Sardinien Grüner Edelstein im Mittelmeer
Sardinien · Eine Felsenküste wie aus einem Fantasyfilm, schroffe Bergwelten, Dörfer, die aus der Zeit gefallen scheinen, prähistorische Türme und ein Abstecher auf den Spuren eines kleinen Mannes mit großem Anspruch
Wir sind, wie wohl die meisten Sardinien-Urlauber, die mit dem Flieger anreisen, in Olbia gelandet, dem alten Pausania aus byzantinischer Zeit, heute eine lebhafte Küstenstadt am Tyrrhenischen Meer. Es ist eine Rückkehr nach Jahrzehnten, wir hatten die Stadt anders in Erinnerung, provinzieller, ärmlicher. Längst ist der Corso Umberto, die Hauptstraße, die am Hafen beginnt, von Chic und Mode geprägt, von Gelaterie und Caffè gesäumt. Aber gleich nebenan, in den engen Gassen, stoßen wir rasch auf die vertrauten Sehnsuchtsbilder des Südens: Wäsche, die in engen Gassen zwischen den Häusern flattert. Bougainvillea, die in Kaskaden über die schmiedeeisernen Balkone quillt. Alte Herren, die in der Nachmittagssonne auf dem Dorfplatz sitzen und am Mirto nippen, dem lokalen Likör, der den Magen aufräumen oder die Zeit bis zum Abendessen strecken soll.
Sardinien also. Nein, es war seinerzeit keine Liebe auf den ersten Blick. Der raue Charme dieser Insel zwischen Europa und Afrika – Tunesien ist nur 180 Kilometer entfernt – wirkte zunächst wie ein fremdartiger Zauber, so wie sich auch seine Turmbauten aus grauer Vorzeit, die Nuraghen, nur schwer oder gar nicht erschließen. Der Begriff meint wörtlich, was man sieht: Steinhaufen, mindestens 7000 an der Zahl, mit keiner anderen Kultur rund ums Mittelmeer zu vergleichen. Bis heute ist ihr Sinn und Zweck unter Historikern, Archäologen, Ethnologen umstritten: Grab- oder Kultstätten, Hirtenwohnungen oder Festungen?
So wild wie die Landschaft, so blutig wie die Freiheitskämpfe gegen Feinde von außen und wie die Fehden der Clans untereinander, so aufregend ist auch Sardiniens Geschichte verlaufen. Die Spuren der Phönizier sind zwar verweht, die der Römer hingegen recht gut erhaltene, Vandalen und Sarazenen kamen und verschwanden, auch Pisa und Genua, die alten Stadtrepubliken von nebenan, machten sich ihre Macht über Sardinien immer wieder streitig. Und Alghero im Nordwesten, die Stadt mit dem schönsten Zentrum und der mächtigsten Stadtmauer, heute als beliebte Promenade über dem Meer genutzt, stand gar 400 Jahre, vom 14. bis zum 18. Jahrhundert, unter spanisch-katalanischem Einfluss. Nach wie vor spricht man hier einen Dialekt, den zum Beispiel die vielen Besucher aus Barcelona gut verstehen.
Oft wird Sardinien mit einem grünen Edelstein verglichen, leider noch öfter auf die Costa Smeralda reduziert, dem in die Jahre gekommenen ehemaligen Protz-Refugium der angeblich Schönen und Reichen, das schon längst keine Schlagzeilen mehr macht. Selbst in unseren Adelsblättchen kommt Porto Cervo, der Hauptort der Smaragdküste, kaum noch vor.
Sardinien-Liebhaber haben ihre Insel sowieso schon immer als eine lange Kette aus lauter Diamanten gesehen, ungeschliffene vor allem und unerwartete. In den bizarr verformten Felsbrocken an den Stränden entdecken sie Elefanten, Einhörner oder Henry-Moore-Monumente. Wie ausgestorben sind uns auf den langen Fahrten durchs Inselinnere die Landschaft und die Dörfer auf den Bergkuppen vorgekommen, „als höre hier die Welt auf“, wie es vor etwas mehr als 60 Jahren der englische Autor D.H. Lawrence in seinem Reisetagebuch notierte.
Man mag Sardinien als Badeziel buchen, weil ihre Buchten vielerorts traumhaft sind, etwa an der Costa Rei im Südosten oder am Golfo di Orosei, mehr als 30 Kilometer am Stück. Irgendwann, und erst recht in der ruhigen Nachsaison, wird man sich auch vom schönsten Strand lösen und mit Bus oder Mietwagen kreuz und quer über die Insel fahren wollen und hinter jeder Kurve aufs Neue das Staunen lernen. Oder einen spannenden Blick auf die jüngste Geschichte der Insel und des Landes werfen: dazu mit der Autofähre kurz übersetzen nach La Maddalena und weiter über eine Brücke fahren zum Inselchen Caprera. Dort hat Giuseppe Garibaldi, vor 200 Jahren der wohl lauteste Kämpfer für die Einheit Italiens, seine letzte Ruhe gefunden. Eine Gedenkstätte zum Leben dieses kleinen Mannes – er maß nur 1,63 Meter, fünf Zentimeter weniger als Napoleon – lässt große Gefühle aufkommen. Was für ein Typ: In Südamerika war er als Raufbold 14 Jahre lang unterwegs, ein früher Vorläufer von Che Guevara, in Europa soll er sich später in mehr als 50 Schlachten getummelt haben. Freischärler, Freimaurer und Frauenheld war er überdies und überall, innerhalb und außerhalb Italiens damals so umstritten wie heute. Für die Sarden aber, mehrheitlich so ungestüm wie dieser Paradiesvogel, bleibt er ein Held.