtshaustisch oder eine Metzgerei mit Wurst und Schinken. Inspiration geben aber auch die Krippenlandschaften, die in jeder größeren Kirche der Stadt, aber auch im Rathaus aufgebaut sind. Sogar in der Mittagspause stehen Angestellte an, um Krippen wie die der Kirche de la Paz an der Plaza del Salvador zu bewundern.

Anfang Dezember hängen Schulkinder ihre Wunschzettel in die Pomeranzenbäume im Garten des Königspalasts Alcázar. Glyzinien, Jasmin, hohe Palmen und Pfauen bilden hier eine unwiderstehliche Adventskulisse. Die Wunschzettel hängen zwischen reifen Orangen, von denen ab und zu eine zu Boden fällt und platzt.

"Der Duft von Orangen ist für uns der Duft der Weihnacht", erklärt Stadtführerin Mercedes Miguez. "Viele sind überrascht, wie grün Sevilla ist." Zehn Parks besitzt die Stadt. Dank des milden Klimas gedeihen Palmen, Würgefeigen und Magnolien bestens. Miguez warnt ihre Gäste davor, Pomeranzen vom Baum zu probieren: Es sind Bitterorangen, die nach der Ernte im Januar vor allem nach England exportiert und zu Marmelade verarbeitet werden.

In der Vorweihnachtszeit ist der Alcázar, bis heute offizielle Residenz der spanischen Königsfamilie, nur wenig besucht. Eine Million Menschen flanieren im Jahr durch die Gemächer; an den kurzen, sonnendurchfluteten Tagen des Dezembers sind es nur einige Dutzend. Dafür ist der Palast, in dem Columbus ein Büro für die Planung seiner zweiten Amerika-Reise besaß, nun mit rot blühenden Christsternen geschmückt.

Die festliche Hochphase beginnt mit dem Tag der unbefleckten Empfängnis am 8. Dezember. Dann verkaufen Nonnen im Kaufhaus Corte Ingles Süßigkeiten, und in der Konditorei La Despensa de Palacio herrscht nun Ausnahmezustand. Denn hier gibt es das für Weihnachten typische, nach Zimt duftende Gebäck, das im Dorf Estepa in Doppelschichten gebacken wird. Antonio Rivero Fernández, dessen Ahnen seit Mitte des 18. Jahrhunderts als Konditoren auf Weihnachtsgebäck spezialisiert sind, eröffnete das Geschäft in Sevilla, weil seine Kunden im Advent regelmäßig den Verkehr in Estepa zum Erliegen brachten.

Nach Gebäckverkostungen und Tapas-Gelagen mündet die Adventzeit für die Sevillaner an Weihnachten in weiteren Herausforderungen. An Heiligabend werden nach den Tapas iberischer Schinken, Meeresfrüchte, Pute und Lendensteaks aufgefahren. Am ersten Feiertag gibt es dann zu den Resten "Sopa de Picadillo" - eine Hühnersuppe, die den Magen beruhigt. Dieser Hauch von Schonkost tut dem Körper gut. Denn die Feierei geht noch zwei Wochen lang weiter.

Die Redaktion wurde vom Spanischen Fremdenverkehrsamt zu der Reise eingeladen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort