Süditalien Vergessener, wunderschöner Cilento

Düsseldorf (RPO). Südlich von Neapel beginnt Afrika, so spotten viele Italiener. Irrtum: Dort liegt der Cilento, eine Region voller Geheimnisse zwischen Stränden und Bergen. Längst ist sie Nationalpark.

Ruhe im selbstvergessenen Cilento
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Eigentlich ist es ein gemütlich schaukelnder Weg nach Pisciotta, es sei denn, die Elemente wollen einem lehren, Serpentinen zu fahren. Dann verschüttet ein Steinrutsch die Küstenstraße und zwingt die Besucher zu aberwitzigen Kurven: Übers Gebirge, über Stock und Stein, an atemberaubenden Steilhängen vorbei.

Pisciotta ist ein Dokument für die stehengebliebene Zeit. Es handelt sich um ein mittelalterlich versteinertes Bergdorf über der Küste. 150 Kilometer südlich von Neapel im Cilento, einem riesigen italienischen Nationalpark. In Pisciotta, dessen Häuschen teilweise wie Adlerhorste am Felsen kleben, leben 3000 Einwohner.

Wer hier nicht fischt, handelt mit Oliven, betreibt ein Lädchen - oder wandert aus. Pisciotta ist sozusagen ein Familienbetrieb geblieben, der sich rund um die Uhr auf dem Dorfplatz versammelt. Dort sitzen die Alten, spielen Karten und halten Schwätzchen, während die Jungs unermüdlich Fußball spielen und vermutlich für die Squadra Azzurra, die Nationalelf Italiens, trainieren.

Ostern ist ganz Pisciotta auf der Strasse

Den Verkehr auf der einzigen Durchgangsstraße regelt ein verwitterter alter Polizist, der keine Dienstzeiten kennt. Am Karfreitag wird die Straße allerdings zu einem einzigen Parkplatz. Endlose Prozession mit reifen Messdienern in weißem Linnen, mit einem eingesargten Holz-Jesus und einer riesigen Marienstatue, eine groß besetzten Blaskapelle (lauter lokale Kräfte) und sämtliche "Pisciottani" schlängeln sich dann durch die Gassen.

Selbstverständlich wird um die Ostertage gekocht und gebraten, was die Herde hergeben. Vorher wird die einzige Metzgerei des Dorfs leergekauft - mit einer Schlange bis auf die Straße. Apropos Reptilien: Wer sich am Wegesrand über dunkles schuppiges Ringelreihen erschreckt, hat es gewiss mit einer harmlosen Äskulapnatter zu tun.

Während sich Pisciotta stolz in die Lüfte erhebt (170 Meter überm Wasser), gibt Marina di Pisciotta als Filiale an der Küste, etliche Serpentinen tiefer, eine bescheidene Vorstellung. Gute Restaurants findet man nur auf dem Berg - vor allem die "Osteria Del Borgo", die einen gegrillten frischen Fisch anbietet. Nebenbei entkorkt der Chef einen Hauswein, dessen minimaler Preis in keinem Verhältnis zu seiner maximalen Mundung steht.

Überhaupt hat das Bergdorf kleine Geheimnisse zu bieten: So das Hotel Marulivo, dessen edle Diskretion von einer Terrasse überkront wird, die einem das Meer hoheitlich zu Füßen legt. So aber auch den Elektrohändler Blasi, der den Mietern eines Ferienhäuschens, das in diesem Jahr noch keine Sonne gesehen hatte, einen "Termoventilatore", einen Heizlüfter, für zehn Euro verkauft. Zehn Euro! Sagenhaft! So ist Pisciotta täglich.

Auch die Preise für Ferienhäuser (etwa über den Anbieter Cilento-Ferien) sind fair. Wer sich hier einmietet, kommt zur Ruhe (und sollte nur etwas gegen Mücken unternehmen). Die Welt vergisst einen, wie sie auch den Cilento beinahe vergessen hat. Trotzdem ist das hier nicht das Ende der Zivilisation - und wer über die Hügel des Apennin wandert, sieht und spürt das Tyrrhennische Meer, das azurblau vor der Küste döst. Gibt es Sandstrände?

Ja, aber jeder Gast muss sie sich schon selbst erfragen, notfalls mit Händen, Füßen, Wörterbuch. Wird er fündig, staunt er: Warum liegt da noch keiner?

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