Seilbahnen in Norwegen Feierabend auf dem Berg

Bergen/Loen · Norweger, die an den Fjorden wohnen, brauchen Seilbahnen. Unser Autor hat sich die älteste und die modernste angesehen.

 Der Loen Skylift bringt Besucher in knapp fünf Minuten auf den Gipfel des Berges Hoven auf rund 1000 Meter Höhe.

Der Loen Skylift bringt Besucher in knapp fünf Minuten auf den Gipfel des Berges Hoven auf rund 1000 Meter Höhe.

Foto: Bård Basberg

Jeden Tag liegt ihnen die Stadt zu Füßen. Der Schnee knirscht, Nebel hängt über den Baumwipfeln. Das einzige Geräusch ist das Gezwitscher von Vögeln. Um kurz vor acht ist es aber mit der Ruhe vorbei: Dann kommen etwa 90 Kinder auf den Berg Fløyen, der über der norwegischen Großstadt Bergen thront. Sie gehen dort in den Kindergarten - auf 320 Meter Höhe.

So ungewöhnlich die Lage, so besonders die Fahrt. Weder Bus noch Auto bringen sie zu einem der zwei Naturkindergärten, sondern die "Fløibahn". Die Standseilbahn fährt jede Viertelstunde fast 300 Meter bergauf - in rund sechs Minuten. Die Fahrt beginnt im Zentrum der 280.000-Einwohnerstadt an der Westküste des Landes, wenige Meter vom Fischmarkt und dem Hafenviertel Bryggen entfernt. Der Stadtteil ist für seine bunten, traditionellen Holzhäuser bekannt und wurde von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. In Bergen ist der Name Programm: Die zweitgrößte Stadt des Landes ist von sieben Bergen umgeben, die heute touristisch genutzt werden.

100 Jahre Tradition in Bergen

"Der Fløyen ist ein Volksberg", sagt Ole Anderson, Betriebsleiter der Fløibahn. "Eine Zielgruppe haben wir nicht: Für einen Zweijährigen soll es genauso toll sein wie für einen 80-Jährigen." Die Fløibahn fährt das ganze Jahr über von 7.30 bis 23 Uhr. "Sobald die Sonne scheint, wollen die Leute raus und auf den Fløyen", sagt er. "Selbst an regnerischen Herbstabenden sind wir da - das schätzen die Menschen." Viele, die am Hang wohnen, nutzen die Bahn als öffentliches Verkehrsmittel. "Man lebt urban, ist aber in sechs Minuten auf dem Berg und kann dort die Natur erleben", sagt Anderson.

Über den Dächern der Stadt gibt es unter anderem Restaurants, einen Souvenir-Laden, einen großen Spielplatz sowie einen Kletterpark. "Die kostenlosen Aktivitäten locken vor allem Familien an", sagt Anderson. "Wir wollen den Menschen immer einen Grund geben hochzufahren. Wir müssen Geld verdienen, aber vor allem dafür sorgen, dass die Leute wiederkommen." Mit Erfolg: In diesem Jahr wird die Bahn 100 Jahre alt.

„Kurzurlaub“ nach Feierabend

Auch bei Touristen ist die Fløibahn beliebt. Im Jahr 2017 besichtigten 1,8 Millionen Menschen Bergen von oben, 2009 waren es noch 1,2 Millionen. "Die Entwicklung im Tourismus war enorm", sagt Ole Anderson. So habe sich der Umsatz in den vergangenen zehn Jahren fast verdreifacht - von 32 auf 90 Millionen Norwegische Kronen (umgerechnet von etwa 3,4 auf rund 9,4 Millionen Euro). Von Mai bis August kommen die meisten Touristen, viele von ihnen mit dem Kreuzfahrtschiff. 320 davon laufen pro Jahr im Hafen von Bergen ein - das sogenannte Tor zur Fjordlandschaft. "Man darf sich aber nicht vollständig vom Tourismus abhängig machen", sagt Anderson. So seien auch ohne Schiffe im Februar vergangenen Jahres 80.000 Besucher gekommen. "Das sind meist Einwohner, die nach Feierabend oder den 19-Uhr-Nachrichten hochfahren, um Ski zu laufen."

Denn während im Tal der Frühling beginnt, kann man auf dem Fløyen noch im Schnee wandern oder rodeln. "Hier hört man nichts, keinen Fluglärm, keine Autos. Das ist für viele Menschen wie ein Kurzurlaub", sagt Anderson. Um 23 Uhr endet der Tag auf dem Berg. Das Licht an den Skiloipen wird ausgeschaltet, die letzte Bahn fährt ins hell erleuchtete Tal.

Seit 100 Jahren gilt die Fløibahn damit in Norwegen als leuchtendes Beispiel, wie eine Seilbahn in die Landschaft integriert werden kann - mit Vorteilen für alle Seiten. Öffentliches Transportmittel, Touristenmagnet, Freizeitattraktion für Einheimische. Rund 180 Kilometer entfernt beschäftigt man sich seit Jahren mit einem ähnlichen Projekt.

Fünf Minuten für 1000 Meter

Die Geschichte des "Loen Skylifts" beginnt in der Einsamkeit des norwegischen Dorfs Loen. Dort leben nur wenige Hundert Einwohner. In der Kommune Stryn, zu der Loen gehört, wohnen statistisch nur fünf Menschen auf einem Quadratkilometer Fläche. Loen liegt am Fjord und ist umgeben von hohen Bergen. "Eine Seilbahn war 50 Jahre lang der Traum von Eivind Grov, dem früheren Besitzer des Hotels Alexandra in Loen", erzählt Ann-Helen Blakset, Marketing-Managerin des Loen Skylifts. "Er wollte die hohen Berge unserer Region für Menschen erreichbar machen."

Im Mai vergangenen Jahres wurde der Traum Realität - realisiert durch Grovs Sohn Alexander, der heute das Hotel leitet, nach weniger als einem Jahr Bauzeit. Seitdem wirbt Loen mit dem Slogan "From Fjord to Sky in 5": Der Skylift bringt Besucher in nur fünf Minuten auf den 1000 Meter hohen Berg Hoven, dessen Gipfel im Tal kaum zu sehen ist. Die Pendelseilbahn zählt mit einem Neigungswinkel von 52 Grad zu den steilsten der Welt. Sie fährt automatisch und transportiert in zwei Gondeln jeweils bis zu 45 Menschen. Auf dem Gipfel gibt es neben einer Aussichtsplattform ein Restaurant, das am Abgrund steht. Die Berg-Gaststätte verwendet zu 70 Prozent lokale Waren, serviert werden unter anderem Gletscherwasser und selbst gebrautes Bier.

"Viele Menschen hielten das Projekt für verrückt", erzählt Ann-Helen Blakset. Hotelmanager Richard Grov fand dennoch Partner für den Bau: unter anderem die Nachbargemeinde Stryn, die Doppelmayr/Garaventa-Gruppe, den Weltmarktführer im Seilbahnbau, sowie mehrere kleine Unternehmen. Insgesamt kostete der Skylift 300 Millionen Norwegische Kronen (umgerechnet etwa 31,3 Millionen Euro). "Eine solche Seilbahn ist schon etwas Besonderes", sagt Blakset, "seit 50 Jahren wurde in Norwegen keine mehr gebaut." Expertise bei der Planung bekam Loen auch aus Bergen. "Der Skylift ist keine Konkurrenz für uns - dafür sind sie zu weit entfernt", sagt Ole Anderson von der Fløibahn. "Wir freuen uns, dass es ihn gibt, das stärkt die gesamte Region."

Ein Mekka für Kletterer und Wanderer

Seilbahnen führen häufig zu einem Skigebiet, doch das gibt es in Loen nicht. Ebenso wenig wie die Vielzahl an Sehenswürdigkeiten in Bergen. Auch mit der 100 Jahre langen Tradition der Fløibahn kann das Dorf nicht mithalten. Wieso also wurden 300 Millionen Kronen in das ländliche Gebiet investiert? "Unsere Hauptzielgruppe sind aktive Touristen und Abenteurer", sagt Ann-Helen Blakset. "Lange Zeit über galt der Hoven als nicht erklimmbar. Viele ehemalige Wanderer weinten, als sie oben ankamen." Heute werden Wanderer mit der Aussicht auf die Fjorde belohnt, die im Sonnenlicht glitzern. Außerdem kann auf dem Gipfel auch im Frühling noch gerodelt werden. Eine Route führt Mountainbiker ins Tal, Kletterer können über die Bergwand "abkürzen". 2011 wurde ein Klettersteig eröffnet, 2013 eine Hängebrücke gebaut.

Der Loen Skylift steht heute für Action. Bei der Eröffnung war die norwegische Königin Sonja zu Gast. Auf dem Weg nach oben stoppte die Seilbahn auf halber Strecke, und Basejumper flogen an ihr vorbei. "Sie suchen die Aufmerksamkeit - auf dem Berg haben sie ein großes Publikum durch die Touristen", sagt Richard Grov. "Die Zuschauer lieben diesen Sport, das ist eine Win-Win-Situation."

Der Erfolg gibt ihm Recht: Von Mai bis Ende 2017 sei mit 55.000 Besuchern gerechnet worden - Ende Dezember waren es rund 92.000. "Im kommenden Jahr soll die 100.000er-Marke geknackt werden", sagt Ann-Helen Blakset. Auch der benachbarte Campingplatz und die Gemeinde Stryn verzeichneten gestiegene Umsätze durch den Tourismus. "Durch den Skylift wurden Jobs in der Region geschaffen", sagt Richard Grov. Während des Bauprozesses entstanden 100 neue Stellen, langfristig 50 Vollzeitjobs. "Die Leute hier müssen also zum Arbeiten nicht mehr nach Oslo oder Bergen gehen", sagt Grov. "Unsere Region ist zahlenmäßig und politisch keine Macht, doch mit dem Skylift können wir wirtschaftlich unsere Muskeln spielen lassen."

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