Österreich Wilder Tee aus dem Großen Walsertal

Im Gegensatz zum kleinen blieb das Große Walsertal bisher von heftigen Urlauberströmen verschont. Somit gelang es den Vorarlbergern, einen sanften Tourismus zu etablieren. Auf einer Tour können Wanderer Kräuter für ihren eigenen Tee sammeln.

Unser Tee darf kein Auto gehört haben, bevor er in die Tasse kommt: Das ist das Credo im Großen Walsertal, das wir überprüfen wollen. Unsere kleine Gruppe startet unter der Leitung der pensionierten Lehrerin Elisabeth Burtscher zu einer ökologischen Wanderung der besonderen Art über die Hochalpe am Hahnenkopf. Gelegen oberhalb des Dörfchens Faschina auf knapp 1500 Metern Höhe.

Wir tauchen ein in eine Flora und Fauna, in einen Mikrokosmos, welchen die meisten von uns schon in die Abteilung "Heimatfilmromantik" einsortiert hatten. Es summt und brummt wild und abenteuerlich, würzige Düfte und Gerüche liegen in der Luft. Keinerlei Motorengeräusche zerstören das Idyll unter blauem Himmel und weißen Schäfchenwolken. Ich kann mich kaum entscheiden, von welchem Anblick ich mich mehr eingenommen und fasziniert fühlen soll: Da ist einerseits die beinahe blendende, üppige Fülle der Alpe, in der sich Blumen und Kräuter gegenseitig an Farbenpracht und Aroma überbieten. Und da ist auf der anderen Seite das wunderbare, fast kitschige Alpenpanorama, mitten drin eine kleine Wandergesellschaft.

Elisabeth teilt an jeden ein kleines braunes Papiertütchen aus. "Darin," erklärt die charmante Kräuterfee, "werden wir nun die Mischung für den Bergkräutertee aufbewahren, die Ihr auf unserem Exkurs selbst zusammenstellen werdet. Mindestens sieben verschiedene Zutaten müssen es sein, erst dann entwickelt der Tee seine wohltuende Wirkung." Flugs erklärt sie routiniert die Kräuter und Früchte, die Blumen und geschützten Pflanzen längs des schmalen Weges, worauf beim Abpflücken von Blättern oder Blüten zu achten ist, und auch, welche Wirkung sie auf Körper und Geist haben können. Sie kennt alle Pflanzen mit Namen, die so manches Schmunzeln verursachen: Hirschzunge, Gnadenkraut und Türkenbund. 150 verschiedene Arten kommen hier vor. Während sich der Teebeutel nun langsam füllt, verführen die hocharomatischen Heidelbeeren ein konzentrierteres Zuhören und Einsammeln.

Die eine oder andere der wohlschmeckenden Früchte wandert jedoch auch ins Papierbehältnis. Schließlich geht es auf den Rückweg, in dessen Verlauf wir einigen hellbraunen Alprindern im gut sortierten Gänsemarsch begegnen, deren klangvoll-gemütliches Glockengeläut uns wieder vorsichtig auf die drohende Zivilisation einstimmt. Beruhigend das Gefühl zu wissen, dass die Kräuter-, Blüten- und Blattkollektion noch nicht mit irgendwelchen Abgasen verunreinigt ist. Im Gasthaus am Ortsrand von Faschina erklärt Elisabeth dann, wie die Teeblätter an der Luft zu trocknen und aufzugießen sind.

Nach der Wiese folgt der Wald, oder besser auf den Walderlebnispfad von Raggal, einem weiteren, der zahlreichen Themenwege des Großen Walsertals. Neben der Kirche von Marul mit ihrem typischen roten Zwiebelturm und der 300 Jahre alten Ulme beginnt der Rundweg durch den Lebensraum Wald, der hier im Marultal noch sehr naturnah erhalten ist. "Dieser Wald hat einen sehr ursprünglichen Charakter bewahren können," erläutert die Biologin Maria, während sie strammen Schrittes in die schattige Kühle unter funkelndem Blätterdach eintaucht. "Es liegt daran, dass die Bewirtschaftung der steilen Berghänge sehr schwierig war. So konnte sich eine optimal an die geologischen Gegebenheiten angepasste Vegetation entwickeln." Grauerlen und Weiden in Bachnähe, etwas höher Buchen, Tannen und Fichten, darüber dann Föhren und Latschenkiefern, denen es gelingt mit ihren Wurzeln auch auf trockenem, felsigen Untergrund oder selbst Geröll noch vernünftigen Halt zu finden.

Sie pflückt ein Weidenblatt ab, hält es fragend in die Höhe und erntet ratloses Schulterzucken. Für Stadtmenschen ist der Wald grün und zum Spaziergang, Joggen oder Nordic Walking geeignet. Spitzfindigkeiten über die Artenvielfalt von Bäumen und Büschen haben wenig Chancen. Also erhalten wir jetzt eine neuerliche Lektion über Blätter, Blüten und Holzarten. Der Pfad führt am plätschernden Lauf des Marulbaches entlang, dessen Reinheit, dessen klares Wasser fasziniert. Erfrischend wild fließt er über Schutt und Geröll, das er selbst über Generationen hierhin geschafft hat.

An einer ruhigeren Stelle hat sich ein flacher Teich gebildet. Die dort drapierten Trittsteine erfreuen sich besonders bei Kindern großer Beliebtheit, ebenso wie die Klanghütte, in der mit Hölzern unterschiedlicher Größen dumpfe Kompositionen kreiert werden können. "Wenn Ihr hier durch geht, so versucht es in aller Ruhe zu tun", mahnt Maria, als sie uns zu dem Nachbau eines keltischen Labyrinths inmitten junger Erlen führt. "Es stellt den Lebenslauf des Menschen dar." Schweigend machen wir uns auf den Weg, der langsam von außen nach innen und wieder nach außen zurück zum Ausgangspunkt führt. Eine mystische Kraft scheint diese Fährte zu besitzen. Sie zieht in ihren Bann und hilft, das Bewusstsein nicht nur für diesen einzigartigen Lebensraum im Großen Walsertal zu schärfen.

(RP)
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