Prominente Winzer ehren einen Gauner

Mit dem Dalai Lama, anderen Prominenten und dem kleinsten Weinberg der Welt schmückt sich das Bergdorf Saillon.

Theres Sigrist führt ihren farbgetränkten Pinsel in Richtung Staffelei, die Augen im Fernsicht-Modus - fixiert auf den Burgturm. Mit ruhiger Hand malt die Hobbykünstlerin diese Szenerie, zieht daneben Umrisse der Stadtmauer auf die Leinwand, Hausdächer und -wände, teils aus dunkelbraunem Lärchenholz, teils aus verwittertem Fels, bildet sie ab: Die Silhouette von Saillon, eines der besterhaltenen mittelalterlichen Dörfer der Schweiz. Es liegt schräg auf einem gut 500 Meter hohen Felsen vor der Kulisse des Rhonetals mit dem schneebedecktem Dents du Midi-Gletscher als Fluchtpunkt.

Das größte Kuriosum liegt außerhalb des Dorfkerns inmitten grüner Weinreben, die Saillon einkreisen. Ein unscheinbarer Hügel, aus dem drei Rebstöcke emporranken, keiner höher als einen Meter: der kleinste Weinberg der Welt. Präzise 1,67 Quadratmeter winzig, so eingetragen im Kataster. Mit Sondergenehmigung, denn üblicherweise klappen schweizerische Beamte ihr Grundbuch erst ab 200 Quadratmetern auf. Hinter denen ein wenig an Brennnessel erinnernden Reben versammelt sich Weltprominenz: Der Dalai Lama ganz vorn, etwas dahinter James Bond, Michael Schumacher, Zinedine Zidane, Caroline von Monaco oder Peter Ustinov. Nicht persönlich, sondern vertreten durch rostige Metallstäbe mit Namensschildern. Blecherne Beweise dafür, dass all diese Mächtigen und Mutigen, Schnellen und Schönen schon hier waren. Nur: Warum bloß?

"Na, um uns bei der aufwendigen Weinlese zu helfen", sagt Ursi Fäh augenzwinkernd mit Blick auf die mickrigen Traubenbüschel an den drei Rebstöcken. "Und beim Zurückschneiden. Und Durchharken ..." Die 58-jährige Gästeführerin blickt lächelnd in ungläubige Gesichter und hält die Spannung noch ein wenig, bis sie mit der Wahrheit rausrückt. "Ja, jeder Promi hat hier wirklich Hand angelegt - quasi als Blitz-Winzer im Bonsai-Weinberg." Symbolische Sekunden-Einsätze an spärlicher Traubenpracht. Der Ertrag: Ein paar Deziliter. Sie werden später mit der Ernte umliegender Felder vermischt, zu jährlich 1000 Flaschen Wein verarbeitet und für wohltägige Zwecke verkauft - zugunsten tibetanischer und sudanesischer Kinder etwa oder für Mutter Theresas Stiftung. Mehr als eine Million Franken kam so schon zusammen. Also mal wieder so ein cleverer Marketing-Gag? "Jein", sagt Ursi Fäh, "denn die ,Erfindung' des kleinsten Weinbergs ist zwar eine schräge Geschichte, hat aber einen wahren Hintergrund."

Der Reihe nach: Vier Männer hecken die Idee in Paris aus, darunter der französische Chansonnier Gilbert Becaud und Schauspieler Jean-Louis Barrault. Sie nennen sich "Freunde Farinets", wollen mit dem Weinberg einen Falschmünzer namens Joseph-Samuel Farinet ehren. "Er gilt hier im Unter-Wallis als eine Art Robin Hood, spätestens seit Barrault ihn 1938 im Film so verkörperte", erläutert Fäh und zeigt den verwegen dreinblickenden Filmhelden im Sailloner Falschgeld-Museum. Mit dem Weinberg soll Farinet 1980 - exakt 100 Jahre nach seinem Tod - ein Denkmal bekommen, hatte er sich doch etwa ab 1870 in dieser Gegend immer wieder herumgetrieben, zusammen mit Komplizen Tausende täuschend echte 20-Rappen-Münzen geprägt und damit nicht nur bezahlt, sondern sie angeblich auch Armen und Bedürftigen gegeben.

Die Wohltaten des vermeintlichen Gentleman-Gauners zeitgemäß mit Scheckübergaben fortsetzen - dafür lotst Pascal Thurre immer neue große Namen auf den kleinen Weinberg. Gute Beziehungen? Üppige Gagen? Nähere Umstände mag der 86-jährige Journalist - Mitgründer und Kopf der inzwischen 22 "Freunde Farinets" - nicht so recht verraten. Rita Gay, einzige Frau im Freundeskreis, hingegen schon: "Jeder Promi trägt ein bisschen Farinet-Kluft: Jacke, Halstuch und Hut - eine lustige Verkleidung." Lustlos habe Caroline von Monaco trotzdem ihren Job im Weinberg erledigt, "und im Dorf lauerten Paparazzi hinter jeder Ecke", erzählt die 74-Jährige. Michael Schumacher hingegen erntete 2001 engagierter - mit grüner Kiepe auf dem Rücken, wollte aber den obligatorischen Gewehrschuss nicht abfeuern. Peter Ustinov verbummelte 1995 den Treffpunkt im Dorf, kam dann lässig ganz alleine den Berg hochgeschlendert. "Ach ja, und Italiens Filmdiva Gina Lollobridgida war nach zwei Gläsern unseres Sailloner Weins ganz beschwipst", erinnert sich Rita. Am meisten Publikum aber hatte der Dalai Lama: Etwa 10 000 Menschen jubelten ihm zu, als er 1999 neuer Besitzer des Weinbergs wurde, den französischen Priester Abbe Pierre beerbend. "Der hatte - als strikter Anti-Alkoholiker - in den Jahren zuvor statt Wein- eine reine Traubensaftproduktion propagiert", raunt Rita "und dadurch für eine leere Spendenkasse der Farinet-Freunde gesorgt, weil nur wenige Menschen den Null-Promille-Most kaufen wollten."

(RP)
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