Über den Dächern von New York "Tauben sind die beste Therapie"

New York · Die Taubenflieger von New York leben in einer Welt, die man vom Boden der Straßenschluchten aus kaum bemerkt. Wer sich jedoch in ihre Höhen wagt, der erfährt so manches über vergangene Kleinkriege am Himmel - und aktuelle irdische Nöte.

Über den Dächern von New York: "Tauben sind die beste Therapie"
Foto: dpa, Jan Willems

Von der Straße aus sind die Taubenflieger kaum auszumachen. Ihre Welt sind die Dächer des New Yorkers Stadtteils Brooklyn. Dort züchten die "pigeon flyers" nicht einfach Tauben, sie betrachten ihr Hobby als Sport: Mehrmals täglich erklimmen sie die Dächer ihrer Wohnhäuser und lassen teilweise Hunderte Vögel in den Himmel steigen, wo sie in engen Formationen ihre Runden drehen und akrobatische Manöver fliegen.

Eine Außenstelle auf Bodenniveau unterhalten die Taubenfreunde direkt unter einer U-Bahn-Brücke im Laden "Broadway Pidgeon & Pet Supplies". Joe Scott, ein bärbeißig wirkender Mittvierziger mit kurz geschorenen grauen Haaren, führt das Fachgeschäft für Taubenzubehör zusammen mit seinem Bruder Mike, der ihm fast wie ein Zwilling gleicht. Hier treffen sich jeden Sonntagvormittag die Taubenflieger aus der Nachbarschaft, fachsimpeln und handeln mit Vögeln. Vor dem Laden in einem Klappstuhl sitzt an diesem Sonntagmorgen Louie, ein südländisch wirkender, etwas pummeliger Mann mit breitem Gesicht. Um seine Familie und die rund 250 Tauben zu ernähren, strampelt der knapp 50-Jährige als Fahrradkurier durch die Straßen von New York. Für Louie sind die Tauben ein Ausgleich zu seinem täglichen hektischen Kampf zwischen den Blechlawinen von Manhattan. "Das lässt dich zur Ruhe kommen", erzählt er über sein Hobby und lächelt: "Tauben sind die beste Therapie."

Louie kaufte seine ersten Tauben mit neun Jahren. Er weiß, dass es unter Taubenzüchtern nicht immer so friedlich zuging wie heute: "In den 80er Jahren, als es noch in jedem Block mindestens einen Dach-Taubenschlag gab, war es wie Krieg", erinnert er sich. Denn wenn mehrere Leute auf den Dächern ihre Schwärme in den Himmel steigen lassen, landen mitunter einige Vögel bei einem anderen Halter.
"Damals wurden die Tiere einfach nicht zurückgegeben", erzählt Louie. Heute sorgt dies nur noch selten für Streit. Eher symbolisch feilschen die "Finder" um einige Dollar Rückkaufgebühr, bevor sie dem Besitzer das Tier zurückgeben. Ärger droht inzwischen eher von außerhalb der Szene: Behörden verlangen viel Geld für eine Taubenschlag-Lizenz. Und Vermieter und Nachbarn wehren sich dagegen, dass mitunter Tausende Tauben auf ihrem Dach wohnen. Das hat der kahlrasierte Riese, der nur Tree, also Baum, genannt werden will, leidvoll erfahren.

Probleme mit den Nachbarn

Nur wenige Blocks vom Taubengeschäft entfernt sitzt der dunkelhäutige Mittvierziger vor dem Haus von Ladeninhaber Mike Scott. "Vor einigen Monaten musste ich meinen Schwarm aufgeben", klagt er. "Nach all den Jahren hat es irgendeinen Nachbarn plötzlich gestört. Jemand hat sich beim Vermieter beschwert und ich musste Hunderte Vögel loswerden." Geblieben sind ihm nur noch knapp 30 Tauben. Und einige Handyvideos von ihren Flugmanövern, die er stolz vorspielt.

Tree trauert den alten Zeiten hinterher - samt ihrer harschen Bräuche. "Die Szene ist nicht mehr dieselbe", sagt der Hüne wehmütig. "Wenn man früher einen Vogel aus einem anderen Schwarm gefangen hat, behielt man ihn einfach. So waren die Regeln." Stolz präsentiert er seinen Schlüsselbund, an dem viele bunte Ringe baumeln - Trophäen aus vergangener Zeit. Jeder Halter hat für die Taubenringe eine eigene Farbe. "Meine Ringe waren golden", erzählt Tree. Nun kümmert er sich mit seinem alten Freund Mike um dessen Schwarm. Denn die Vögel brauchen viel Pflege. Wer Tauben nur verächtlich als "Ratten der Lüfte" betrachtet, wird auf dem Dach von Mike Scott eines Besseren belehrt. Die Tauben machen einen sauberen Eindruck und tragen in ihrem Gefieder unterschiedlichste Nuancen von Braun, Weiß, Grau und Schwarz in verschiedenen Mustern zur Schau. Da sind "Roller" und "Tippler", Hochflieger und Purzler - benannt nach den Manövern, die sie fliegen können oder nach ihren auffälligen Körpermerkmalen, etwa langen Federn an den Füßen oder aufgestelltem Kragen.

Tree lugt über das Dach des Taubenschlags und beäugt Mikes Tiere. Er wirkt leicht versunken. Taubenflieger mögen die rauen 80er Jahre unterschiedlich bewerten - doch die Liebe zu diesen Vögeln teilen sie alle.

(dpa/ham)
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