Karettschildkröte und Felsengräber Türkisches Dalyan braucht kein Meer

Dalyan (RPO). Eigentlich hat Dalyan Pech gehabt. Das Städtchen im Südwesten der Türkei liegt nicht direkt an der lykischen Küste. Kein Meer, keine Touristen - so lautet die gängige Regel. Doch Dalyan hat einen Fluss, jahrtausendealte Felsengräber und eine Ausgrabungsstätte in der Nachbarschaft. Außerdem legt die Unechte Karettschildkröte ihre Eier am nicht weit entfernten Strand ab. Das alles ist für Dalyan ein Segen. Dem Bau von Clubanlagen und Riesenhotels ist ein Riegel vorgeschoben, die Touristen kommen trotzdem. Ein Geheimtipp ist Dalyan zwar längst nicht mehr - aber trotzdem symphathisch.

Dalyan - Karettschildkröte und Felsengräber
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Naturschutz und Tourismus passen selten zusammen - in Dalyan aber schon. Als der Strand touristisch erschlossen werden sollte, liefen Naturschützer Sturm. Denn hier legen die Karettschildkröten (Caretta Caretta) ihre Eier ab. Nach 50 bis 80 Tagen im heißen Sand knackt der Nachwuchs die Schale und krabbelt - vom Mondlicht geführt - zurück ins Meer. Die Weibchen kommen als Erwachsene genau zu diesem Strand zurück, um wiederum Eier zu vergraben. Ist er verbaut, dröhnt allabendlich Musik oder zünden Touristen Lagerfeuer, bleibt die Caretta fern - und stirbt auf kurz oder lang aus.

Drittes Geschoss verboten

Der Naturschutz siegte, und Dalyan blieb vom Massentourismus verschont. Stattdessen gibt es knapp hundert kleine Pensionen und Hotels, viele mit üppig bewachsenen Gärten und kleinen Pools. Mehr als zwei Geschosse dürfen sie nicht haben, das schreibt die Bauordnung vor. Wer ein ganzes Haus bewohnen möchte, kann eine der vielen säulenverzierten Villen mieten.

Typisch für Dalyan sind die lykischen Felsengräber am gegenüberliegenden Ufer des schilfbewachsenen Flussdeltas. Sie kleben hoch über der Stadt oben am Berg. Die Gräber stammen aus der Zeit zwischen dem 6. und 4. Jahrhundert vor Christus und ähneln mit ihren Säulen griechischen Tempeln.

Im Schlamm suhlen

Viele der ehemaligen Fischer in Dalyan haben ihre Kähne gegen Ausflugsboote mit weichen Sitzpolstern, Barbecue-Grill und Kühlbox getauscht. Sie schippern die Urlauber wahlweise zum Köycegiz-See mit Zwischenstopp an der Sultaniye-Therme, wo man sich für die Schönheit im Schlamm suhlen kann. Oder sie bringen die Urlauber zum rund vier Kilometer langen Caretta-Strand, der eigentlich Iztuzu heißt. Wer lieber öffentliche Verkehrsmittel nutzt, kann mit einem Dolmus-Boot anreisen.

Die Fahrt dauert rund eine Dreiviertelstunde. Erst säumen Pensionen und Restaurants das Ufer, dann Wohnhäuser, die mit der Zeit immer einfacher werden. Schließlich sieht man nur noch üppiges Schilf am Ufer stehen. Der Fluss macht sich breit und schlängelt sich träge an kleinen Inseln vorbei bis zum Meer. Mit etwas Glück und guten Augen kann man Eisvögel und Adler beobachten, hier leben außerdem Seefrösche und Schlangen wie die Würfelnatter.

Leuchtend blaues Meer

Zwischen all dem Schilf tauchen irgendwann strohgedeckte Sonnenschirme auf. In Reih und Glied stehen sie zwischen den hölzernen Liegen am Strand, davor leuchtet das blaue Meer. Im Sommer ist hier die Hölle los, in der Vorsaison trauen sich nur ein paar Mutige ins kalte Wasser. Die Ausflügler ziehen es vor, im Sand herumzuschlendern. Durch die Lage zwischen Meer und Fluss ähnelt der Strand einer großen Sandbank.

Er ist seit den frühen 90er Jahren nachts für die Caretta-Schildkröten gesperrt. Zu Gesicht bekommen Urlauber sie kaum. Ihre Süßwasser-Verwandten lassen sich dagegen leicht anlocken. Den Job übernehmen Fischer, die für die Touristen an Schnüre gebundene Krebse durchs Flusswasser ziehen. Erst ahnt man nur etwas Helles, dann lugt der Panzer der Süßwasserschildkröte aus dem Wasser - bis schließlich kurz der Kopf ins Freie schnellt.

Frau am Ruder

Der Fluss ist nicht nur Seeweg zum Strand. Ihn müssen auch all diejenigen queren, die von Dalyan aus die Überreste des antiken Kaunos besichtigen möchten. Eine Brücke gibt es nicht, dafür aber kleine Ruderboote. Zwei Familien teilen sich den Ruderjob - und zwar streng aufgeteilt zwischen den Geschlechtern. Während ein junger Mann am Ufer das Geld kassiert, legt sich eine Frau - altersmäßig könnte sie seine Mutter sein - in die Riemen und bringt ihre Passagiere ans andere Ufer.

Von dort ist es rund eine halbe Stunde Fußweg bis nach Kaunos, das in der Antike eine Hafenstadt war. Die Lage und die antiken Überreste sind sehenswert, können sich aber mit den vielen anderen berühmten Ausgrabungsstätten an der lykischen Küste nicht messen. Es gibt ein Theater mit 5000 Plätzen, das aus hellenistischer Zeit stammt und von den Römern erweitert wurde.

Man kann die Überreste einer Kirche aus dem 6. Jahrhundert vor Christus bewundern und die einer spätrömischen Therme. Wer über kleine Trampelpfade auf den Burgberg kraxelt, wird mit einem schönen Blick belohnt: Er reicht bis zum Meer und nach Dalyan - das zwar nicht direkt am Wasser liegt, aber trotzdem Glück gehabt hat.

(tmn)
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