USA Auf Bigfoots Spuren

Portland · Seit Jahrhunderten existiert die Legende von einer unheimlichen Kreatur in Nordamerika, die durch die Wälder streifen soll. Eine Spurensuche in Oregon – von der wilden Pazifikküste bis zum tiefsten Kratersee der USA

Am Rand des Crater Lake liegt oft bis weit in den Juli hinein Schnee.

Foto: Martin Wein

Groß, wollig behaart und ziemlich scharf auf Schokoriegel – so präsentiert Cliff Barackman den wohl scheuesten Bewohner des amerikanischen Nordwestens. Im ansonsten gesichtslosen Ort mit dem klangvollen Namen Boring („langweilig“) vor den Toren von Portland hat der bekannte TV-Moderator dem legendären Waldmenschen Bigfoot ein viel beachtetes Zentrum gewidmet. In detailreich ausgeschmückten Beschreibungen präsentiert der selbst ernannte Experte hier Beweisfotos und -videos, Fußabdrücke und andere Artefakte angeblicher Begegnungen. 1924 soll Sasquatch, wie sie Bigfoot an der Pazifikküste nennen, im nahe gelegenen Ape Can­yon am Mount St. Helens beispielsweise eine stabile Holzhütte zerlegt haben. Meist ist er stattdessen sofort wieder weg. Wäre da nicht die Lust auf Schokoriegel. Mit denen lässt sich das Wesen angeblich bisweilen in Infrarot-Fotofallen locken. Die Aufnahmen sind ähnlich deutlich wie beim Seeungeheuer von Loch Ness. Ist das Ganze also nicht alles etwas haarig? „Erst war ich auch skeptisch“, sagt der Paläontologe Nico Spadafora, der in Barackmans North American Bigfood Center neben der Tankstelle arbeitet. Inzwischen halte er die „Beweislage“ aber für „erdrückend“. Nico ist überzeugt: „Wir können davon ausgehen, dass da draußen etwas ist.“

Das kann getrost so stehen lassen, auch wer Bigfoot für Folklore hält. Denn in Oregon ist „draußen“ eine ganze Menge. Der US-Bundesstaat nördlich von Kalifornien punktet mit grandioser Natur, die sich in weiten Teilen erhalten hat. Das liegt nicht nur an der späten Besiedelung durch Weiße erst Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem legendären Oregon-Trail. Es liegt auch an der schieren Größe des Staates, in dem ganz Großbritannien locker Platz fände und in dem trotzdem nur knapp 4,5 Millio­nen Menschen leben.

Im Grünen ist man deshalb schon, sobald man in der größten Stadt Portland nur eine kleine Flusskreuzfahrt auf dem Willamette River unternimmt. Rasch weichen die Hochhäuser und markanten Brücken kleinen Holzhäusern und viel Wald. In der Ferne grüßt der Stratovulkan Mount Hood, der oft bis weit in den Juli hinein eine weiße Schneehaube trägt. Die rustikale Timberline-Lodge etwa auf halber Höhe seines Gipfels diente Stanley Kubrick 1980 als Drehort zur Verfilmung des Steven-King-Ro­mans „The Shining“. Fast noch stimmungsvoller als bei Sonne besucht man das abgelegene Hotel auf der kurvigen Passstraße deshalb im abendlichen Nebel – Gruselmomente inklusive. Allerdings sollte man vor der Auffahrt checken, wie lange die Straße geöffnet bleibt. Sonst droht eine unfreiwillige Übernachtung.

Die größte Sehenswürdigkeit der Kaskadenkette auf der Grenze zweier Kontinentalplatten, zu der auch der Mount Hood gehört, ist der Mount Mazama im Süden Oregons. Vor 7700 Jahren hat der Vulkan die Hälfte seines Gipfels weggesprengt. Übrig blieb ein Riesenkrater in 1800 Metern Höhe, in dem 13 Meter Neuschnee jährlich und weiteres Regenwasser den tiefsten See der Vereinigten Staaten aufgefüllt haben. Nach einem Besuch erklärte US-Präsident Theodore Roosevelt den tiefblauen Crater Lake schon 1902 zum Nationalpark. Außer einer Ring­straße, die im ausgedehnten Winter den Langläufern dient, gibt es bis heute kaum Infrastruktur in dieser Wildnis. Die Ausblicke auf die Caldera und die winzige Vulkaninsel Wizard Island sind fast von jeder Stelle aus phänomenal. An den Abhängen rauschen zahlreiche Wasserfälle weiß schäumend durch den Nadelwald zu Tal. Und wer die Holzfäller-Gegend so erleben möchte, wie Teddy Roosevelt, der quartiert sich im urigen Prospect Hotel ein. Nachmittags sitzt man hier bei den Besitzern Fred und Karen Wickman im Schaukelstuhl auf der Veranda, abends in der gediegenen Dining Hall. „Aber bei uns gibt es nur echte Drinks“, warnt Fred durch seinen Rauschebart und hat ein entsprechendes Schild auf jeden Tisch gestellt, damit niemand Aperol Spritz bestellt. Die Flaschensammlung hinter seiner Bar ist entsprechend sortiert.

Der alte Leuchtturm von Heceta Head ist die bekannteste Landmarke an Oregons Küste.

Foto: Martin Wein

Die Pazifikküste ist mit dem Highway 101 gut erschlossen. Entlang der 585 Kilometer von Crescent City in Kalifornien bis nach Astoria an der Grenze zum Staat Washington am Columbia River wartet fast hinter jeder Kurve eine neue Naturschönheit entlang dieser Traumstraße. Mit dem berühmten, aber häufig vernebelten und stark überlaufenen Highway 1 in Kalifornien kann sie locker Schritt halten. Besonders schön ist es zwischen North Bend und Cannon Beach. Im Süden hat der Treibsand bei Florence goldgelbe Sanddünen aufgetürmt, zwischen denen sich klare Süßwasserpools wie Oasen gebildet haben. Besser als mit einem lauten Buggy stapft man selbst hinauf und wedelt auf einem Sandboard wieder runter. Lon Beale alias „Doktor Dune“ zeigt Neulingen, wie das geht.

Nördlich von Heceta ­Beach führt ein Fahrstuhl direkt in die größte Meereshöhle der Welt hinunter. Unterhalb von Cape Perpetua schießen die Pazifikwellen in haushohen Fontänen durch Löcher und Spalten. Im geschäftigen Fischereihafen von Newport rangeln mittlerweile Hunderte von Stellerschen Seelöwen auf eigens reservierten Pontons um den beschränkten Platz. Und im großzügig gestalteten Oregon Coast Aquarium macht der pazifische Riesenkrake in seinem neuen Habitat Bekanntschaft mit den Besuchern. In Cannon Beach schließlich ragt der Haystack Rock über 70 Meter aus dem Wasser vor dem Sandstrand hervor. Nur der winzige weiße Leuchtturm auf dem Heceta Head wird an Oregons Traumküste wahrscheinlich noch häufiger abgelichtet. Einen Sasquatch vermisst bei all der Abwechslung jedenfalls niemand.