Türkei Wohnen im steinernen Märchenwald

Keine andere Region in der Türkei bietet eine solche Mischung aus Kultur und überwältigender Natur wie Kappadokien in Zentralanatolien.

Es ist bullig-warm in Ahmeds Çayevi, der gemütlichsten Teestube von Kaymakli, einem Dorf in Kappadokien, weit hinten in der Türkei. Der gusseiserne Ofen gibt seine Hitze über ein Kanonenrohr in den Raum ab. Ein Dutzend älterer Männer hockt an drei Tischen und trinkt süßen Apfeltee. Wie überall auf der Welt, wo sich Türken nach traditioneller Art treffen, werden Okey-Steine auf der Tischplatte hin und her geschoben, und natürlich hängt die Halbmondfahne an der Wand. Aus dem Bilderrahmen schaut Kemal Atatürk, der "Vater der Türken", zu.

Wir sind unterwegs in Kappadokien, im Land der bizarren Kegel und Feenkamine, der steinernen Pilze und Penisse — und einem Höhlenlabyrinth, in dem sich hunderte frühchristliche Kirchen und Klöster, aber auch Wohnungen und sogar Hotels verbergen. Keine andere Region in der Türkei bietet eine solche Mischung aus großer Kultur und überwältigender Natur.

Göreme und das Töpferdorf Avanos, die boomartig wachsende Metropole Nevsehir, Derinkuyu mit der eindrucksvollsten unterirdischen Stadt und eben Kaymakli sind wohl die wichtigsten touristischen Zentren. Vorzeigedörfer wie Uçisar oder Güzelyurt gehören ebenso dazu wie das Pasabagi-Tal und die Ilhara-Schlucht, Kleinasiens Grand Canyon. Und auch das ist Kappadokien: überraschendes Naturerlebnis, Begegnung mit dem Anatolien der alten Reisebücher. Wanderwege, meistens sind es Eselspfade, führen durch blühende Landschaften mit Obstplantagen auf der Hochebene und Weinbergen im Tuffgestein. Schließlich in abseits gelegene Orte, wo in den Dorfkneipen zwar keine Speisekarten liegen, wohl aber hier und da noch, wie in den alten Zeiten, gegrillte Hoden und gefüllte Därme oder Köpfe und Füße vom Schaf serviert werden.

Kaymakli, Ahmeds Heimatdorf, und dort die Tunnel und Gänge eines weit verzweigten Höhlensystems, stehen am dritten Tag auf dem Programm unserer Reise durch diese weltweit einzigartige Erosionslandschaft. Aber schon nach den ersten Metern unter der Erde wird es zu eng, zu feucht, zu düster. Also geht es raus in die Gassen. Eine ältere Frau bietet ein Stück Brot an, gleich mehrere Friseure eine Bartrasur und Ahmed in seiner Çayevi zur Begrüßung einen Tee und zum Abschied einen Raki, den Anisschnaps, der Magenprobleme behebt und Freundschaften besiegelt.

Schließlich Göreme: ein Gesamtkunstwerk, das die Massen anzieht, mit Souvenir- und Wasserverkäufern aller Temperamentsstufen, mit einem Eismann, der den roten Fes auf dem Kopf trägt und erfolgreich den Clown spielt. Mit unzähligen Souvenirläden, aber auch Cafés, aus denen sich der Trubel am Höhlenberg und das großartige Tal von Göreme in aller Ruhe beobachten lassen. Dieses Tal mit seinen uralten Kirchen und Klöstern wird heute als Open-Air-Museum auf der Unesco-Liste des Welterbes geführt. Natürlich drängen auch wir uns in die dunklen Gänge der Kapellen und Grabkammern, leuchten mit der Taschenlampe die Jesus-und-Maria-Fresken aus.

Letzte Station: Avanos, das Keramikstädtchen. Obwohl der Ort nicht wirklich malerisch ist, ist er in bester Erinnerung geblieben. Der Rote Fluss trennt den neuen vom alten Teil, auf dem Hauptplatz trifft sich die Dorfjugend am Denkmal des unbekannten Töpfers.

Nach dem Rundgang landen wir wieder in einem Teehaus. Diesmal heißt der Wirt Aslan, aber die Szenerie ist die gleiche wie in Kaymakli: Bullerofen, Atatürk an der Wand, Okey-Spieler an den Tischen, Patriarchen und Paschas wie in Ahmeds guter Stube. Es gibt reichlich Tee und zum Schluss natürlich einen Raki, diesmal mit Eis und Wasser: Löwenmilch, so lerne ich, wird der verdünnte Rachenputzer genannt: Prost, es war schön bei euch.

(RP)
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