Südamerika Wiege des chilenischen Weinbaus

Im Maule-Tal wird seit dem 16. Jahrhundert Wein angebaut. Unterwegs mit dem Schienenbus "buscaril".

Langsam setzt sich der gelbe Schienenbus in Bewegung. Direkt hinter dem Bahnhof von Talca muss er die ersten Steigungen bewältigen. Triebwagen und Anhänger sind dicht besetzt. Viele Reisende müssen stehen. Die Stimmung ist ausgelassen, viele haben Fotoapparat oder Smartphone gezückt, um die reizvolle Landschaft festzuhalten.

Der "buscaril", so die spanische Bezeichnung des 1961 in Deutschland gebauten Schienenbusses ist eine der Haupttouristenattraktionen in der Maule-Region im mittleren Chile. Er verkehrt auf einer 90 Jahre alten Schmalspurstrecke und verbindet die Bezirkshauptstadt Talca mit Constitución am Pazifik. Inzwischen rattert der Zug mit seiner Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h durch eine mediterran anmutende Landschaft: Weinberge, soweit das Auge reicht, dazwischen verstreut immer wieder kleine Gehöfte und Ansiedlungen. Gut vier Stunden dauert die 100 Kilometer lange Bahnreise - eine gute Gelegenheit seine Mitreisenden kennenzulernen. Viele Passagiere sind aus der 250 Kilometer entfernten Hauptstadt Santiago angereist, um bei einem Kurzurlaub die Region rund um den Maule-Fluss zu erkunden. In dem Gebiet zwischen Anden und Pazifik gibt es Thermalquellen und kleinere Seen. Die leicht hügelige Landschaft lädt zu Wanderungen oder Fahrradtouren ein. Doch das größte touristische Potenzial bieten die Weinanbaugebiete im Maule-Tal.

Diese Region erhebt den Anspruch "Wiege des chilenischen Weinbaus" zu sein. Tatsächlich werden dort bereits seit dem 16. Jahrhundert Reben kultiviert. Nach dem Vorbild anderer chilenischer Weinbauregionen haben sich nun auch Winzer im Maule-Tal zu einer Weinstraße zusammengeschlossen. Ziel ist es, den Touristen mehr zu bieten als nur Weinverkauf. Direkt am Rand der kleinen Stadt San Javier befindet sich in einem großen Park mit altem Baumbestand die herrschaftliche Villa der Winzerfamilie Balduzzi im Kolonialstil des 19. Jahrhunderts.

Wie viele Winzer sind auch die Balduzzis zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus Italien nach Chile eingewandert. Gustavo Balduzzi, Winzer in vierter Generation, ist stolz auf seine Familiengeschichte: "Wir kommen aus dem Piemont und können dort auf Weinbau seit über 300 Jahren zurückblicken. Als meine Vorfahren sich 1906 im Maule-Tal niedergelassen haben, waren sie von den klimatischen Bedingungen begeistert - heiße Sommer ohne viel Niederschlag garantieren einen besonders hochwertigen Wein."

Damit Besucher auch erfahren können, wie dieser edle Tropfen produziert wird, werden Führungen durch das Weingut angeboten. Schon vor 20 Jahren haben sich die Balduzzis dem Eno-Tourismus geöffnet und waren damit die ersten im Maule-Tal. Einige Winzer haben inzwischen nachgezogen, doch der Weintourismus gilt noch immer als Geheimtipp, verglichen mit dem weithin bekannten und reichlich frequentierten Colchagua-Tal etwas weiter nördlich.

Nächste Station ist die Casa Donoso, ein historisches Weingut aus dem späten 19. Jahrhundert, etwa fünf Kilometer von Talca entfernt. Neben geführten Touren durch Keller und Weinberge werden Weinseminare und Verkostungen besonders hochpreisiger Weine angeboten. Unvergesslich ist auch ein Picknick mit Wein und Käse inmitten der Rebstöcke. Dafür wurde ein 20 Meter hoher hölzerner Turm errichtet, der einen weiten Blick über die Landschaft ermöglicht. Und wenn der leckere Wein doch etwas müde gemacht haben sollte, kein Problem: In der Casa Donoso gibt es fünf stilvoll eingerichtete Gästewohnungen. Wer es nicht ganz so exklusiv möchte, der findet in Talca eine größere Anzahl von einfacheren Hotels und Pensionen. Die Stadt lohnt auf alle Fälle einen Besuch, wenngleich zahlreiche historische Gebäude beim Erdbeben von 2010 zerstört wurden.

Am Stadtrand von Talca liegt auch der Bahnhof, von dem der gelbe Schienenbus zweimal am Tag in Richtung Constitución abfährt. Da sich die Schmalspurbahn inzwischen so großer Beliebtheit erfreut, sollte der Reisende mindestens eine Stunde vor Abfahrt am Schalter sein, um sich einen Platz zu sichern. Wirtschaftlich ist der Betrieb der Strecke wohl nicht mehr. Im chilenischen Winter benutzen den Zug nur wenige Fahrgäste. Aber stillgelegt werden darf die Strecke nicht, denn der "buscaril" gehört seit 2007 zum kulturellen Erbe Chiles.

(RP)
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