Wandern in Advents-Atmosphäre

In der Oberpfalz wartet auf Wanderer im Winter eine besondere Attraktion. Einheimische öffnen ihre Haustür für Fremde. Die einen trinken mit ihnen selbst gebrautes Bier, die anderen zeigen ihre selbst geschnitzten Krippenwelten.

Der Pulverschnee knirscht unter den Stiefeln, und die Tannen tragen weiße Hüte. Stundenlang können Wanderer im Winter durch den Oberpfälzer Wald stapfen ohne einer Menschenseele zu begegnen. Der Goldsteig führt auf 660 Kilometern durch die Oberpfalz und den Bayerischen Wald und ist einer der am besten markierten Wanderwege Deutschlands. Ein Schild mit goldener Schlangenlinie weist den Weg. Aber im Winter muss man achtsam sein. Der Pfad liegt unter einer Schneedecke versteckt und die Spuren von Hase, Reh und Fuchs verführen zur Kursabweichung.

Die Tour führt von Kulz zur Wallfahrtskirche Schönbuchen. Dort wartet Anne Held in Daunenjacke und Pudelmütze mit dem Winterpicknick. Sie hat einen Granitstein vom Schnee befreit, eine rot karierte Tischdecke darüber geworfen und ihn gedeckt mit frischen Krapfen, gebrannten Mandeln, Brezn und Kaminwurzen, jede einzelne mit Schleifchen liebevoll dekoriert. Im Topf auf dem Gaskocher brodelt eine scharfe Gulaschsuppe mit Ananas. Genau das Richtige für die Pause im Schnee. "So ein Picknick in der Landschaft ist immer wieder eine große Überraschung für die Wanderer", erzählt Anne Held und schenkt dampfenden Glühwein ein. Sie hat den Picknickservice zusammen mit einigen Bäuerinnen gegründet. Seit diesem Jahr bietet sie ihn erstmals auch im Winter an.

In Windischeschenbach folgt der Winterwanderer zur Abwechslung einem sechseckigen Stern. Der baumelt vor der Toreinfahrt zum blassblauen Haus und führt direkt ins Wohnzimmer von Anton Heinl. Der schmächtige Mann mit grauem Schnauzer ist Kommunbrauer. Einmal im Monat braut er sein eigenes Bier und schenkt es bei sich zu Hause aus. Wie in einer Straußenwirtschaft zur Trauben-ernte junger Wein serviert wird, so süffelt man hier das junge Bier – zum Preis von 1,70 Euro pro halben Liter.

"Am Zoigl gehen" sagen die Einheimischen zu dieser Art von Biergenuss, die in der Oberpfalz 600 Jahre Tradition hat. Es ist so, als wäre man für ein paar Stunden Teil einer großen Dorffamilie. Ob Anwalt oder Maurer, alle sitzen gemeinsam an einem großen Holztisch und sind noch vor dem ersten Anstoßen per Du. Während draußen die Schneeflocken tanzen, bollert im Ofenherd ein Feuer. "Für mich ist der Winter besonders schön, weil ich nicht rausgehen muss, um Menschen zu treffen," sagt Anton Heinl lachend. Den Hof samt Braurecht hat er vom Vater geerbt und dieser vom Großvater. Einst gab es 80 Zoiglberechtigungen in Windischeschenbach. Davon existieren heute noch 38. Doch nur zehn Wirte brauen abwechselnd im örtlichen Kommunbrauhaus. Danach hängen sie den sechseckigen Stern – das alte Zunftzeichen der Brauer – vor die Tür, das signalisiert: Es gibt frisches Bier.

Am nächsten Tag weist wieder ein Stern den Weg, diesmal ein gelber mit Schweif. Er ist auf eine Holztafel mit dem Schriftzug "Krippen schau'n" gemalt und befindet sich neben der Zwiebelturm-Kirche in Plößberg vor dem Haus von Ruth Gerl. Auch sie öffnet im Winter die Tür für Fremde – und führt sie in den Keller. Dort riecht es nach Wald und Erde. Wohl jeder Besucher ist erstaunt über die Miniatur-Krippe, die von einer Wand bis zur anderen reicht: Eine Landschaft, gebaut aus getrockneten Ästen, Moos und Zunderschwämmen, bevölkert von Hunderten Holzfiguren mit daumennagelgroßen, filigranen Gesichtern. Die meisten davon hat Ruth Gerl geschnitzt. Sie hat die Handarbeit von ihrem Vater, einem Bildhauer, gelernt.

"Ich fand es damals schade, dass er sie verkaufte, deshalb habe ich von jeder Figur eine Kopie gemacht", sagt die 47-Jährige, die in der Medizintechnik arbeitet. Zu den Beliebtesten gehören der "Goaßlreiter", ein Junge, der auf eine Ziege klettert, und der "Brückengeher", ein Mann, der auf einem Baumstamm über eine Schlucht rutscht. Das Krippenschnitzen ist in Plößberg eine alte Volkskunst, die heute noch lebendig ist. Wie beim Zoigl, wird die Krippe zusammen mit dem Haus von Generation zu Generation weitervererbt. Dabei sind die Kunstwerke zu raumgreifenden Installationen gewachsen. Herzstück ist immer die Wiege Jesu im Stall von Betlehem.

Drum herum gibt es zahlreiche Szenen aus dem früheren Alltag in der Oberpfalz: Zwei Glasbläser pusten Luft durch ihre Glasmacherpfeifen, ein Zoiglwirt rührt im Maischebottich, ein Krippenschnitzer sitzt auf einem Hocker vor seiner Haustür und schnitzt eine Figur. Selbst die heimischen Waldtiere wie Hase, Reh und Fuchs finden hier ihren Platz. Fehlt nur noch ein Wanderer beim Winterpicknick.

(RP)
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