Frankreich Wie in einem französischen Film

Weißenburg im Elsass ist eine lebhafte Kleinstadt mit historischem Charme. Das Städtchen liegt direkt an der deutsch-französischen Grenze.

Klein-Venedig nennen die Einheimischen die Idylle am Lauter-Kanal. Sie befindet sich etwas abseits des Trubels.

Klein-Venedig nennen die Einheimischen die Idylle am Lauter-Kanal. Sie befindet sich etwas abseits des Trubels.

Foto: Odile KANSTINGER

Die bunten Markisen der Marktstände flattern im Wind. Auf der Place de la République bieten die Händler Käse, Pasteten, Obst, Gemüse und Fisch aber auch Stoffe und Tischdecken an. In den Straßencafés mischen sich Französisch, das melodische Elsässisch und Deutsch. Der kleine Grenzverkehr von Deutschland nach Frankreich ist an diesem sonnigen Samstagvormittag längst eröffnet. Wäre Weißenburg, dieses Bilderbuch-Städtchen im Nordelsass, ein Mensch, würde man ihn als heiter, lebensfroh und natürlich auch geschäftstüchtig bezeichnen. Das hat Tradition: Schon im Mittelalter kreuzten sich an der Lauter die Handelswege nach Basel, Frankfurt und Holland.

Der Wohlstand der Stadt geht bereits auf die Benediktiner zurück. Die Mönche gründeten an den Ausläufern der Vogesen um 660 eine Abtei und bewirtschafteten ein 300 Quadratkilometer großes Gebiet. Dass nur wenig mittelalterliche Bausubstanz erhalten geblieben ist, liegt daran, dass der Dreißigjährige Krieg hier besonders heftig wütete. Danach zählte Weißenburg, auf Französisch Wissembourg, nur noch 140 Einwohner.

Wer tiefer in die Geschichte der Stadt eintauchen möchte, ist bei Franz Schaaf an der richtigen Adresse. Der Mittsechziger mit weißer Mähne und Bart kommt gerade mit einer Tüte vom Einkaufen zurück. Sein Haus in der Altstadt, ein weinumrankter Fachwerkbau aus dem 15. Jahrhundert, heißt wie er selbst – Schaaf. Denn sein Vater Auguste hat nicht nur das hiesige Touristenamt gegründet, sondern war auch ein bekannter Regionalhistoriker. Im romantischen Innenhof des Anwesens wuchert das Grün. An einer Außenwand lehnen bunte Tafeln mit alten Handwerkszeichen und Bruchstücke von einem römischen Kastell. „Mein Vater hat das alles aus dem Steinbruch gerettet“, erzählt er und streicht stolz über die Reste aus Sandstein. Als Auguste Schaaf nach dem Studium orientalischer Sprachen in Athen und Rio de Janeiro in den 1930er-Jahren zurückkehrte, stürzte er sich in die Geschichte seiner Heimatstadt. Damals, so sein Sohn, habe sich noch niemand dafür interessiert.

Auch einige andere historische Bauten am Quai Amselmann, einer Uferstraße entlang der Lauter, tragen wie das Haus Schaaf die Namen ihrer einstigen Bewohner. Das Haus Vogelsberger etwa ließ ein gleichnamiger, später zum Tode verurteilter Söldner erbauen. Heute lernen dort Grundschüler lesen und schreiben. Eines von etlichen Beispielen, die zeigen, dass die Altstadt kein Open-Air-Museum mit Souvenirshops ist, sondern voller Leben.

Das zwischen Weinberge eingebettete Städtchen wäre die perfekte Kulisse für einen typisch französischen Spielfilm. Aber auch für Wanderurlauber ist es ein geeigneter Ausgangspunkt, um in den naheliegenden Pfälzer Wald oder die wesentlich einsameren Vogesen zu starten. In beiden Regionen gibt es ein gut beschildertes Wegenetz.

Weißenburg ist ein Bilderbuch-Städtchen im Nordelsass und liegt direkt an der deutsch-französischen Grenze.

Weißenburg ist ein Bilderbuch-Städtchen im Nordelsass und liegt direkt an der deutsch-französischen Grenze.

Foto: French Wanderers

Als Start für einen Stadtspaziergang eignet sich das Rathaus an der Place de la République. Es ist im Régence-Stil, einer Übergangsform zum Rokoko, errichtet und wird von einem weithin sichtbaren Glockenturm überragt. Hinter dem Platz biegt rechts die Rue de la Passerelle ins Klein-Venedig ab, wie die Weißenburger diese Fachwerkidylle abseits des Kleinstadttrubels nennen. Eine uralte Glyzinie versprüht süßlichen Duft. Die Lauter plätschert unter den kleinen Brücken hindurch. An beiden Ufern verwildern Gärten.

Ebenfalls ein Muss ist die gotische Abteikirche Peter und Paul, mit deren Vorgängerbau Weißenburg gegründet wurde. Nach dem Straßburger Münster ist sie das zweitgrößte Gotteshaus im Elsass. Seine Freske des heiligen Christophorus, des Beschützers der Reisenden, ist mit 11,50 Metern sogar die größte Frankreichs.

Während die Besucher die dekorativen Volutengiebel des benachbarten Ritterhauses, einer ehemaligen Klosterherberge, fotografieren, kommt Franz Schaaf zufällig vorbei. Ein typisches Kleinstadtphänomen: Man läuft sich ständig über den Weg. Er deutet auf ein eher unscheinbares Relief, das einen über ein Buch gebeugten Mönch darstellt. „Otfried, der berühmteste Mönch von Weißenburg und der erste bekannte deutsche Dichter“, sagt er kurz. Immer wieder begegnen einem hier auch deutsche Spuren. Dabei gehört die Stadt nur 47 Jahre zum Deutschen Kaiserreich, das Preußische blieb den Einheimischen dabei suspekt.

Zurück auf dem Place de la République: Die Händler bauen inzwischen ihre Stände wieder ab, rollen die Markisen ein und hängen die Marktwagen an ihre Autos. Die Shopping-Aktivitäten verlagern sich in die vielen kleinen Geschäfte, die Buchhandlungen, Haushaltswaren- und Ledergeschäfte sowie Obst- und Gemüseläden.

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